"Folge
mir nach!", so sprach der Auferstandene zu Petrus, zu dem Jünger, den er
auserwählt hatte, ihm nachzufolgen. "Folge mir nach!", so sprach er
auch zu Johannes Paul II., den wir heute zu Grabe tragen. Ein Samen der
Unsterblichkeit, mit Trauer aber auch Dankbarkeit. Die Stadt Rom hat in diesen
Tagen eine unglaubliche Menge betender Menschen aufgenommen, die gekommen sind,
um unseren geliebten Papst zu verabschieden. Sie begrüße ich alle. Mein Gruß
geht an die Oberhäupter der Staaten, Kirchen und Religionen. Dann grüße ich
auch alle Bischöfe und Erzbischöfe, Priester, Ordensleute und alle Gläubigen,
unter ihnen besonders alle jungen Leute. Mein Gruß gilt auch denen, die in
allen Teilen der Welt über Radio und Fernsehen mit uns wie mit einem großen
Chor verbunden sind beim feierlichen Ritus des Abschieds von unserem geliebten
Papst.
"Folge mir nach!"
Als junger Student begeisterte sich Karol Wojtyla für Literatur, Theater und
Dichtung. Als Arbeiter in einer Chemiefabrik mitten im bedrohlichen Naziterror
hat er die Stimme des Herrn vernommen: "Folge mir nach!" In dieser
sehr besonderen Umgebung und in diesem speziellen Umfeld fing er an,
philosophische und theologische Bücher zu lesen und trat dann in das vom
Kardinal gegründete geheime Priesterseminar ein. Und nach dem Krieg konnte er
seine Studien an der theologischen Fakultät der Universität zu Krakau
abschließen.
So oft hat er in seinen Briefen an die Priester und in seinen autobiographische
Schriften von seinem Priestertum gesprochen, das mit der Priesterweihe am 1.
November 1946 begonnen hat. In diesen Schriften deutet er sein Priestertum
besondern im Lichte dreier Herrenworte: An erster Stelle steht dieses:
"Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt und dazu
bestimmt, dass ihr euch aufmacht und Frucht bringt und dass eure Frucht
bleibt" (Joh 15,16).
Das zweite Herrenwort lautet: "Der gute Hirt gibt das Leben hin für seine
Schafe!" (Joh 10, 11). Und schließlich: "Wie mich der Vater geliebt
hat, so habe auch ich euch geliebt. Bleibt in meiner Liebe" (Joh 15,9).
In diesen drei Worten erkennen wir das ganze Wesen unseres Heiligen Vaters. Er
ging überall hin, um Frucht zu bringen – eine Frucht, die bleibt. "Auf,
lasst uns gehen" ist der Titel seines vorletzten Buches. "Auf, lasst
uns gehen!" Mit diesen Worten hat er unseren müden Glauben aufgeweckt, wie
die Jünger vom Schlaf – die von damals und die von heute: "Auf, lasst uns
gehen!" Das sagt er auch heute zu uns. Der Heilige Vater ist also Priester
gewesen bis zum Äußersten, weil er wie Gott sein Leben für seine Schafe
aufgeopfert hat und für die ganze Menschenfamilie.
Er hat sich jeden Tag ganz seinem Dienst für die Kirche hingegeben, vor allem
in den schweren Prüfungen der letzten Monate. So ist er eins geworden mit
Christus. So ist er mit Christus eins geworden, dem guten Hirten, der seine
Schafe liebt. Und schließlich heißt es da: "Bleibt in meiner Liebe."
Der Papst hat die Begegnung mit allen gesucht. Er konnte allen verzeihen und
ihnen sein Herz öffnen. Er spricht zu uns auch heute mit diesen Worten des
Herrn: Wenn wir in der Liebe Christi bleiben, lernen wir in seiner Schule die
Kunst der wahren Liebe.
"Folge mir nach!" Im Juli 1958 steht der junge Priester Karol Wojtyla
vor einem neuen Abschnitt seines Weges mit dem Herrn und in der Nachfolge des
Herrn. Karol hatte sich wie üblich mit einer Gruppe junger Kanusportler zu
gemeinsamen Ferien an die Masurischen Seen begeben. Aber er hatte einen Brief
bei sich, der ihn aufforderte, zum Primas von Polen, Kardinal Stefan Wyszynski,
zu kommen. Und er konnte sich den Grund des Treffens denken: seine Ernennung
zum Weihbischof von Krakau. Sollte er nicht mehr an der Universität lehren,
sollte er die anregende Gemeinschaft mit jungen Menschen entbehren, nicht mehr
teilnehmen am geistigen Wettkampf um das Wissen und um die Deutung des
Geheimnisses der Schöpfung Mensch, um in der Welt von heute die christliche
Sicht unserer Existenz gegenwärtig zu machen? All das musste ihm wie ein Verlieren
seiner selbst erscheinen, ein Verlust all dessen, was zur menschlichen
Identität dieses jungen Priesters geworden war.
"Folge mir nach!" Karl Wojtyla nahm an. Er hörte im Ruf der Kirche
die Stimme Christi und er begriff, wie wahr das Wort des Herrn ist: "Wer
sein Leben zu bewahren sucht, wird es verlieren, wer es dagegen verliert, wird
es gewinnen" (Joh 12,25). Unser Papst, das wissen wir alle, hat nie sein
eigenes Leben retten, es für sich behalten wollen.
Er hat sich selbst ohne Rückhalt geben wollen, bis zum Ende. Er hat sich selbst
ohne Rückhalt geben wollen bis zum Ende für Christus und damit auch für uns.
Und so hat er erfahren können, dass alles, was er in die Hände des Herrn gelegt
hatte, auf neue Weise zurückgegeben worden ist. Die Liebe zum Wort, zur
Dichtung, zu schöngeistigen Dingen wurde zu einem wesentlichen Teil seiner
pastoralen Sendung und hat der Botschaft des Evangeliums neue Frische, neue
Aktualität und neue Anziehungskraft gegeben, gerade auch dann, wenn sie Zeichen
des Widerspruchs ist.
"Folge mir nach!" Im Oktober 1978 hörte Kardinal Stefan Wyszynski
wieder die Stimme des Herrn, wieder kommt es zu einem Zwiegespräch, wie dem des
Petrus, von welchem das Evangelium dieser Feier berichtet: "Simon Bar Jona
liebst du mich? (…) Weide meine Schafe" (Joh 21,15 ). Auf die Frage des
Herrn, Karol liebst du Mich?, konnte der Erzbischof von Krakau aus tiefstem
Herzen antworten: "Herr, Du weißt alles, Du weißt auch, dass ich Dich
liebe."
Die Liebe zu Christus war die beherrschende innere Kraft in unserem lieben
Heiligen Vater. Wer ihn hat beten sehen, wer ihn hat predigen hören, weiß das.
Und so, dank dieser tiefen Verwurzelung in Christus konnte er eine Last tragen,
wie sie über nur menschliche Kraft hinausgeht: Hirte der Herde Christi, seiner
gesamten Kirche zu sein.
Es ist hier nicht der Augenblick, von den einzelnen Inhalten eines so reichen
Pontifikats zu sprechen. Ich möchte nur zwei Texte aus der heutigen Liturgie
verlesen, in denen zentrale Elemente seiner Botschaft erscheinen: In der ersten
Lesung spricht der heilige Petrus zu uns, und mit ihm tut es der Papst:
"Wahrhaftig, jetzt begreife ich, dass Gott nicht auf die Person sieht,
sondern dass ihm in jedem Volk willkommen ist, wer ihn fürchtet und tut, was
recht ist. Er hat das Wort den Israeliten gesandt, indem er den Frieden
verkündete durch Jesus Christus. Dieser ist der Herr aller" (Apg 10,
34-36).
Und in der zweiten Lesung ermahnt uns der heilige Paulus und mit ihm unser
verstorbener Papst mit lauter Stimme: "Meine geliebten Brüder, nach denen
ich mich sehne, meine Freude, mein Ehrenkranz, steht fest in der Gemeinschaft
mit dem Herrn, liebe Brüder" (Phil 4,1).
"Folge mir nach!"
Mit dem Auftrag, seine Herde zu weiden, kündigte Christus dem Petrus auch sein
Martyrium an. Mit diesem abschließenden und alles zusammenfassenden Wort des
Zwiegesprächs über die Liebe und den Auftrag als allgemeiner Oberhirte erinnert
der Herr an einen anderen Dialog, der in den Umkreis des letzten Abendmahls
gehört. Hier hatte Jesus gesagt: "Wohin ich gehe, dorthin könnt ihr nicht
gelangen. Petrus sagte darauf: Herr, wohin gehst du? Und Jesus antwortete ihm:
Wohin ich gehe, dorthin kannst du mir jetzt nicht folgen. Du wirst mir aber
später folgen" (Joh 13, 36).
Jesus geht vom letzten Abendmahl zum Kreuz und zur Auferstehung. Er tritt ein
in das österliche Geheimnis. Petrus kann ihm noch nicht folgen. Jetzt, nach der
Auferstehung, ist dieser Augenblick gekommen, dieses "Später". Als
Hirte der Herde Christi tritt Petrus ein in das österliche Geheimnis, geht auch
er zum Kreuz und zur Auferstehung. Der Herr sagte es ihm mit diesen Worten:
"Als du noch jung warst, konntest du gehen, wohin du wolltest, wenn du
aber alt geworden bist, wirst du deine Hände ausstrecken und ein anderer wird
dich gürten und dich führen, wohin du nicht willst" (Joh 21, 18).
Am Anfang seines Pontifikats ging der Heilige Vater noch jung und voller Kraft
unter Christi Führung bis an die Grenzen der Erde. Aber dann trat er immer mehr
in eine Gemeinschaft des Leidens mit Christus ein und verstand immer mehr die
Wahrheit im Wort "Ein anderer wird dich gürten". Und in dieser
Gemeinschaft mit dem leidenden Herrn hat er das Evangelium unermüdlich und mit
neuer Stärke verkündet: das Geheimnis der Liebe, die bis zur Vollendung geht.
Er hat für uns das österliche Geheimnis als Geheimnis des göttlichen Erbarmens
gedeutet. In seinem letzten Buch schreibt er: "Die dem Übel gesetzte
Grenze ist eindeutig die göttliche Barmherzigkeit."
Und mit Blick auf den Anschlag auf sein Leben sagt er: "Christus hat für
uns alle gelitten und hat dem Leiden einen neuen Sinn gegeben. Er hat es in
eine neue Dimension gesetzt, in eine neue Ordnung, die Ordnung der Liebe. Das
Leiden verbrennt und verzehrt das Übel mit der Flamme der Liebe und zieht auch
aus der Sünde viele Formen von Blüten des Guten." Beseelt von dieser Sicht
hat der Papst zusammen mit Christus gelitten und geliebt, deshalb ist die
Botschaft seines Leidens und seines Schweigens so sprechend und fruchtbar
gewesen.
Göttliches Erbarmen. Der Heilige Vater hat den reinsten Abglanz der
Barmherzigkeit Gottes in der Gottesmutter gesehen. Er hatte in früher Jugend
die Mutter verloren und umso mehr die Gottesmutter geliebt. Er hat die Worte
des Herrn am Kreuz als an sich selbst gerichtet empfunden: "Siehe da,
deine Mutter!" Und er hat gehandelt wie der Lieblingsjünger. Er hat sie in
sein innerstes Wesen aufgenommen, ganz ihr gehörend. Und von der Mutter hat er
gelernt, Christus gleichförmig zu werden.
Uns allen bleibt unvergesslich, wie sich der Heilige Vater an diesem letzten
Ostersonntag seines Lebens vom Leiden gezeichnet noch einmal am Fenster des
Apostolischen Palastes gezeigt und ein letztes Mal den Segen "Urbi et
Orbi" erteilt hat.
Wir können sicher sein, dass unser geliebter Papst jetzt am Fenster im Hause
des Vaters steht, uns sieht und uns segnet. Ja, segnen Sie uns, Heiliger Vater!
Deine liebe Seele vertrauen wir an der Mutter Gottes, Deiner Mutter, die Dich
Tag für Tag geleitet hat und Dich jetzt zur ewigen Herrlichkeit ihres Sohnes
führen wird, zu Jesus Christus, unserem Herrn. Amen.