Im Hinblick auf die gesellschaftliche Entwicklung im Großteil der Länder
Europas wird wahrscheinlich vielen die Aussage, die christliche Familie sei
eine Hoffnung Europas, als sehr "mutig" vorkommen. Fast überall – es betrifft
auch ursprünglich christliche Länder – steigt in den letzten Jahren
signifikant die Zahl der Lebensgemeinschaften, von Paaren, die, ohne
verheiratet zu sein, zusammenleben. Wenn manche von ihnen dann doch noch
heiraten, z.B. wegen der Kinder, weil sie irgendwie den Segen Gottes möchten
oder weil ihre Entscheidung gereift ist, dann geschieht es meist erst nach
mehreren, oft nach ziemlich vielen Jahren. Charakteristisch für die
Entwicklung ist weiters die hohe Anzahl von Scheidungen und vor allem der
demographische Winter. Die Zahl der Kinder ist zu gering, um eine gesunde
Regeneration der Bevölkerung zu erreichen. Europa vergreist.
Manche, nicht wenige auch innerhalb der Kirche, sind der Auffassung, dass
diese Entwicklungen auf Grund der Lebensverhältnisse unumkehrbar seien auch in
an sich christlichen Ländern. Wie kann man da behaupten, die christliche
Familie sei eine Hoffnung für Europa?
Zunächst: Wie die Geschichte des Christentums und der Völker zeigt, ist
nicht immer die Anzahl der Gläubigen für die Verbreitung oder Nichtverbreitung
bestimmter Ideale ausschlaggebend. Am Anfang gab es jedenfalls nur sehr wenige
Christen, die sich noch dazu in einem gesellschaftlichen System bewegen
mussten, das heidnisch dominiert war. Man konnte nicht offen über den Glauben
reden, jedenfalls nicht in der Öffentlichkeit. Es kam zu teils heftigen
Verfolgungen mit schlimmen Folgen. Trotzdem: das römische Reich ist
untergegangen, das Christentum dagegen hat sich ausgebreitet und etabliert.
Ähnliches ist in allen Erdteilen bis auf den heutigen Tag wiederholt
geschehen.
Vielleicht werden Sie einwenden: Da gibt es einen großen Unterschied: Die
Christen von damals waren Martyrer. Heute sind die meisten "laue" Christen.
Mit lahmen Soldaten kann man keinen Krieg führen. Da ist etwas Wahres daran.
Allerdings gab es im Laufe der Jahrhunderte schon des Öfteren ähnliche
Situationen wie heute. Denken wir z.B. an die so genannten "dunklen
Jahrhunderte" (8.-11. Jh.) mit Niedergang der Sitten beim Klerus, in den
Klöstern, in den Familien. Oder denken wir an die Zeiten vor der so genannten
Reformation und auch danach oder an die Epoche des Kulturkampfes. Chesterton
hat einmal pointiert gesagt, dass es im Laufe der Geschichte etwa dreißigmal
so aussah, als sei das Christentum endgültig auf den Hund gekommen. Gestorben
sei aber jeweils der Hund ....
Heilige haben eine Änderung herbeigeführt. Diese Änderung begann bei
Einzelnen, in Gruppen, in Gemeinschaften. Es kam zu Konversionen, neue
Berufungen wurden geweckt, neue Gemeinschaften sind entstanden;
Missionsbewegungen entfalteten sich.
Also: Warten auf Heilige? – Ja und nein. Wir sollten die Dokumente des II.
Vatikantischen Konzils von neuem studieren. Dort ist vom universalen Ruf zur
Heiligkeit die Rede. Nicht nur Priester, Ordensleute und andere besonders
Begnadete sind angesprochen, sondern alle Getauften und Gefirmten,
Verheiratete und Unverheiratete, Männer und Frauen, junge und alte Menschen.
Sogar Kranke können mitwirken.
Sie werden vielleicht sagen: Das ist schön, aber das greift nicht ... – Meine
Antwort darauf: Es wird (muss) greifen. Gott führt nämlich die Kirche und
jeden Einzelnen dazu. In unserer Zeit kann man als Christ mit Halbheiten nicht
bestehen. Das gilt für jeden einzelnen Gläubigen, auch für die Familie (im
Kleinen wie im Großen). Nur wer sich dessen bewusst wird: Wenn ich nicht
anfange, mein Christsein ernst zu nehmen und daher bestimmte Akzente setze,
mir Zeit für Besinnung und Gebet nehme, mir geistige Nahrung suche, mein
geistliches Leben pflege, auf manche Dinge, die heute weit verbreitet sind,
verzichte, nicht mittue, wo dies für einen Christen nicht angebracht ist, kann
ich nicht bestehen. Und wer sich einfach treiben lässt, nur Mitläufer ist,
wird unvermeidlich lau, innerlich leer, läuft Gefahr, den Glauben zu
verlieren. Er entwickelt sich nicht mangels Nahrung, wird von anderem
überdeckt, er erstickt, verflüchtigt sich. Es ist aber auch heute möglich,
treu zu sein, Schwierigkeiten zu überwinden. Allerdings: Ohne die Hilfe Gottes
zu suchen, ohne sich über das Evangelium und die eigene Lebensgestaltung im
Alltag Gedanken zu machen, ohne ernsthaftes Streben geht das nicht.
Ein christliches Ehepaar muss sich etwas einfallen lassen,
braucht eine gewisse Kreativität, auch das Gespräch mit den Kindern,
besonders wenn sie größer werden, um den Sonntag gemeinsam zu gestalten, die
Freizeit zu nützen, Krisen zu bewältigen, geeignete Wege für ein friedliches
Miteinander zu erkennen usw.
Aus dem bewussten Streben nach Umsetzung des Glaubens in den heutigen
Verhältnissen entsteht ein Vorgang, der das Leben des Einzelnen und einer
Gemeinschaft verändert, verwandelt. Freude und Frohsein entstehen, eine tiefer
werdende Liebe wird geweckt. Das hat Chancen auszustrahlen und andere
anzuziehen. Also hat die heutige Entwicklung auch eine positive Seite. Es ist
ähnlich wie in den Anfängen des Christentums.
Eine der Zielsetzungen der "Initiative Hauskirche" besteht darin, den Familien
heute beizustehen und ihnen ein "Know-how" zu vermitteln. Die "Initiative Hauskirche" entspricht einem Bedürfnis unserer Zeit, einer Notwendigkeit.
Die "Initiative Hauskirche" wurde aber auch aus anderen Gründen ins Leben
gerufen: Wegen der derzeitigen Situation von Kirche und Gesellschaft.
In unserer Zeit ist die Gesellschaft durch Pluralismus gekennzeichnet. Er
hängt damit zusammen, dass auch in ursprünglich christlich geprägten Ländern
nicht wenige sich vom Glauben zurückgezogen haben, unterschiedlich am
kirchlichen Leben Anteil nehmen: Manche praktizieren konsequent, gehen jeden
Sonntag zur Messe, sind voll identifiziert mit den Aussagen des Glaubens,
bemühen sich um die Einhaltung der Gebote Gottes. Andere sind nur teilweise
mit der Kirche identifiziert, nehmen nur fallweise am Gottesdienst teil.
Wieder andere suchen nur sporadisch bei bestimmten Anlässen und Gelegenheiten
eine Kirche auf, sind gerade noch getauft, leben aber eigentlich nicht
christlich.
Der Einzelne – das beginnt schon beim Kind im Kidergarten – begegnet dadurch
unterschiedlichen Einstellungen und Haltungen, merkt vielleicht in manchen
Belangen, dass fast niemand so denkt wie er oder wie die Kirche lehrt. Wenn es
früher in einer durchwegs christlich geprägten Gemeinschaft auffallend war
oder fast unerträglich, wenn ein junges Paar zusammenzog ohne verheiratet zu
sein, ist jetzt manchmal genau das Gegenteil der Fall: jemand, der konsequent
jeden Sonntag oder sogar täglich die hl. Messe besucht, obwohl dieser dadurch
dem Gebot der Kirche entspricht, erscheint beinahe als übertrieben, extrem,
weil das fast niemand tut.
Durch den Pluralismus ist die Wertevermittlung schwierig geworden: das ist in
praktisch allen Bildungseinrichtungen ein Problem. Die Situation hat sich sehr
stark verändert. An der Universität war diese Situation (dass viele der
Professoren nicht christlich orientiert, sondern oft dem Glauben gegenüber
kritisch eingestellt waren), schon im 18. und 19. Jahrhundert häufig.
Inzwischen zeigt sich diese Atmosphäre auch an fast allen Gymnasien und
Hauptschulen, manchmal schon im Bereich der Volksschulen und sogar der
Kindergärten. Ein ähnliches Bild finden wir weitgehend in der Berufswelt, und
die Medien sind ein Spiegelbild der Gesellschaft bzw. wird in ihnen durch
Werbemechanismen, durch die "Notwendigkeit", interessant zu sein, viel
Negatives verstärkt.
Die Aufgabe der Pfarre ist heute viel schwieriger geworden, weil unter anderem
die Stütze durch die Schule weitgehend wegfällt. Der Religionsunterricht hat
selbst-verständlich weiterhin seine große Bedeutung. Aber wenn von zwanzig
Kindern nur drei bis vier aus Familien stammen, in denen gebetet wird, dann
ist es nicht einfach, in den Glauben einzuführen und die Kinder für den
Empfang der Sakramente vorzubereiten. Außerdem wird die Einführung der Kinder
in das christliche Leben überhaupt problematisch, wenn das Beispiel der Eltern
ganz fehlt.
In dieser Situation kommt der christlichen Familie eine besonders große
Bedeutung zu: einerseits weil alle Anstrengungen der Pfarre und der Schule
ohne Rückhalt der Familie in der Regel wenig fruchtbar sein werden,
andererseits weil das Vorbild der Eltern und Geschwister sowie anderer
christlicher Familien auch heute einen festen Halt zu geben vermögen, obwohl
nicht verschwiegen werden darf, dass es die christliche Familie heute nicht
leicht hat und das Bemühen der Eltern noch keine Garantie dafür bedeutet, dass
die Kinder sicher ihren Weg finden werden.
Die "Initiative Hauskirche" setzt an den Erfahrungen der Christen in
kommunistischen, atheistischen Ländern an. Bei Beginn eines neuerlichen
missionarischen Versuches in Japan, das Evangelium zu verkünden, stellten die
damit beauftragten Jesuiten-Patres mit Erstaunen fest, dass manche das
Christentum bereits kannten, obwohl jahrhunderte lang keinerlei Seelsorge
geschehen war. Durch die Weitergabe des Glaubens in und durch Familien war
doch hier und dort noch ein gewisses christliches Leben vorhanden. Ähnliche
Erfahrungen wurden insbesondere im 20. Jahrhundert vor allem in den
kommunistischen Ländern gemacht. Das II. Vatikanische Konzil hat von neuem den
Begriff Hauskirche aufgegriffen, weil einer weitgehend säkularisierten
Gesellschaft der Familie für die Glaubensvermittlung eine besondere Bedeutung
und Aufgabe zukommt.
Freilich darf nicht übersehen werden, dass die Familie durch die Entwicklungen
der Gesellschaft, die Veränderungen in den Bildungseinrichtungen, in den
Pfarren selbst betroffen und dafür nicht vorbereitet ist. In früheren Zeiten
war es oft auch gar nicht bewusst, dass sich die Eltern um die
Glaubensvermittlung für die Kinder kümmern sollten. Sie sagten: Das ist
Aufgabe des Religionsunterrichtes bzw. des Pfarrers...
Die Familie ist die Grund- und Keimzelle der Kirche, zugleich auch der
Gesellschaft.
Sie ist eine von der Gründung her selbst gewählte Einheit. Ein Mann und eine
Frau, die sich lieben lernten, haben sich füreinander entschieden und im
Vertrauen auf Christus für immer zusammengeschlossen, um gemeinsam mit den
Kindern, die ihnen Gott schenkt, den Lebensweg zu bewältigen. Bezüglich Kinder
bedeutet dies zugleich ihre Bereitschaft, diese großzuziehen und auf das Leben
vorzubereiten.
Die christliche Familie ist ein wichtiges gemeinsames Unternehmen.
Man könnte die Familie auch als "Kampfeinheit" bezeichnen, sofern man das
Leben als "Kampf" betrachten will.
Die "Initiative Hauskirche" weckt und stärkt Initiativen der Ehepaare, sie macht
die mit einer christlichen Familie verbundenen Aufgaben bewusst, versucht
Anregungen für die Gestaltung der Familie im Alltag, im Jahresablauf, in
Arbeit und Freizeit zu vermitteln. Sie zeigt Hilfen auf wie Gebet, Empfang der
Sakramente; sie entwickelt geeignete Materialien wie z.B. die Buchserie
"Glaube und Leben" oder die Mappe für Familien-Hauskreise. Sie entwickelt
Gedanken über Familienkultur, Konfliktbewältigung, Erziehungsfragen. Nicht
zuletzt führt die "Initiative Hauskirche" auch zur Vernetzung der christlichen
Familien untereinander, was – wie gesagt - gerade in einer weitgehend
nichtchristlichen oder entchristlichten Gesellschaft von großer Bedeutung ist.
Die "Initiative Hauskirche" will nicht eine Bewegung im engen Sinn sein, das
heißt, nicht eine besondere Gruppe in der Kirche oder in der Gesellschaft, sie
hat jedenfalls bis jetzt keinerlei Vereinsstruktur. Sie versteht sich vielmehr
als Pilotprojekt für die Kirche, die sich in vielen Ländern derzeit in einem
starken Umbruch befindet. Die Volkskirche ist dabei, sich aufzulösen oder
existiert bereits nicht mehr. Die territoriale Seelsorge bedarf der Ergänzung
durch überpfarrliche Angebote.
Meines Erachtens wird die Pfarre der Zukunft oder die Seelsorge in einer
Region vor allem die Aufgabe haben, einerseits die Gläubigen in Christus zu
sammeln und andererseits ihre Eigenständigkeit und Initiative zu fördern. Der
Familie kommt dabei eine wichtige Bedeutung zu.
Die christliche Familie ist außerdem die wichtigste "Quelle" der "Berufungen"
in der Kirche. Sie vermittelt den wesentlichsten Teil der Ehevorbereitung, die
eigentlich schon beim Kleinkind beginnen muss. Wenn nicht schon im kindlichen
Alter und in der Jugend im Rahmen der Familie das Verantwortungsbewusstsein,
die Fähigkeit, sich für andere einzusetzen, auch die Konfliktfähigkeit
gepflegt und entfaltet wurden, - fehlen weitgehend die Voraussetzungen zur Ehe
und zu Familiengründung, es können sich aber auch nur schwer geistliche Berufe
entwickeln.
In der "Initiative Hauskirche" haben viele Platz:
auch Alleinerzieher mit ihrer Sorge um die Kinder und ihren spezifischen Nöten; Menschen, die im Glauben allein sind (auch innerhalb der Familie), Verlobte und solche, die es werden wollen. Auch wiederverheiratete Geschiedene, wenn sie den Wunsch nach einem christlichen Leben haben, können gerne mittun.
Für die Entwicklung gesunder Persönlichkeiten sind, das wissen wir heute
auf Grund der psychologischen Studien besser denn je, Vater und Mutter, ihr
(unterschiedliches) Vorbild, ihre (unterschiedliche) Zuwendung, ganz besonders
in den ersten Lebensjahren, von größter Bedeutung. Das Kind braucht die Mutter
und den Vater. Keine noch so professionell geführte Einrichtung kann die
Eltern ganz ersetzen. Es sind immer nur Ersatzlösungen.
Kinder brauchen Geschwister. Die kinderreiche Familie bietet in der Regel für
die Entwicklung von Fähigkeiten zu Solidarität, Verantwortung,
Verlässlichkeit, Anpassung, auch Konfliktbewältigung die besseren
Voraussetzungen als die Klein-Familie. Ich sage manchmal, dass die Familie
(die Liebe zueinander vorausgesetzt) eine hervorragende "Trainingseinheit" für
den Christen, für den Menschen darstellt.
Auch für die Eltern sind die Kinder wichtig.
Ich denke manchmal an ein Wort, das ich bei mehreren Gelegenheiten vom Gründer
des Opus Dei, dem hl. Josefmaría Escrivá gehört habe. Er sagte manchmal zu
Ehepaaren: Gott hat euch ein großes Herz für mehrere Kinder gegeben. Er
ermutigte zu Großzügigkeit. Manchmal fügte er hinzu, dass es weder für das
Kind noch für die Eltern gut sei, wenn die "ganze" Liebe ihres an sich großen
Herzens auf nur ein Kind konzentriert wird.
Eltern reifen mit ihren Kindern und deren Problemen und Schwierigkeiten.
Außerdem ist die Bemühung um das Lebendighalten der Hingabe an den Partner,
die Überwindung von Krisen, die Anstrengung, ein Familienleben so zu
gestalten, dass die Familie zu einem Hort des Friedens und der Freude ist,
eine Quelle des dauerhaften Glücks, das wohl auch deshalb so kostbar und der
Mühe wert ist, weil es viel kostet und auch Mühe voraussetzt.
Es besteht auch bei den jungen Leuten die große Sehnsucht nach Gelingen der Beziehung, nach glücklicher Familie. Die Familie auf der Grundlage einer sakramentalen Ehe verbunden mit entsprechender persönlicher Bemühung hat die besten Chancen zu gelingen. Die Verbreitung solcher Familien ist zu einem guten Teil Grundlage für ein Europa mit Zukunft, zugleich auch für eine lebendige Kirche. Die "Initiative Hauskirche" könnte – so hoffe ich – einen Beitrag dazu leisten. Ich wünsche uns von Herzen, dass wir diese Tage des Symposiums gut nützen, um innezuhalten, neue Pläne zu entwickeln und zu erreichen, dass die Grundlage dieser "Bewegung" gefestigt und erweitert wird.
Es besteht auch bei den jungen Leuten die große Sehnsucht nach Gelingen der Beziehung, nach glücklicher Familie.