Bindungsfähigkeit im Lichte der Berufung, Teil 1

(Ehepaar Dr. Jean Meyer, Paris)

Generelle Vorbemerkung

Eines Tages entdeckte ich, dass die Wiener Cafés ihren Gästen die Möglichkeit anbieten, ihre Portables ans Internet anzubinden. Das ist eine Weltpremiere! Ich vermute, das ist ein Zug des österreichischen Geistes: sie lieben es, verbunden zu sein, sie lieben Verbindungen und Kommunikation. Das ist wichtig für unser Treffen. Andererseits sind wir uns klar, dass es sehr verschiedene Arten von Verbindungen gibt. Sehr oft wird die eheliche Verbindung als Fessel empfunden. Was das Internet angeht, so gibt es dort die Möglichkeit des Informationsrundlaufs, aber die personale Dimension der Kommunikation ist dabei manchmal sehr schwach.

Für Verliebte ist der Informationsaustausch wichtig, aber der seelische Austausch ist wichtiger:  er ist über Internet nicht möglich. Man muss also die Reichtümer persönlicher Verbindungen im Allgemeinen und speziell auf Liebe beruhender Bindungen klären und vertiefen. Wir werden in drei Etappen vorgehen. Heute, im ersten Vortrag, konzentrieren wir unsere Erinnerung auf das Wesentliche: auf diese Begegnung von Mann und Frau, die das Paar begründet und die ihrem Leben Sinn verleiht. Danach, im zweiten Vortrag, stellen wir das Kind ins Zentrum unserer Reflexion und versuchen, die Schönheit und den Reichtum des erzieherischen Aktes einsichtig zu machen. Morgen werden wir versuchen, ein wenig Abstand zu bekommen und über das eheliche und familiäre Leben zu reflektieren. Wir gehen aus von der Erfahrung des ehelichen Gesprächs und von da aus zeigen wir die Stärken der Ehe auf für ein Leben aus der Fülle der Liebe, zu der wir tatsächlich berufen sind.

Einleitung 1. Vortrag

"Im Anfang war das Wort³. Auch für uns Liebende steht am Anfang das Wort, und dieses Wort heißt "Ja³. Alles beginnt mit diesem Wort, das zugleich jeden der beiden offenbart und mit dem einer den andern annimmt: Ja zu dir, ja zu deinem Leib und zu deiner Seele, zu deiner Geschichte, die nun unsere gemeinsame Geschichte wird. Das Ja der Hochzeit bricht die Einsamkeit jedes der beiden auf und öffnet sie für einander in der Wahrheit und in der Tiefe. Das Ja ist mithin unser erstes Band. Es ist ein Licht und ein Anruf, es wird selbst zur Quelle. Es ist ein Licht, denn wenn das Leben ein Weg ist, dann wird er erleuchtet von diesem Ja. Es ist ein Anruf, denn an jedem neuen Tag klingt es in meinem Gewissen wieder und stellt mir eine Frage: Wie kann ich heute mit dir eins bleiben? Schließlich ist es auch eine Quelle. Eine Quelle entspringt unscheinbar im Gebirge, und das Wasser fließt leise auf dem Schnee hinab, um dann im Frühling als Sturzbach herunterzuschießen. In der Ebene fließt das Wasser gemächlicher dahin, aber es bleibt immer das Wasser, das in der Höhe entsprang und sich schließlich ins Meer ergießen wird.

So ist es auch mit unserem Ja. Es ist eine Quelle, die man am Anfang - sei es zögernd, sei es kraftvoll - ans Licht kommen sieht, oder auch ein Wasser, das man friedvoll dahinströmen sieht, wenn die Ewigkeit in Sicht kommt ­ aber es ist und bleibt das gleiche Ja, heute, morgen und im Augenblick der Hochzeit. Es ist dieses Ja, das wir im Blick behalten wollen während unserer drei Vorträge.

Das Wort Person

Es ist unerlässlich, zuerst über das Wort Person nachzudenken, über ihre Einheit und über ihre Einzigartigkeit, denn dieses Wort enthält einen besonderen Reichtum, um dann zu erkennen, dass die eheliche Liebe die Personen respektiert und entfaltet. -  Die großen Verwirklichungen sind immer an sich unwahrscheinlich und zerbrechlich und sie überfordern die menschlichen Kräfte. Jedes große Werk, jedes Kunstwerk, jede Liebe ist tief rätselhaft. Man gelangt dazu durch das Staunen, man bleibt dabei durch die Danksagung. Ich schlage Ihnen vor,  philosophisch  diese erstaunliche  Einheit zu  betrachten, die sich in und durch die Liebe, in und durch die Familie verwirklichen lässt.

 

Einer der größten Philosophen aller Zeiten, Leibniz, hat in einem Satz die Wichtigkeit der Einheit für das philosophische Denken ausgedrückt. Dieser Satz, ursprünglich auf Französisch geschrieben, lautet: "was nicht wirklich ein Wesen ist, ist nicht wirklich ein Wesen". Jeder von uns, für seinen Teil, kann sich wohl vorstellen, dass über und in der Verschiedenheit der Glieder und Organe, die er besitzt, eine Einheit existiert, die er selbst ist. Diese Einheit ist nicht zuerst ein Ergebnis, eine Summe von Teilen, ein Ganzes. Ein Ganzes ist natürlich trennbar und mein Körper ist auch trennbar. Dagegen was in mir "ich" sagt und eins ist, ist nicht trennbar. Dieses Ich unterliegt Shakespeares Alternative: "To be or not to be". Sein heißt entweder eins sein - im Sinne der Untrennbarkeit - oder gar nicht sein.

Aber noch mehr: jeder von uns weiß  für sich selbst sowie für alle anderen: Sein heißt einzigartig sein. Die zeitgenössische Genetik gibt uns Einblick über die Einheit jedes Menschen und zeigt uns die außerordentlich großen Kombinationsmöglichkeiten  der Gene, die Unwahrscheinlichkeit, dass dieselbe Zusammenstellung zweimal vorkommt. Trotzdem reicht dieser Interpretation nicht aus um der Realität der Person gerecht zu werden.

Tatsächlich weiß jeder über die genetischen Kombinationsmöglichkeiten hinaus, dass der andere liebenswert ist und zwar unvergleichlich liebenswert. Die Liebe z.B. die man seiner Frau entgegenbringt ist nicht die gleiche, die man seinem Schwiegervater entgegenbringt, selbst wenn man die zur Schwiegermuter noch hinzufügt.

Das menschliche Wesen ist ein Geheimnis

Das Menschliche Wesen ist ein Geheimnis, dessen Tiefe sich nur im Lichte der Intelligenz und der Liebe ergründen lässt. Wegen seiner rätselhaften Tiefe ist der Mensch nicht imstande, sich selbst völlig zu erkennen. Das Geheimnis des menschlichen Wesens kann in zwei Wörtern zusammengefasst werden, nämlich Innerlichkeit und Zugänglichsein für den Anderen. Die eheliche Liebe weist eine Tiefe und eine geheimnisvolle Intelligibilität auf, die das daraus gewonnene Bewusstsein stets übertrifft. Die Seiten der Männlichkeit und der Weiblichkeit, die der ehelichen Liebe zugrunde liegen, können nur dank dieser Liebe und durch die in ihr liegende Beziehung zur Fruchtbarkeit ihren Höhepunkt erreichen. Um es deutlicher auszusprechen: Die eheliche Liebe stellt keine bloße Zusammenstellung zweier liebenden Wesen dar, sondern eine Mitgestaltung und eine Mitwirkung an dem, was dem Paar als Gemeingut erscheint. In dieser Mitgestaltung sind Mann und Frau gleichberechtigte, wenn auch verschiedenartige Personen. Mann und Frau : Ein einziges Herz aber zwei Gesichter. Darum geht es.

 

Seit Jahrzehnten ist man bemüht, die so genannte "weibliche Identität" ausfindig zu machen, um der männlichen Herrschaft ein Ende zu setzen. Doch hat diese unermüdliche Polarisierung auf die weibliche Identität zur Folge gehabt: -erstens dass der Mann nicht mehr genau weiß, wer er ist (als Konsequenzen davon können Gewalt und Homosexualität erwähnt werden) ; -zweitens dass die Frau in die Einsamkeit Zuflucht sucht, was für sie jede Anteilnahme und also jede Anerkennung ihres eigentlichen Wesens unmöglich macht.


Nur im Rahmen der ehelichen Liebe also kann das Geheimnis der Weiblichkeit und der Männlichkeit abgelesen und aufgeschlüsselt werden. Die allgemeine Erfahrung stimmt mit der Lehre der Heiligen Schrift überein. Bedenken wir, dass Adam, als er ganz damit beschäftigt war, den äußeren Gegenständen (d.h. den Pflanzen, den Tieren, kurz der Schöpfung) Namen zu geben, es jedoch nicht vermochte, sowohl den höchsten Sinn seiner eigenen Person als auch sein Glück zu entdecken. Nur dank der "Frau als Ehefrau" kann er die folgenden Worte aussprechen: "Das nun ist  Bein von meinen Bein und Fleisch von meinen Fleisch" (Genesis,2-23). Es ist, als würde die Frau (und die Schöpfung der Frau) ihm den Sinn des Geheimnisses nahe bringen, das jeder Mensch für sich selbst überhaupt ist. Hier erweist sich also die Frau als die erste Erzieherin bei dieser Rückkehr zu sich selbst, und dies durch ihre eigentliche Rolle als Ehefrau. Durch sie erscheint der auf die Dinge und das bloße Haben gerichtete Blick als in den Bereich der Innerlichkeit und des Seins zurückgeführt. Durch sie erkennt Adam sich selbst an. Gehen wir weiter: Indem er dieses erste menschliche Wort analysiert, das menschliches Liebeslied und erstes Gebet zugleich ist, wird dem Manne die in der Ehe maßgebliche Erfahrung der Rolle  des Wortes und des Schweigens zuteil. Hier geht es genauso wie im Bereich der Kunst. Das Schöne ist nämlich das, was dem Wort ermöglicht, die Transzendenz der Schönheit zum Ausdruck zu bringen. In jedem  menschlichen Paar und überhaupt dank der Frau wird es möglich sein, jenen Bewunderungszustand gegenüber all dem wieder zu entdecken, was gut und schön ist und allein in der Lage ist, unserem Leben höchste Bedeutung zu verleihen. Dies jedoch setzt die Öffnung der Herzens für das Einzigartige des Anderen voraus, sowie die Bereitschaft, dieses unvergleichliche Wesen bedingungslos zu empfangen.

Der Kern der Familie

Ehemann bzw. Ehefrau sein, heißt dank des Anderen und indem man sich ihm hingibt, die eigene Innerlichkeit zu entdecken. Darin liegt der Kern der Familie. Es ist offensichtlich, dass diese Betrachtungen eine Auffassung der Person voraussetzen, die ihre Innerlichkeit und ihre Fähigkeit respektiert: sich selbst zu kennen und in Freiheit, das heißt wahrheitsgemäß zu lieben, respektiert. Jedoch stellt meistens das tonangebende (herrschende) Denken in Europa die Einzigartigkeit und die Würde der menschlichen Person in Frage. Hier müssen zwei Einflüsse  besonders herangezogen werden:

 

a)  Ein verbreiteter Darwinismus verwischt die Verschiedenheit zwischen dem Menschen und den Primaten. Um es in einem Satz auszudrücken: "kratzt am Menschen, und ihr werdet den Affen finden; mengt   lange genug in den Primaten  herum und am Schluss ist der  Mensch da".
 
b) Die verbreitetste und weitschweifigste Theorie ist die von Sigmund  Freud. Sie will uns davon überzeugen, dass wir von unseren Trieben manipuliert sind, dass das "Es" den Grund und den Stoff unserer Persönlichkeit ausmacht. Nach ihr finden wir auf dem Grunde der augenscheinlichsten religiösen Realitäten und Erfahrungen befinden sich notwendigerweise unsere sinnlichen Neigungen. Unser Streben nach dem Wahren und Guten stellen nur Variationen über das Thema Lust und Realität dar.

Viele Zeitgenossen sind von diesem unglaublichen Reduktionismus überzeugt, ohne den Doktor Freud weiter zu hinterfragen. "Legen Sie sich hin", werde ich zu ihm  sagen. "Sagen sie mir, Herr Doktor, welcher Trieb führt Sie dazu,  alles auf Triebe zu reduzieren? Lohnte es sich darüber so viel zu schreiben? Steckt  dahinter Zwang oder Überzeugung? Wenn es sich um Überzeugung handelt, Herr Doktor, dann stehen sie auf und gehen sie, denn das heißt, dass die Wahrheit, die in uns liegt, sich nicht darauf reduzieren lässt, was wir von ihr sagen oder wie wir sie erleben. Sie steht über uns und zieht uns an. Sagen sie frei von  Komplexen, dass sie die Wahrheit suchen, und dass sie frei sind, es zu tun. Wir übrigens auch! Auf Wiedersehen, Herr Doktor, und bis bald! Wir  sind  quitt! Und das  umso mehr, als wir kostenlose Vorlesungen halten!

Kommen wir nunmehr auf die Begegnung zurück, auf die sich die Familie gründet, denn sie  ist der Ort ihres Ursprunges. Die Liebe des Mannes und der Frau stellt zwei Personen gegenüber, die dieselbe Natur besitzen, obwohl sie nicht demselben Geschlecht angehören. Ist das so evident? wird man fragen. Heute nicht. Diese Begegnung ist die rätselhafteste aller menschlichen Begegnungen. Unterstreichen wir einige Hauptpunkte. Im Verhältnis zu einem anderen Thema  könnte die Frage so gestellt werden: Welches Verhältnis gibt es zwischen der Einheit der Person und derjenigen des Ehepaares? Ich schlage gleich die folgende Antwort vor: Sie bedingen einander und entwickeln sich eine dank der anderen, so dass ich als Philosoph die folgende These aufstelle: einzig die Ehe als monogam Einheit für das ganze Leben, die auch offen ist für das Leben,  respektiert  die Einheit der menschlichen Person. Es gibt meiner Meinung nach eine Logik der Liebe, der Freundschaft, die uns dazu führt, den anderen als eine von uns verschiedene und dennoch gleiche Person anzuerkennen und   ihre einzigartigen  persönlichen  Fähigkeiten zu bejahen. Wie jede Freundschaft zielt die eheliche Liebe zuerst auf das Gute bei dem anderen, aber auf eine besondere Art vereint die eheliche Liebe Zuwendung und Fruchtbarkeit der Liebe, da sie im Körper  der Verliebten selbst das Zeichen und in einem gewissen Sinne die Ursache ihrer Liebe sieht. Als Zeichen der Zuwendung der Personen drückt der Körper  diese Fruchtbarkeit einer verklärenden Liebe aus und gestaltet den Körper um. Das gegenseitige Geschenk des Leibes in der ehelichen Hingabe als dem zentralen Ort der Einheit der Personen enthüllt die wahre Bedeutung personaler Geschlechtlichkeit.  In ihr vereinigen sich Natur und Freiheit nicht ohne Schwierigkeiten. In ihr spricht der Körper die Sprache des Geistes, wenn die Fähigkeiten der Natur im Dienst der wahren Zusammengehörigkeit der Personen stehen.


Um es ganz deutlich zu sagen: wenn man von der  Einheit des Mannes und der Frau  spricht, dann genügt es nicht, vom "Paar" zu sprechen. "Paar" ist ein mathematisches Wort. Unser Problem ist: wie verhalten sich -mathematisch gesprochen - die beiden  Einheiten  des Ehepaars zueinander. Handelt es sich um einen Verein, oder um die Begegnung eines einzigen Abends oder um einen einfachen Vertrag? Handelt es sich wie im Wirtschaftsleben um ein "jointventure", in dem jeder auf der Suche nach seinem eigenen Interesse knapp kalkuliert? "sex and tip included"! ?

Meine Antwort ist: Die Eigenart der Heirat besteht darin, dass  die Einheit des Ehepaares  aus dem Ziel resultiert,
das die grundlegende Basis  dieser Einheit ist.

Denn es handelt sich um den einzigen Vertrag, der sich auf die Person als solche  bezieht, die  berufen ist, sich zu verschenken und indem sie sich hingibt zu entdecken, wer sie ist. Anders gesagt: was ist in der Inhalt des Vertrages? Welche Vereinigung wird dadurch verwirklicht? Indem wir unsere Persönlichkeiten  in ihrer Verschiedenheit und Gleichheit vereinen, indem wir  Körper und Seele hingeben, entdecken wir, dass es sich um eine Vertrag handelt und dass er  das Werk des freien Willens ist. Die echte Frage die man den Verliebten stellt ist die folgende: ist der Mann oder die Frau meines Lebens wirklich der Mann oder die Frau meiner Wahl? Beruht diese Gemeinschaft  des Ehepaares wirklich auf meiner /unserer Freiheit?
Diese Vereinigung, die in  Liebe und Freiheit geschieht, erweist sich nur dann als eine unbedingte Annahme des anderen, wenn das "Ja" für das ganze Leben gilt. Die Treue bis zum Tode ist also nicht wahlfrei für eine Liebe, die sich auf die Totalität der Person des anderen bezieht und die aus der Tiefe meiner Freiheit kommt.

Ein Vertrag - nur durch den Tod gelöst

Der Vertrag, der   die Persönlichkeit des anderen umfasst, kann nur durch den Tod gelöst werden. Das "Ja" der Hochzeit wiederholt sich  jeden Tag, da diese Einheit zwischen den beiden liebenden Personen nicht mit der Zeit vergeht.  In diesem Ausdruck befindet sich nicht die geringste Spur von Romantik. Ich halte die Prosa des tief erlebten Alltagslebens für die allerletzte Poesie der Liebe. Ich misstraue  vielmehr den verworrenen    Auffassungen vor Liebe, in denen angeblich die Person verschwindet und die Gemeinschaft aus diesem Verschwinden entsteht. Ganz im Gegenteil! Die Wahrheit des Liebesverhältnisses entwickelt die Person. Mehr noch: die wahrhaftige Einheit des Ehepaares eint jeden mehr mit sich selbst. Ich sage nicht: Sie konzentriert ihn mehr auf sein Ego .Man muss deutlich betonen: Wenn man sich dem anderen hingibt, entdeckt man sich selbst mehr  und man kann dadurch sein eigenes Leben um diese Liebe und diese Hingabe zentrieren. Ist dies nicht übrigens einer der Aspekte der zeitgenössischen Krise, dieser allgemeinen skeptischen Einstellung, dieses Nihilismus: Wozu die Liebe ? Genießen wir! Trotzdem: Ohne Hingabe bleibt mir meine eigene Tiefe unbekannt. In der Tat, das erste Geschenk der Liebe ist die Kenntnis und das zweite die Erkenntnis. Um einen Ausdruck von Karol Wojtyla wieder aufzunehmen:

In der Liebe entdeckt  sich jeder selbst durch den anderen.

Was die Erkenntnis betrifft, lassen Sie mich einfach sagen, dass jeder Liebende sehr gut einsieht, dass die Begegnung mit dem anderen und die gegenseitige Liebe in den Bereich der Hingabe und des Geheimnisses gehören. Der Liebende macht zwar diese Erfahrung, ist aber  nicht ihr Schöpfer. Daher die Feststellung: Die Liebe kommt mir von außen zu und wirkt über mich hinaus sowie die offene Frage: Was ist die allerletzte Ursache der Liebe und wer ist um mit Dante zu sprechen der zuerst "Liebende"? Die Liebe ist recht irrational in dem Sinne, dass sie die Ratio in Verlegenheit bringt. Sie ist aber nicht unverständlich denn nur sie kann  die Sehnsucht der Person voll befriedigen. Dass hier die Person in Pflicht genommen wird, ist eine Pädagogik der Liebe selbst, die die Liebenden über sich hinaushebt. Dies ist die letzte Vertiefung meiner Vorlesung und so lautet auch ihr letzter Teil .Um diese Überlegung einzuführen, gestatten Sie noch einmal, dass ich Ihnen eine persönliche Geschichte aus unsere Ehe erzähle. Es ist schon  einige Jahre her.

Wir hatten gerade unser erstes Kind bekommen und wie viele junge Eltern wussten wir nicht so genau, wie man  mit einem Kind umgeht. Die Nächte waren besonders schwierig denn unsere kleine Tochter weinte und jeder von uns bemühte sich,  diese ermüdende  nächtliche "Sängerin" zu beruhigen. Sehr spät am Abend oder sehr früh am Morgen - ich erinnere mich nicht mehr genau - war das Kind gerade endlich eingeschlafen und wir schickten uns an, ins Bett zu gehen, als meine Frau gefühlvoll das eingeschlafene Kind betrachtete und zusagte " wie  wunderbar, jetzt begreife ich  wie sehr meine Mutter  mich geliebt hat."  

Das Kind Verkündet seinen Eltern - den Liebenden, wer sie sind. In der Tat sind Wir  alle Kinder.

Aber diese Möglichkeit, dass die Liebe es durch ihre Fruchtbarkeit möglich macht, auf seine eigene Geschichte zurückzukommen, auf die eigene Genealogie, unterstreicht die Tatsache, dass die Sexualität voll zur Identität der Person und zu ihrem Geheimnis gehört. Es ist mithin eine sehr verkürzte Auffassung von Sexualität, die in den Köpfen und Herzen unserer Zeitgenossen Fuß gefasst hat.

Die menschliche Sexualität

Nur in einer Symbiose des Leiblichen und Affektiven, des Gegebenen und des Freigewollten kann die menschliche Sexualität völlig begriffen werden. Ihr Wesen  bekommt sie nur in dieser Vervollständigung durch die Freiheit. Dass es eine Natur der menschlichen Sexualität gibt, besagt nicht, dass diese sich dem Mechanismus unterwirft, sondern dass das Biologische im Menschen dazu berufen ist, sich durch das Geistige ergänzen und vervollkommnen zu lassen. Das  Nichtvorhandensein eines Instinkts weist darauf hin, dass unsere Freiheit, statt sich in einer  verschlossenen Welt zu verschanzen, den Auftrag bekommen hat, als Hauptdarstellerin zur  Vereinheitlichung unserer Person beizutragen. In dieser Perspektive kommt es ihr zu, der Sprache des Leibes zuzuhören und den Leib zu verantworten. Das Nichtvorhandensein des Instinkts ist also  gleichsam einer "Tiefdruckinschrift" ähnlich, die die Spur der genauer Rolle der Freiheit aufweist. Es gibt weder eine Unbestimmtheit, die die  Sexualität der Willkür   opfern würde, noch eine instinktmäßige Bestimmtheit, sondern eine Orientierung, die einer Vervollkommnung durch die Freiheit bedarf. Dieser Schluss beleuchtet mehrere Aspekte des persönlichen Lebens. Um daraus die richtige Lehre zu ziehen, muss er noch einmal wie folgt ausgedrückt werden: Im Fall des Menschen wird  die Natur  wesentlich durch die Freiheit vollzogen.


Daraus wird klar, weshalb jede Thematisierung der Sexualität zwischen Scylla und  Charybdis, zwischen einem bleiernen Determinismus und einer illusorischen und absoluten Unbestimmtheit schwankt. In beiden Fällen wird die Person und ihr Glück diesem Irrtum mit doppeltem Gesicht geopfert. Diese Inanspruchnahme der Sexualität im persönlichen Modus führt uns dazu, über die Zeit nachzudenken. So wie es früher galt, gegenüber der Sexualität nicht gerade eine besondere Haltung oder eine Gebrauchanweisung ausfindig zu machen, sondern sich zugunsten einer Anthropologie zu entscheiden, geht es nun mehr darum, auf eine ursprüngliche und selten entwickelte Weise die menschliche Zeitlichkeit zu erfassen. Alle wichtigen  Aspekte wird hier versammelt, nämlich: die physiologischen Rhythmen, (insbesondere die weibliche Periode), der psychische Auf und Ab der gegenseitigen Anziehung und die langfristigen Projekte der Person. Wir schlagen  vor, zu sagen, dass das Entscheidende und Herausfordernde eines harmonievollen Umgangs mit der Sexualität darin besteht, auf die drei oben genannten Elemente Rücksicht zu  nehmen und sie miteinander in Einklang zu bringen. Noch einmal  das  Problem: wie kann die Einheit von unterschiedlichen Teilen, nämlich von Psychischem, Psychologischem und  Geistigem gedacht werden? Die Antwort darauf kommt nicht von selbst. In der Tat schwanken unsere Zeitgenossen zwischen einer  Zwangsreduzierung des Geschlechtlichen auf ein unpersönliches Es und einer übertriebenen Idealisierung, die die Sexualität im Bereich der Lust einsperrt. Damit möchten wir nun den ersten Vortrag beschließen. Die Begegnung der Liebenden, die ihren endgültigen Sinn im Ja findet, vereinigt diesen Mann und diese Frau in einer Geschichte, die eine sakrale, ja eine heilige Dimension besitzt. Ihr persönlicher Lebensplan ­ d.h. von Gott aus gesehen ihre Berufung ­ gibt diesem gemeinsamen Leben die Fülle seiner Sinnhaftigkeit. Freilich, damit diese sich verwirklicht, ist es nötig, dass jeder seine ganze Person in den Dienst der ehelichen Gemeinschaft stellt. Darum ist es wichtig, die Freiheit jedes einzelnen zu achten und den Sinn des geschlechtlich definierten Leibes. Für jede Ehefrau ist es grundlegend, dass der Mann ihres Lebens der Mann ihrer Wahl ist. Darum müssen wir an unsere Fähigkeit, wählen und uns für das ganze Leben verschenken zu können, glauben. Aber es ist nicht weniger wichtig, den Sinn des geschlechtlich definierten Leibes voll anzuerkennen: seinen Leib verschenken bedeutet, sich als Person ganz verschenken. Geschlechtliche Beziehung ist weder ein sozialer noch ein Initiationsritus, sondern ein persönlicher Ausdruck eines wirklichen Sich-Verschenkens. In ihr spricht sich die ganze Person aus. Und deshalb ist es richtig, still zu werden, bevor man spricht und nachzudenken über das, was man zu sagen hat.
Es ist Zeit, zum Schluss zu kommen. Es gibt eine Logik der Liebe, und wir haben versucht, sie darzustellen. Sie wird uns nachher dazu führen, die Liebenden erneut anzutreffen, die, weil sie sich lieben, andere Personen, vornehmlich ihre Kinder, in ihre Liebe und Freude einzubeziehen.