Durch die neuen Erkenntnisse im Zusammenhang mit künstlicher
Befruchtung, mit der Entstehung des Lebens und seiner Entfaltung in den ersten
Tagen, Wochen und Monaten, durch die Entdeckung der Chromosomen, die fast zur
Gänze erreichte Entschlüsselung des menschlichen Genoms, durch die Fortschritte
in der Gentechnik und der Genanalyse, durch die Erfahrungen mit
Organtransplantationen und durch die neuen Einsichten bezüglich Stammzellen
befinden wir uns offenbar an der Schwelle eines neuen Entwicklungsschubes der
Medizin und anderer Bereiche der Naturwissenschaften und Technik.
Es eröffnen sich neue Möglichkeiten der Diagnose
wie z.B. zur frühzeitigen Erkennung von Erb- und anderen Krankheiten bzw.
Krankheitsgefährdungen und neue Möglichkeiten
der Therapie.
Durch Klonen und andere Errungenschaften der Biotechnik können neue Medikamente
hergestellt werden (wie z.B. Hormone, Interferon, Impfstoffe, Faktor 8 bei
Hämophilie usw.). Somatische Gentherapie, Keimbahngentherapie, erschließen neue
Perspektiven ärztlichen Eingreifens und die vielleicht schon bald realisierbare
Entwicklung von Organen aus Stammzellen, kann zur Erfüllung bringen, was man
vor nicht allzu langer Zeit nicht einmal zu träumen wagte.
Im Bereich der Agrikultur und der Tierzüchtung liegen schon relativ viele Er-gebnisse als Frucht der Biotechnologie vor. Trotz aller Einwände der Umweltschützer führen wirtschaftliche Interessen, der Forschungsdrang der Wissenschaftler und wohl auch die Hoffnung, mit besseren Produkten mancher Not wirksamer begegnen zu können bzw. neue Ressourcen zu gewinnen oder diese besser zu nützen, zu einer anscheinend unaufhaltsam fortschreitenden Entwicklung.
Es bestehen bei diesen neuen Entwicklungen auch neue Gefährdungen. Besonders alarmierend sind jene, die den Menschen betreffen.
Wer sich mit der derzeit in fast allen
zivilisierten Ländern üblichen Praxis der Schwangerschaftsuntersuchungen
befaßt, die Entwicklungen bezüglich künstlicher Befruchtung und den Einsatz von
embryonalem Gewebe verfolgt, empfängt unwillkürlich den Eindruck, daß nach dem
derzeitigen Usus — abgesehen von den Abtreibungen, die aus persönlichen Gründen
durchgeführt werden — mit menschlichem Leben sehr unbekümmert umgegangen wird.
Da ist von gezielten und selektiven Fetoziden die Rede. Die Diagnose bzw. schon
allein der geringste Verdacht auf das Vorliegen einer Mißbildung bedeuten meist
ein Todesurteil für das Kind. Daß zur „Qualitätssicherung" nur Embryonen
mit tadellosem Genbefund eine Chance haben, eingepflanzt zu werden, daß zur
besseren Effizienz mehrere Eizellen zugleich transferiert und nachher überschüssige
eliminiert oder für wissenschaftliche Zwecke freigegeben werden, scheint bei
einer offenbar nicht wenig verbreiteten Mentalität unter Ärzten Routine zu
sein. Immer häufiger wird in manchen Ländern auch der Elternwunsch, ob Bub oder
Mädchen, berücksichtigt. Der Embryo muß dann sterben, wenn er nicht das
gewünschte Geschlecht hat. Da gibt es Gewebebanken mit fetalem Gewebe, mit
genauer Angabe des Alters des Fetus, dem sie entnommen wurden, und Medikamente,
die aus embryonalen Substanzen hergestellt worden sind.
Es ist verwunderlich, daß trotz der
genauen Kenntnisse in Bezug auf die menschlichen Keimzellen und ihre
Befruchtung, trotz des Wissens um die kontinuierliche Entwicklung des Kindes
aus der befruchteten Eizelle unlogische Bezeichnungen und Unterscheidungen
unter Ärzten eingeführt wurden: es hat sich eingebürgert, erst nach erfolgter
Einnistung in der Gebärmutter vom Embryo zu sprechen. Vorher benennt man das
sich entwickelnde menschliche Leben als „Zellhaufen", manchmal auch als
„Präembryo". Die Absicht, die sich dahinter verbirgt, ist nicht schwer
erkennbar: Man möchte die Durchführung von Fetoziden, von Selektionsverfahren
bei künstlicher Befruchtung, die Eliminierung von befruchteten Eizellen oder
ihre Verwendung für Experimente als harmlose Maßnahmen erscheinen lassen und
die Wirksamkeit der Spirale, den nidationshemmenden Effekt der Pille bzw. die
Pille danach als Empfängnisverhütung ohne Verstoß gegen die Integrität des
Lebens darstellen. Durch die Kenntnisse im Zusammenhang mit den Chromosomen ist
unser Wissen klarer denn je, daß nach erfolgter Verschmelzung der Gameten die
Einzelperson mit all ihren unaustauschbaren Eigenschaften angelegt und in ihrer
Entwicklung festgelegt ist.
Nicht verwunderlich ist dagegen, daß
auch bezüglich des Lebensendes die Frage nach der Erlaubtheit des menschlichen
Eingreifens im Sinne einer aktiven Sterbehilfe laut wird. Darf der Mensch
seinem Leben nicht ein Ende setzen, wenn es nicht mehr „lebenswert" ist,
wenn gewisse Voraussetzungen, eine minimale „Lebensqualität" nicht mehr
gegeben sind? Würden nicht auf diese Weise persönliche, soziale, auch
finanzielle Belastungen vermieden? Die Euthanasiediskussion ist eine logische
Folge der bei vielen Menschen veränderten Einstellung zum Leben.
Klonierungen, Eingriffe in die menschliche
Keimbahn, Züchtungen von Menschen neuer Art rücken Horrorszenarien in den Bereich der Möglichkeit.
Klonierungen zur Absicherung von Organersatz, vielleicht auch zur Erzeugung von
Medikamenten werden bereits als erwägenswert betrachtet. Der Bedarf an Organen
ist groß, wird immer noch größer und vielfältiger, denn Organtransplantationen
sind zur Routine geworden. Vieles, was noch vor 30 Jahren als absurd bezeichnet
worden wäre, ist es heute nicht mehr, und es finden sich immer solche, die sich
sagen: Warum nicht?
Andere Fragen stehen mit der Identität und Integrität der menschlichen Person im Zusammenhang sowie mit der Bewahrung der Schöpfung.
Der Arzt, der eine künstliche
Befruchtung im Reagenzglas durchführt, mag zwar — ich weiß nicht wie das ist —
ein beinahe göttliches Gefühl haben, wenn er die Gameten auswählt, die sich
miteinander vereinen sollen, aber ich frage mich: Wird es für den erwachsen
werdenden oder bereits erwachsenen Menschen nicht vielleicht doch zu einem
Problem werden, wenn ihm/ihr Zweifel kommen, ob nicht der Arzt bei der
Befruchtung die Eizelle oder den Samen verwechselt hat? Ich habe im Laufe der
Jahre mit mehreren Personen zu tun gehabt, die sehr darunter gelitten haben,
daß sie nicht mit Sicherheit wußten, wer ihr wirklicher Vater ist.
Beim natürlichen Vorgang einer
geschlechtlichen Vereinigung zwischen Mann und Frau kommt jedenfalls unter
Millionen von Samenzellen nur eine bestimmte zum Zug, ohne daß dies von
menschlicher Hand beeinflußt werden könnte. Dies mag manchem als nebensächlich
erscheinen, und doch zeigt es, wie konkret und manipulativ der Arzt hier
eingreift, wenn er im Reagenzglas befruchtet.
Andere wichtige Fragen ergeben sich im
Zusammenhang mit Genanalyse und Eingriffen in die menschlichen Keimbahnen, auf
die ich im vorgegebenen Zeitrahmen dieses Vortrags nicht eingehen kann.
Und bezüglich Bewahrung der Schöpfung? Auch in diesem Zusammenhang sind Fragen offen. Wer kann die Auswirkungen mancher biotechnisch herbeigeführter Veränderungen an Tieren und Pflanzen abschätzen? Wer weiß, welche Folgen sich im Ökosystem einstellen, und ob durch neuartige Nahrungsmittel nicht doch die Gesundheit von Tier und Mensch beeinträchtigt wird?
Aus allen diesen Erwägungen der
positiven und negativen Aspekte der jüngsten Entwicklungen in Medizin, Biologie
und Umwelt durch die neuesten Errungenschaften der Gentechnik ergeben sich m.E.
zwei grundlegende Optionen:
Muß
wegen der bestehenden Gefahren und Gefährdungen jede Forschung mit Hilfe der Gentechnik
abgelehnt werden, obwohl manche oder sogar große Fortschritte bezüglich
Ressourcen an Nahrungsmitteln, neuen therapeutischen Möglichkeiten usw. zu
erreichen wären? Auf diese Frage einfach mit ‚nein’ zu antworten, wäre nicht
nur utopisch, weil die Entwicklung sicher weiter geht, meines Erachtens wäre es
— wenn die Antwort undifferenziert erfolgt — auch vom ethischen Standpunkt aus
falsch.
Darf
der Mensch also alles tun, was er kann? Diesbezüglich ist tatsächlich ein
klares ‚nein’ die einzig mögliche Antwort.
Im ersten Buch der Bibel, im Buch
Genesis, wird uns berichtet, daß der Mensch, der als Gottes Abbild erschaffen
wurde im Zusammenhang mit der Schöpfung, von Gott den Auftrag erhalten hat:
„Seid fruchtbar, und vermehrt euch, bevölkert die Erde, unterwerft sie euch,
und herrscht über die Fische des Meeres, über die Vögel des Himmels und über
alle Tiere, die sich auf dem Land regen" (Gen 1, 27-29). Es darf nicht
übersehen werden: Der Mensch wird durch diesen Auftrag noch lange nicht zum Schöpfer,
von dem alles abhängt. Schon im Paradies gibt es einen Baum, von dem er nicht
essen darf (vgl. Gen 2, 17). In der Schöpfung gelten gewisse „Gesetze",
die sich dem Zugriff des Menschen entziehen, die gelten, ob sie von ihm
beachtet werden oder nicht. Wenn der Mensch diese „Gesetze" nicht
beachtet, dann hat dies entsprechende Folgen. Es gehört freilich von Anfang an
zur Grundversuchung des Menschen, sich über alle Schranken — auch über die von
Gott gesetzten — hinwegzusetzen. So geschieht es bereits bei Adam und Eva. Da
sie wie Gott werden, gut und böse erkennen möchten, essen sie von den Früchten
des Baumes, der ihnen verboten ist (vgl. Gen 3, 6). Da gingen ihnen die Augen
auf. „Sie erkannten, daß sie nackt waren" (Gen 3, 7).
Ein anderes Beispiel ist der Turmbau zu
Babel. Genesis berichtet: „Sie sagten zueinander: Auf, formen wir Lehmziegel,
und brennen wir sie zu Backsteinen. So dienten ihnen gebrannte Ziegel als
Steine und Erdpech als Mörtel. Dann sagten sie: Auf, bauen wir uns eine Stadt
und einen Turm mit einer Spitze bis zum Himmel, und machen wir uns damit einen
Namen, dann werden wir uns nicht über die ganze Erde zerstreuen" (Gen 11,
3-4). Die Hybris führt den Menschen immer wieder in Versuchung, sich als Gott
zu versuchen, oder wenigstens als Halbgott, heute mehr denn je. Das
Fortschreiten der Erkenntnis und der Technik läßt als verlockend erscheinen,
alles, was den Menschen betrifft, in den Griff zu bekommen: nicht nur die Frage
der Armut und der anderen Nöte in der Welt, sondern insbesondere den Anfang und
das Ende des menschlichen Lebens, die Fortpflanzung, die Veranlagungen des
einzelnen und der Völker, die Entwicklungen der Gesellschaft und ihrer
Lebensbedingungen. Im Vordergrund stehen Abwägungen der Nützlichkeit,
Einschätzungen des Lebenswertes, Projekte einer neuen Welt.
Es stellen sich dabei große Fragen:
Welche Leitlinien sind zu beachten, damit die erstrebten Entwicklungen sich
positiv auswirken? Wie erkennen, was erlaubt und gut ist? Können Einzelpersonen
oder mehr oder weniger kleine Gruppen von Personen in irgend einer Weise auf
die im Gang befindlichen Entwicklungen Einfluß nehmen? Oder muß man einfach
zuschauen, wie es weitergeht? Kann man als Einzelperson etwas dafür oder
dagegen tun?
Um
diesen Problemen verantwortungsbewußt zu begegnen, scheint es mir notwendig,
einige grundlegende Aspekte des Menschseins vor Augen zu haben. Dazu gehören
Der Mensch hat kein absolutes
Verfügungsrecht über sein eigenes Leben oder das eines anderen. Das Leben ist
ein Geschenk, das wir empfangen haben. Mit ihm verbindet sich — wie Papst
Johannes Paul II. es oft gerne ausdrückt — „ein Vorhaben Gottes". Damit
ist gemeint, daß sein Ziel über das jetzige Dasein hinausreicht. Aus dieser
Einsicht leitet sich das Gebot Gottes ab: „Du sollst nicht töten."
Sie werden vielleicht sagen: Diese
Auffassung ist durch eine bestimmte Glaubenshaltung bedingt. Wer nicht an Gott
glaubt, ist nicht unbedingt daran gebunden.
Es ist wahr, daß der Glaube an Gott die
beste Voraussetzung vermittelt, um das Geheimnis des Menschen und seines Lebens
zu begreifen. Ohne diesen Glauben ist es vor allem in Grenzsituationen
zumindest in Bezug auf sich selbst und in Bezug auf andere, die selbst den
Wunsch äußern, sterben zu wollen, schwerer, daran festzuhalten, daß es niemals
erlaubt ist, einen Unschuldigen zu töten. Es gibt aber, auch ohne Zuhilfenahme
des Glaubens, gute Gründe, die bewußt machen, daß wir über unser Leben oder das
eines anderen niemals einfach verfügen dürfen. Dafür wäre freilich ein längerer
Diskurs nötig. Auch für den Nichtglaubenden steht wohl außer Frage, daß das
Recht auf Leben das grundlegendste Recht jedes Menschen ist.
Und was ohne jeden Zweifel klar ist: die
Unterscheidungen, die sich auf verschiedene Phasen der Entwicklung nach der
Befruchtung einer Eizelle beziehen — „Zellhaufen", „Präembryo",
„Embryo" — sind künstlich und haben keinerlei wissenschaftliche
Berechtigung. Denn es ist eindeutig erwiesen, daß sich der Mensch
kontinuierlich aus der befruchteten Eizelle entwickelt. Bei jeder Vernichtung
einer befruchteten Eizelle oder eines menschlichen Keimes in einer der
darauffolgenden Entwicklungsstadien ist davon auszugehen, daß da ein Mensch ist
(oder jedenfalls sein kann), der getötet wird. Und die Verwendung eines Embryo
für Forschungen gleicht — so unangenehm ein solcher Vergleich klingen mag — den
Menschenexperimenten in nationalsozialistischen Horrorlagern. Da besteht kein
wesentlicher Unterschied. Ähnlich verhält es sich bei selektiven oder gezieltem
Fetozid: So wie damals bei Eintreffen von Häftlingen von einem Arzt die
arbeitsfähigen aussortiert und die anderen zum Vergasen freigegeben wurden,
geschieht es auch jetzt.
Auch die Gewinnung und Verwendung von
fetalem Gewebe aus abgetriebenen Feten ist nicht zu rechtfertigen. Es handelt
sich zwar nicht um die gleiche Problematik wie bei Verwendung von Embryonen,
weil die Kinder, denen das Gewebe entnommen wird, bereits tot sind, aber es
wird doch zu einer Art der Mitwirkung bei Abtreibungen. Ich empfinde es auch
als schrecklich, wenn ein Parkinsonkranker denken muß, daß für seine Therapie 6
— 7 Embryonengehirne nötig sind. Dazu kommt noch, daß der Therapieerfolg gar
nicht so großartig ist, wie man eine Zeitlang meinte.
Ich vernachlässige die Frage der
Euthanasie, auch wenn sie hier eigentlich ebenfalls zu behandeln wäre. Ich
möchte mich nur darauf beschränken festzustellen: Der Mensch muß nicht immer
alle außerordentlichen, heute zur Verfügung stehenden Mittel und Methoden zur
Lebensverlängerung anwenden bzw. zur Anwendung bringen lassen, aber niemals
darf er sich das Leben nehmen; aktive „Sterbehilfe" ist niemals erlaubt.
Jeder Mensch ist einmalig, unaustauschbar,
unwiederholbar. Die Würde des Menschen wurzelt in seiner Erschaffung nach
Gottes Bild und Ähnlichkeit. Der christliche Glaube besagt, daß seine Berufung
in der Seligkeit zur Vollendung kommt. Aufgabe des Menschen ist es, in Freiheit
auf diese Vollendung zuzugehen.
Sie werden sagen: Das sind wieder
Glaubenssätze. Der Glaube an Gott und seine Offenbarung vermittelt in der Tat
den tiefsten Einblick in die Zusammenhänge des menschlichen Lebens. Diese sind
aber auch durch natürliche Gründe erfaßbar.
Jeder einzelne Mensch ist ein Wert für
sich. Das gilt für kranke und behinderte, alte und schwache Menschen, auch für
Embryonen und, falls sie entstehen sollten, für Geklonte. Wegen seiner
Einmaligkeit und besonderen Bestimmung — für das ewige Leben — darf kein Mensch
so wie eine Sache oder wie ein Tier zugunsten anderer Menschen
instrumentalisiert werden, auch dann nicht, wenn die Absicht in Bezug auf
diesen anderen an sich eine gute wäre (wie z.B. seine Heilung erstreben).
Wenn Embryonen zur Gewinnung von fetalem
Gewebe, von Stammzellen oder für Experimente verwendet werden, ist das ein
Vergehen, mag die Absicht noch so sehr darin bestehen, wissenschaftliche
Fortschritte zu erzielen oder bestimmten Personen zu helfen. Ebenso wäre die
Klonierung zur Schaffung eines Organersatzes ethisch verwerflich.
Andererseits scheint mir ein Eingriff in
die menschliche Keimbahn bei Vorliegen einer rein therapeutischen Absicht,
sofern ein solcher Eingriff keinen Verstoß gegen menschliches Leben voraussetzt
und eine entsprechende minimale Sicherheit vorliegt, - jedenfalls theoretisch —
ethisch vertretbar: der Mensch würde durch die Heilung in seinem
Gottesabbildcharakter bestärkt. Ganz anders zu beurteilen wäre eine damit
verbundene „Züchtungsabsicht". Ähnliches scheint mir bezüglich
Stammzellentherapie zu gelten, sofern sie von einem Erwachsenen, d.h. unter
Beachtung der Integrität des Lebens — gewonnen werden.
Je stärker ein medizinischer Eingriff die
Kernbereiche der Person betrifft, persönliche Geheimnisse für andere zugänglich
macht, Veränderungen der Persönlichkeit hervorruft, umso wichtiger ist die
Achtung der Freiheit des einzelnen und umso größer die Verantwortung aller
Beteiligten. So kann z.B. auf Vorliegen einer Organverfügung seitens des
Patienten, dem das Organ entnommen werden soll, oder im Falle seiner
Unfähigkeit, seitens seiner nächsten Verwandten nicht verzichtet werden. Bei einem
Eingriff in die Keimbahn wird die Einwilligung des Patienten ebenfalls von
größter Bedeutung sein.
Niemand darf zu einer außerordentlichen
Therapie gezwungen werden, wenn er sie nicht haben möchte, und kein Arzt darf
darauf verpflichtet werden, Eingriffe durchzuführen, die er nach seinem
Gewissen nicht verantworten kann.
Von größter Bedeutung ist das Bewußtsein,
daß die naturwissenschaftliche Methode, auch dann, wenn sie noch so hoch
entwickelt und durch modernste Technik unterstützt wird, das Geheimnis des
Menschen nicht zu lüften vermag.
Auch wenn das menschliche Genom zu 100 %
entschlüsselt sein wird, der Mensch bleibt mit seinem Verstand und seinem
Willen, seiner Freiheit und Verantwortung, seiner Fähigkeit zu Liebe und Haß
ein Geheimnis. Und selbst wenn es zu Klonierungen kommen sollte, wird sich der
Mensch, der so entstanden ist, nicht unbedingt gleich entwickeln, wie jener,
der die gleiche Erbmasse besitzt: die Lebensumstände sind wohl kaum genau die
gleichen, die Gene determinieren nicht zur Gänze den Menschen, die
Entscheidungen können unterschiedlich ausfallen. Das beobachtet man auch bei
eineiigen Zwillingen.
Das Entstehen des Menschen wird immer ein Geheimnis
bleiben und auch sein Tod. Wir kennen nur Symptome, Hinweise auf die
entsprechenden Vorgänge, die ganze Realität ist aber nicht faßbar.
Die Verantwortung ist bei Anwendung der
neuen Techniken in Bezug auf Schöpfung und den Menschen groß, weil sein
Eingreifen sehr schwerwiegende Folgen haben kann und insbesondere die
Langzeitfolgen kaum abschätzbar sind.
In Hinblick auf die neuen Möglichkeiten
der Gentechnologie von einem 8. Schöpfungstag zu sprechen, scheint mir
zwar vom Standpunkt der Journalistik attraktiv, in Wirklichkeit geht es darum,
daß der Mensch seine Intelligenz und alle seine Fähigkeiten nützt, um die
Schöpfung zu bewahren, ihre Ressourcen nicht zu Lasten der Nachkommen zu
vergeuden, sondern gut zu nützen bzw. neue Ressourcen zu finden; es geht darum,
bessere Therapien und Heilmittel für den Menschen zu finden immer im
Bewußtsein, daß der Mensch nicht alles, was er tun kann, auch tun darf. Das
bedeutet nicht eine neue Schöpfung! Wenn sich der Mensch über gewisse Gesetzmäßigkeiten,
die in der Schöpfung selbst, insbesondere auch in der Natur des Menschen
verankert sind, hinwegsetzt, dann kann sich das für ihn und die Welt schlimm
auswirken.
Es ist wohl davon auszugehen, daß
manche Menschen der Versuchung nicht widerstehen werden, gewisse Forschungen
mit allen Mitteln voranzutreiben, wenn sie sich davon Erfolg erwarten.
Der Einzelne
sollte sich aber sagen: ich
werde nicht tun, was nicht verantwortbar ist! Heute muß sich ein Forscher, ein Arzt, ein Techniker sehr
wohl überlegen, bei welchen Forschungsprojekten er mitwirkt, welche ärztlichen
Handlungen er durchführt oder wo er aus Gewissensgründen sein Mittun
verweigert. Dort, wo es um das Gebot geht: ‚Du sollst nicht töten’, wo die
Integrität der Person, ihre Freiheit und Würde nicht beachtet werden, gibt es
keine Wenn und Aber. Auch als Patienten werden wir uns heute ein Urteil bilden
müssen, welche Arten der Therapie wir angewendet wissen wollen und was wir ablehnen.
Ich halte es auch für angebracht, Verfügungen zu treffen für den Fall, daß wir
nicht mehr „capax" sein sollten.
Wichtig scheint mir auch, gewisse Demaskierungen
dort vorzunehmen, wo Verschleierungen stattfinden. Das menschliche Leben ist
vom Augenblick der Empfängnis an bis zum natürlichen Tod zu achten,
Begriffsverwirrungen zur Beschönigung von ethisch verwerflichen Handlungen
dürfen nicht geduldet werden. Dort, wo finanzielle Interessen oder Fragen des
Prestiges oder vielleicht eine Art Pantokrator-Mentalität Triebfedern der
Handlungen sind, sollten wir keine Hemmung haben, die nötigen Anfragen mit
aller Offenheit zu stellen.
Der Gesetzgeber darf nicht aus seiner Verantwortung entlassen werden. Gerade in Anbetracht der großen Gefährdungen, die ohne Zweifel vorhanden sind, ist es notwendig, die Stimme warnend zu erheben, die Öffentlichkeit aufmerksam zu machen und alle Mittel einzusetzen, um zu erreichen, daß geeignete gesetzliche Maßnahmen veranlaßt werden.
Diözesanbischof
Klaus Küng
2.11.2000
Predigt - Ostersonntag 23.4.2000