„Bravo“ wird fünfzig. Im Sommer 2006 ist es ein halbes Jahrhundert her, seit
zum ersten Mal die Zeitschrift „Bravo“ erschien. Vorsorglich ist nun – Monate
zuvor – bereits eine Ausstellung in einem Museum eröffnet worden. Einen Grund
zum Feiern gibt es nicht unbedingt, da die Auflage von etwa 1,5 Millionen
Anfang der 90er Jahre heute bei rund 461.000 Exemplaren liegt.
Der langjährige „Bravo“-Berater Martin Goldstein alias „Dr. Jochen Sommer“
antwortete vor einiger Zeit in einem Interview auf die Frage, wann Sexualität
jugendgefährdend sei: „Überhaupt nie. Gefährdend ist, Jugendliche vor
sexuellen Erfahrungen zu warnen und ihnen das Recht abzusprechen, Sexualität
zu praktizieren.“ Mit dieser Antwort trifft „Dr. Sommer“ wohl einen
Kerngedanken der so genannten „sexuellen Revolution“ der 60er Jahre des
vergangenen Jahrhunderts.
Es ist ein Kennzeichen dieser Bewegung gewesen, dass zahlreiche Menschen im Namen einer grenzenlosen Freiheit, nicht selten jeglichen traditionellen Werten eine Absage erteilten. Allen voran wurde die katholische Kirche beschuldigt, die Menschen durch ihre moralischen Vorstellungen zu gängeln und zu bevormunden. Die Enzyklika Papst Pauls VI. „Humanae vitae“, in der der Papst das Verbot künstlicher Verhütungsmethoden bekräftigte, wurde zum „Stein des Anstoßes“. Bis heute entstand eine „Verhütungsmentalität“ weltweiten Ausmaßes, die dazu führte, dass die menschliche Sexualität zu einem Konsumgut wurde, das nahezu beliebig einsetzbar ist. Die derzeitige Suche nach der 100prozentig wirksamen Verhütungspille für den Mann scheint nur eine weitere Station der in den 60er Jahren entstanden Bewegung zu sein.
Einige Folgen dieser Bewegung – allen voran die demographischen – werden uns
alltäglich vor Augen geführt und können nicht mehr übersehen werden. Experten
kommen darin überein, dass die Geburtenzahlen in zahlreichen europäischen
Ländern viel zu gering sind, nicht nur um die derzeitige Bevölkerungszahl zu
halten, sondern um unsere sozialen Sicherungssysteme nicht in den Ruin zu
treiben. Während bei den Scheidungsraten jährlich neue „Rekorde“ aufgestellt
werden, verharren die Geburtenraten auf einem sehr geringen Niveau.
Inzwischen kommen von allen Bevölkerungsschichten Stimmen, die in geradezu
beschwörender Form nach „mehr Kindern“ rufen.
So mahnte der Richter des Bundesverfassungsgerichts, Udo Di Fabio eine Abkehr
von einem konsumorientierten Individualismus an.
„Auf Dauer müssen wir wieder diejenigen Werte als Höchstwerte erkennen, die den Fortbestand einer jeden Gemeinschaft in Freiheit und Würde sichern. (...) Wir brauchen ein anderes Verhältnis zu Ehe, Familie und vor allem zu Kindern, als es das inzwischen eingeschliffene Muster konsumorientierten Individualismus geprägt hat. Wenn wir nicht noch gerade rechtzeitig begreifen, dass Kinder die entscheidende Zukunftsoption und vor allem eine Quelle erfüllten Lebens und wahrer Selbstverwirklichung sind, drohen wir als politische und soziale Gemeinschaft unsere Identität und Vitalität einzubüßen.“
Gleichzeitig gibt Di Fabio zu erkennen, dass christlich überlieferte Menschenbilder (er nennt die Würde des Einzelnen, die Intimität der Ehe, die Geborgenheit familiarer Lebensgemeinschaften und die Sorge um die Kinder) ein „ursprüngliches Humanitätsprogramm“ darstellen, von dem wir „bis heute ausnahmslos unsere Chance auf Freiheit“ beziehen.
Nicht nur aufgrund der besorgniserregenden demographischen Entwicklung, sondern auch aufgrund medizinischer und moralischer Argumente findet seit einigen Jahren eine zaghafte Rückbesinnung statt. So wurde bekannt, dass die Wirkung der „Pille“ auf den menschlichen Organismus unmittelbare oder indirekte Störungen hervorrufen kann. Die Schädlichkeit hängt dabei auch von der Dauer der Anwendung ab. Bei der „Pille“ kann man von einem Aufbau eines „Pseudozyklus“ sprechen, der den regelmäßigen Ablauf allgemeiner Stoffwechselvorgänge stört. Der Organismus der Frau verliert dabei in gewisser Weise seine biologische Identität. Seit Langem ist bekannt, das vermehrt Thrombosen, Embolien, Gehirnschläge und Herzinfarkte auftreten können.
Die genannten organischen Mangelerscheinungen, die vermehrt mit der Einnahme
der Pille auftreten, haben in jüngster Zeit noch ein weiteres Phänomen – ja
geradezu einen paradoxen Effekt – zu Tage treten lassen. Neben der
Unterdrückung des Kinderkriegens wird auch die Libido der Frau herabgesetzt.
Letzteres wird damit erklärt, dass die Pille das männliche Sexualhormon
Testosteron vermindert. Es scheint unübersehbar zu sein, dass der „größte
hormonelle Freilandversuch des vergangenen Jahrhunderts den Frauen nicht nur
Befreiung gebracht“ hat.
Neben den medizinischen Gründen, welche die „Pilleneuphorie“ gedämpft haben,
haben auch psychologische beigetragen. Durch die Pille ist die Frau dem Mann
ständig verfügbar und wer jederzeit zu haben ist, der ist am Ende nichts mehr
wert. Die Folge ist ein abnehmendes Selbstwertgefühl. Bereits 1990 schrieb der
Moraltheologe Josef Georg Ziegler: „Ein in nicht wenigen kirchlichen Kreisen
gehegter Zweckpessimismus gegenüber HV [Humanae vitae] trifft nicht mehr die
Wirklichkeit. Die Haltungsänderung kommt aus Überlegungen, an die bis vor
kurzem die wenigsten gedacht haben. Immer entschiedener hält man Ausschau nach
einer schöpfungsgemäßen, naturgerechten, wirklichkeitsgemäßen Lebensführung.
Das gilt auch und in zunehmendem Ausmaß für den Fragebereich einer künstlichen
Empfängnisverhütung.“
Der Begriff der „Verantworteten Elternschaft“ kann als Schlüsselbegriff
innerhalb der Lehre der katholischen Kirche zu Ehe und Familie angesehen
werden. Die Enzyklika „Humanae vitae“ verwendet diesen Begriff in Artikel 10.
Zu-nächst wird in diesem Artikel darauf hingewiesen, dass die menschlichen
Fortpflanzungskräfte zur menschlichen Person gehören, wobei deren
psychologischer Trieb durch Vernunft und Wille einer Beherrschung bedarf.
Sodann kommt die Enzyklika auf die Anzahl der Kinder zu sprechen: „Im
Hinblick (...) auf die gesundheitliche, wirtschaftliche, seelische und
soziale Situation bedeutet verantwortliche Elternschaft, dass man entweder,
nach klug abwägender Überlegung, sich hochherzig zu einem größeren
Kinderreichtum entschließt, oder bei ernsten Gründen und unter Beobachtung des
Sittengesetzes zur Entscheidung kommt, zeitweise oder dauernd auf weitere
Kinder zu verzichten.“
Bekanntlich hat die Enzyklika Methoden der künstlichen Empfängnisverhütung
abgelehnt und als einzig sittlich gerechtfertigten Weg die Natürliche
Empfängnisregelung für erlaubt erklärt. Das Verbot der künstlichen
Empfängnisverhütung wurde und wird jedoch bis heute nicht nur in
außerchristlichen Kreisen nicht angenommen und befolgt, sondern auch in
kirchlichen.
Im Weiteren hat sich in unserer Gesellschaft eine Abtreibungsmentalität
ausbreiten können. Den mehreren hunderttausend Abtreibungen jährlich allein
in der Bundesrepublik Deutschland kommen zahlenmäßig der Anzahl von Einwohnern
einer Großstadt gleich. Die sich ausbreitende Verhütungsmentalität steht in
einem gewissen Zusammenhang mit der Abtreibungsmentalität, da beide in der
Gesinnung übereinkommen: der Verhinderung bzw. Beseitigung von
Nachkommenschaft um jeden Preis. Papst Johannes Paul II. schrieb in seiner
Enzyklika „Evangelium vitae“ von 1995: „Sicherlich sind vom moralischen
Gesichtspunkt her Empfängnisverhütung und Abtreibung ihrer Art nach
verschiedene Übel: Die eine widerspricht der vollständigen Wahrheit des
Geschlechtsaktes als Ausdruck der ehelichen Liebe, die andere zerstört das
Leben eines Menschen; die erste widersetzt sich der Tugend der ehelichen
Keuschheit, die zweite widersetzt sich der Tugend der Gerechtigkeit und
verletzt direkt das göttliche Gebot ’Du sollst nicht töten’“.
Wenn wir die demographische Entwicklung in unseren westlichen Industrienationen und die soeben beschriebenen Mentalitäten beobachten, liegt folgende Frage nahe: Können bzw. müssen wir nicht in unserer Zeit in einem hohen Maße von einer Verweigerungshaltung in der Bevölkerung zur Zeugung und Erziehung von Kindern sprechen? Bekanntlich haben Jugendliche heute – im Vergleich zu früheren Jahrzehnten – immer früher erste sexuelle Kontakte. Im Gegensatz hierzu steigt das Alter, bei dem junge Paare ihr erstes Kind bekommen kontinuierlich an. Im Schnitt liegt das Alter der Eltern beim ersten Kind bei über dreißig Jahren. Zusätzlich bleibt zu bedenken, dass ein beträchtlicher Prozentsatz von jungen Erwachsenen zeitlebens willentlich kinderlos bleibt. All diese Faktoren und Einstellungen zusammen genommen, haben zu dem Geburtenschwund geführt, der nun unsere Sozialsysteme vor fast unlösbare Probleme stellt.
Die noch vor einigen Jahrzehnten anzutreffende Selbstverständlichkeit, dass junge Erwachsene einmal Kinder haben werden, ist hinfällig geworden. Dabei betrifft dieses Phänomen keineswegs nur Paare, die in finanzieller, gesundheitlicher und seelischer Hinsicht Probleme aufzuweisen hätten, sondern zunehmend auch Paare, die mitten im Leben stehen und allseits gut abgesichert sind. Während junge Menschen frühzeitig und zunehmend ihre Rechte in der Gesellschaft erkennen und wahrnehmen wollen, scheint nicht wenigen Zeitgenossen aus dem Blick zu geraten, dass sie auch Pflichten gegenüber dem Staat und der Gesellschaft haben. Es ist nicht erkennbar – um mit der Enzyklika „Humanae vitae“ zu sprechen – welche „ernsten Gründe“ bei so vielen jungen Paaren vorliegen könnten, wenn diese sich über längere Zeit bzw. dauerhaft der Verantwortung zur Zeugung und Erziehung von Kindern entziehen.
Die Natürliche Empfängnisregelung bedeutet „ein Eingehen auf die Gegebenheiten der natürlichen schöpfungsgemäßen Veranlagung der Frau – und auch des Mannes.“ Für diese Methode sprechen einige Gründe:
- Die Eheleute erhalten das Gleichgewicht zwischen dem, was als „Beherrschung der Naturkräfte“ bezeichnet wird.
- Die „eheliche Keuschheit“ bleibt erhalten, weil durch die periodische Beobachtung der Enthaltsamkeit jene Form der Selbstbeherrschung besteht, die für die Ehe nötig ist. Der Mensch ist eben deshalb Person, weil er Herr über sich selbst ist. Als Herr seiner selbst kann er sich dem anderen schenken.
- Die Eheleute schließen die Zeugung nicht aktiv aus, wodurch die beiden Sinngehalte, liebende Vereinigung und Offenheit auf Zeugung, erhalten bleiben.
Der Enzyklika „Humanae vitae“ geht es um eine Gesamtschau des Menschen. Hierzu heißt es: „Die Frage der Weitergabe menschlichen Lebens darf – wie jede andere Frage, die das menschliche Leben angeht, nicht nur unter biologischen, psychologischen, demographischen, soziologischen Gesichtspunkten gesehen werden; man muss vielmehr den ganzen Menschen im Auge behalten, die gesamte Aufgabe, zu der er berufen ist; nicht nur seine natürliche und irdische Existenz, sondern auch seine übernatürliche und ewige.“
Bei der Gegenüberstellung der Natürlichen Empfängnisregelung zur künstlichen Empfängnisverhütung darf der Unterschied nicht auf ein „Methodenproblem“ reduzieren werden. Es geht grundsätzlich nicht um die Differenz zwischen zwei Arten von Unfruchtbarkeit (natürliche und künstliche), sondern vielmehr um zwei verschiedene Weisen des Verhältnisses des menschlichen Willens zur Unfruchtbarkeit. Die Alternative ist zwischen einer Ausübung der Verantwortung durch willentliche Enthaltsamkeit einerseits und deren Ausübung durch Akte, die Enthaltsamkeit überflüssig machen, andererseits. Der wesentliche Unterschied der beiden Formen des Umgangs mit der menschlichen Sexualität besteht darin, dass die Natürliche Empfängnisregelung einer positiven „Kontrolle“ der Vernunft und einer Herrschaft des Willens entspringt – also den Prinzipien des actus humanus.
Bei der künstlichen Empfängnisverhütung werden die Kontrolle der Vernunft und
die Herrschaft des Willens ausgeschaltet bzw. überflüssig gemacht. Dabei soll
nicht gesagt werden, dass die künstlichen Verhütungsmethoden nicht auch einer
gewissen Beherrschung bedürfen (z.B. der regelmäßigen Einnahme von
Medikamenten). Akte der Selbstbeherrschung als solche sind demnach weder als
sittlich gut oder schlecht zu bezeichnen. Ein Verbrecher z.B. beherrscht sich,
um nicht aufzufallen. Vernünftig – willentliche Leitung und Selbstbeherrschung
bezieht sich hier ausschließlich auf jene Akte, die die Folgen sexueller
Betätigung betreffen, wodurch es zu der Trennung der beiden Sinngehalte kommt.
Die künstliche Empfängnisverhütung verneint, dass auch periodische
Enthaltsamkeit ein innerlich sinnvoller Akt ehelicher und leiblicher Liebe
ist, sowie Nährboden für das Reifen der Liebe. Das II. Vatikanische Konzil
mahnt zu einer „ernstlichen Pflege der Tugend der Keuschheit“. Die Verneinung
dieses Wertes führt nicht selten zu perversen homo- und heterosexuellen
Praktiken onanisischer Art, die heute oftmals als „normal“ angesehen werden.
Die bisweilen vorgetragene Auffassung, dass erst das II. Vatikanische Konzil
die „liebende Vereinigung“ der Partner als Wert anerkannt habe, ist historisch
nicht haltbar. Angefangen von der Hl. Schrift finden wir in kirchlichen
Dokumenten beide Aspekte der Ehe (liebende Vereinigung und Fortpflanzung).
Diese beiden Aspekte darf der Mensch nicht eigenhändig trennen, will er nicht
die eigene Würde bzw. die des Partners verletzen.
In dem auf Betreiben des Trienter Konzils im 16. Jahrhundert herausgegebenen
Catechismus Romanus können wir beispielsweise unter der Überschrift „Warum
Mann und Frau sich verbinden müssen“ lesen: „Der erste Grund nun ist die durch
einen Trieb der Natur angestrebte Gemeinschaft der verschiedenen
Ge-schlechter, geschlossen in der Hoffnung gegenseitiger Hilfe, dass der eine
durch den Beistand des anderen unterstützt die Mühseligkeiten des Lebens
leichter zu tragen und die Schwächen des Alters auszuhalten vermöge. Der
zweite Grund ist das Verlangen nach Fortpflanzung“.
Die Natürliche Familienplanung bietet den Menschen die Möglichkeit an, in
Achtung vor der Würde der anderen Person, einen Weg zu gehen, durch den die
Eheleute sich immer besser Achten- und Liebenlernen und innerlich heranreifen.
Die Harmonie in der Familie, das beweist die Erfahrung, wird dadurch zunehmen.
Die religiöse Praxis, die bei uns in den Familien vielfach so gering geworden
ist, kann sich ebenfalls besser entfalten. So können Familien entstehen, die
man mit Recht als „Hauskirchen“ bezeichnet. Hier werden Menschen heranwachsen,
die später Verantwortung in der Kirche und im Staat übernehmen können, weil
sie „geordnete“ Familienverhältnisse erlebt haben.
Papst Paul VI. hat, wie viele seiner Vorgänger und Nachfolger, betont, dass
die in „Humanae vitae“ vorgetragene kirchliche Lehre nur eine Erklärung des
natürlichen Sittengesetzes sei, wie es – wenigstens grundsätzlich – der rein
natürlichen Vernunft des Menschen zugänglich ist.
Hierbei muss zunächst die Akzeptanz des Mannes als möglicher Vater und der
Frau als möglicher Mutter angenommen werden. Von wahrer Liebe kann deshalb
nur dann gesprochen werden, wenn sie den ganzen Menschen annimmt. Es geht um
das Akzeptieren des Partners als Vater oder Mutter. Der Philosoph Josef
Pieper spricht in diesem Zusammenhang häufig von der Liebe, die besagt: „Gut,
dass es dich gibt; gut, dass du auf der Welt bist“. Ist diese Akzeptanz
gestört, so ist der Mensch innerlich zerrissen, denn er akzeptiert das nicht,
was eine wesentliche Funktion seiner Sexualität ist: er akzeptiert nicht die
mögliche Elternschaft in der sexuellen Beziehung.
Aus dieser inneren Zerrissenheit heraus kann es zu Aggressionen gegenüber dem
Partner kommen, wenn dennoch ein Kind zu erwarten ist. Das Kind ist dann in
den Augen der Eltern leicht eine Art „Betriebsunfall“. Durch die
Empfängnisverhütung wird das Band der liebenden Vereinigung und der Offenheit
für Fortpflanzung getrennt. Bei der Empfängnisverhütung wird die potentielle
Elternschaft als Hindernis der sexuellen Handlung erlebt. Die
Empfängnisverhütung stellt einen Ausdruck des Verzichtes auf die Lenkung der
sexuellen Handlung dar.
Oftmals wird sie unabhängig von der emotionellen Verbundenheit mit dem Partner
und auf dessen Kosten gesetzt. Aus diesem Grunde steht ein
empfängnisverhütender Akt nicht selten nicht im Dienst der gegenseitigen
Liebe. Der Partner wird als Objekt der eigenen Befriedigung gesucht. Max
Horkheimer schreibt dazu: „Ich halte es für meine Pflicht, den Menschen
klarzumachen, dass wir für diesen Fortschritt [gemeint ist die Pille] einen
Preis bezahlen müssen, und dieser Preis ist die Beschleunigung des Verlustes
der Sehnsucht, letztlich der Liebe“.
Bei der Frage nach dem Unterschied zwischen der Natürlichen
Empfängnisregelung und der künstlichen Empfängnisverhütung geht es vorwiegend
um die Haltung des Menschen. Besonders für den Mann liegt eine Einstellung
nahe, dass er den geschlechtlichen Akt nach eigenem Belieben auswählen kann.
Die Frau hat sich demnach ständig zur Verfügung zu halten und die „Pille“ zu
schlucken.
Aus moraltheologischer Perspektive ist die künstliche Empfängnisverhütung aus
mehreren Gründen problematisch. Zunächst sind der Wert und die Heiligkeit der
natürlichen Verbindung von ehelichem Akt und Zeugung zu nennen. Das Band der
geschlechtlichen Vereinigung und der Offenheit für die Zeugung ist wegen dem
hohen Wert einer neuen menschlichen Person mit ihrer unsterblichen Seele von
besonderer Bedeutung.
Der Begriff des Wertes meint hier die in sich ruhende Kostbarkeit und in sich
selbst bestehende Würde eines jeden Menschen. Es ist die Aufgabe und Pflicht
des Menschen, diesen Wert zu respektieren und eine angemessene Antwort zu
geben. Dieser zu beachtende Wert ist die menschliche Person – das Kind –, das
ins Dasein treten wird.
Ein weiteres Argument ist die Begrenztheit des Menschen. Sehr gut verdeutlicht
ein Vergleich die moralische Problematik der Kontrazeption: Wir sind frei, zu
heiraten oder allein zu bleiben, ein Versprechen zu geben oder es zu
verweigern. In diesem Sinne sind wir vielfach frei zu entscheiden, ob wir
einem neuen Kind das Leben geben wollen oder nicht. „Hier wie in vielen
anderen Fällen endet jedoch diese Freiheit, eine der zwei möglichen
Alternativen zu realisieren, genau in dem Augenblick, wo wir den ersten
entscheidenden Schritt in Richtung auf die Realisierung eines solchen
Tatbestandes tun.“ Aus diesem Grunde ist der Vollzug des ehelichen Aktes das
Eingehen einer Verpflichtung, durch die wir gehalten sind, für die sinnvollen
Konsequenzen – die Zeugung eines Kindes – offen zu sein.
Aus theologischer Perspektive ist auf die Verbindung von menschlichem Handeln
und göttlicher Schöpfung in der Zeugung hinzuweisen. Gott und der Mensch
wirken bei der Zeugung zusammen. Der Mensch besteht aus Leib und unsterblicher
Seele. Die Seele des Kindes kann nicht von den Eltern kommen, sondern stammt
in unmittelbarer Schöpfung von Gott. Die menschliche Seele übersteigt die
Ursächlichkeit der Eltern bei weitem. Die Eltern sind demnach moralisch
verpflichtet, mit dem ihnen anvertrauten Gut – der Zeugungspotenz –
verantwortungsbewusst umzugehen.
Ebenfalls muss auf die frühabtreibende Wirkung bestimmter hormonaler
Kontrazeptiva hingewiesen werden. Die nidationshemmende Wirkung moderner
hormonaler Kontrazeptiva ist belegt. Gleiches gilt für die Spirale und die so
genannte „Pille danach“, bei denen der Embryo in seiner frühen Phase getötet
wird.
Unsere Gesellschaft wird weithin beherrscht von einer hedonistischen
Vorstellung in Bezug auf die menschliche Sexualität, die sich durch eine
Befreiung von allen Tabus auszeichnet. Erlaubt ist demnach alles, worauf der
Mensch gerade Lust hat: Promiskuität, Pornographie, Autoerotismus, Homo- und
Heterosexualität. Besonders die Massenmedien haben die Sexualität zu einem
Konsumgut werden lassen. Die in früheren Zeiten vielfach bestandenen Normen
werden in jeder Hinsicht als überholt bezeichnet. Die immer früher
stattfindende Aufnahme sexueller Beziehungen kann als ein Übel in unserer
Zeit angesehen werden. „Sie kann eine Folge sein von mangelhafter Liebe und
Geborgenheit in der Familie. Es kann auch daran liegen, dass es den Erziehern
nicht gelungen ist, die notwendigen Ideale zu vermitteln, oder dass die
Beeinflussung von außen zu stark ist.“
Die Relativierung moralischer Normen kann als eine Folge der weithin
anzutreffenden Entfremdung des Menschen von Gott angesehen werden. Wenn der
Mensch das angeborene Bedürfnis nach religiösen Werten unterdrückt, dann
scheint in ihm eine übermäßige Sehnsucht nach rein innerweltlichen Werten zu
entstehen. Jugendliche haben ein instinktives Gespür für Natürliches und
Unnatürliches, das später nicht mehr vorhanden zu sein braucht.
Durch äußere Einflüsse gedrängt, nehmen sie vielfach sexuelle Beziehungen auf, die nicht selten erlebnismäßig zu einem Desaster werden. Vielfach werden sie für eine frühe Aufnahme geschlechtlicher Beziehungen von Erwachsenen noch ermuntert. Wenn jedoch die persönliche Reife noch nicht vorhanden ist, kommt es vielfach zu einer Trennung von Personalität und Sexualität. Damit wird sowohl die betreffende Person als die Sexualität entwertet. Es kommt nicht zu einer Integration der Sexualität in die Persönlichkeit, sondern die Sexualität wird als ein Konsumartikel zur eigenen Befriedigung erlebt. Leicht reiht sich die Sexualität dabei in die verschiedenen Arten der Süchte ein, da durch ihre Desintegration eine Steigerung ihrer Befriedigung gesucht wird.
Junge Menschen sehnen sich nach Wahrheit und Gerechtigkeit. Sie sind offen für
soziale Probleme. Es reicht nicht aus, Aufklärungsprogramme nach rein
medizinisch-hygienischen Grundsätzen zu betreiben. Die kostenlose Verteilung
von Verhütungsmitteln bringt weder einen sozialen Fortschritt noch eine echte
Emanzipation.
Im Unterschied hierzu steht die Natürliche Familienplanung im Dienst des
ganzen Menschen, mit Leib und Seele. „Wenn man sich die körperlichen und
seelischen Risiken der künstlichen Empfängnisverhütung in Erinnerung ruft,
wird man sie eher als Produkt einer Konsum-Gesellschaft nennen als das
Ergebnis eines verantwortbaren Umgangs mit der eigenen Sexualität. (…) Die
Einsichten der Ökologie haben uns allen bewusst gemacht, dass sich die Natur
vom Menschen nicht ungestraft missbrauchen lässt.“
Betrachten wir die Geschichte der letzten 50 Jahre, so kann gesagt werden,
dass die quantitative Kinderarmut zahlreicher Industrienationen in einem
kausalen Zusammenhang mit der Verhütungs- und Abtreibungsmentalität steht.
Insofern kann zu Recht in Bezug auf die Enzyklika „Humanae vitae“ von einem
prophetischen Dokument gesprochen werden. Die Folgen dieser
individualistischen und vielfach auf Spaß und Konsum ausgerichteten
gesellschaftlichen Mentalität schlagen nun zurück und lassen uns die Grenzen
dieser Einstellung erkennen.
Sprach Papst Johannes Paul II. in dem Apostolischen Schreiben „Familiaris
consortio“ im Jahr 1981 noch von einer „lebensfeindlichen Haltung (...), die
sich bei vielen aktuellen Fragen bemerkbar macht“ , so verwendete er vierzehn
Jahre später in der Enzyklika „Evangelium vitae“ schließlich den deutlich
schärferen Ausdruck „Verschwörung gegen das Leben“, dem ein praktischer
Materialismus zugrunde liege, da hier Individualismus, Utilitarismus und
Hedonismus gedeihen könnten.
Die Ehe ist mehr als nur irgendeine Beziehung, sie ist mehr als
Geschlechtsverkehr. Die Ehe ist eine Gemeinschaft von Personen und besitzt
eine religiöse Dimension. „Der fehlende Sinn für das heilige Geheimnis lässt
sich durch keine technischen Tricks, etwa durch erotische Techniken oder durch
eine künstliche Trennung von Sexualität und Zeugung, ersetzen. Es ist die
strukturelle Schwäche der zeitgenössischen Sexologie, dass ihr – von den
eigenen Voraussetzungen her – die Tiefendimension der menschlichen
Geschlechtlichkeit entgeht.“
Wenngleich die katholische Kirche den Eheleuten niemals vorgeschrieben hat,
wie viele Kinder sie haben sollten, so kann dennoch gesagt werden, dass die
vielfach anzutreffende Weigerung der Zeugung und Erziehung von Kindern der
kirchlichen Lehre widerspricht. Es wäre eine Fehlinterpretation der „Verantworteten
Elternschaft“, wenn Paare den Begriff „Verantwortung“ dahingehend
interpretieren würden, indem sie Kindern die angeblichen „Zumutungen“ der
heutigen Welt ersparen wollten. Eine derartige Einstellung entpuppt sich nur
zu leicht als Scheinargument in einer vom Konsumismus dominierten Welt.
Eine im umfassenden Sinne gesunde Einstellung gegenüber Kindern, welche sich
grundsätzlich durch Offenheit gegenüber der Entstehung von Kindern
auszeichnet, kann nur zurückerlangt werden, wenn die Menschen wieder den
einzigartigen Wert des menschlichen Lebens entdecken und ernst nehmen. Die
All-gemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 hat der Familie einen
besonderen Schutz zuerkannt: „Die Familie ist die natürliche und grundlegende
Einheit der Gesellschaft und hat Anspruch auf Schutz durch Gesellschaft und
Staat.“ Wiederum kann Udo Di Fabio genannt werden: „Das Werben um ein Leben
mit Kindern nimmt keinem die Freiheit, ohne Kinder zu leben. Aber der Verzicht
auf Kinder mindert aufs Ganze gesehen die Chancen einer Gesellschaft, in
Freiheit und Wohlstand zu leben.“
Wenn die Familie bereits für den Staat diese grundlegende und in jeder
Hinsicht einzigartige Bedeutung besitzt, um wie viel mehr muss der Kirche
daran gelegen sein, Ehe und Familie in ihren religiösen Grundlagen
herauszustellen. Die Offenheit der Eheleute gegenüber der Zeugung und
Erziehung von Kindern kann als Offenheit und Annahme der Liebe Gottes zu uns
Menschen angesehen werden. Die Verweigerungshaltung gegenüber der Zeugung und
Erziehung von Kindern ist im letzten eine Verweigerung gegenüber Gott, der den
Menschen dazu berufen hat, Zeichen und Werkzeug der Liebe Gottes zu sein.
Diese Verweigerung kann auf Dauer keine guten Früchte hervorbringen.
Die Worte Jesu „Wer ein solches Kind in meinem Namen aufnimmt, der nimmt mich
auf“ (Mt 18, 5) sind an alle Menschen guten Willens gerichtet. Es liegt an uns
allen, den Menschen die wahre Freiheit der Kinder Gottes zu vermitteln. Eine
im umfassenden Sinne gesunde, da im Glauben verankerte Gesellschaft erkennt
man daran, wie sie mit den schwächsten Mitgliedern – den jungen und den alten
Menschen – umgeht. Hält in Zukunft die beschriebene Verweigerungsmentalität
gegenüber der Zeugung und Erziehung von Kindern in gleichem oder gar noch
gesteigertem Maße an, so kann diese Gesellschaft auf Dauer keinen Bestand
haben, da sie im Kern erkrankt ist. Diese Krankheit gründet im Wesentlichen
in einem Mangel an Glauben, Hoffnung und Liebe.
„Bravo wird fünfzig“. Es sollte uns zu denken geben, wenn „Dr. Sommer“ auf die
Frage „Sind Jugendliche heute glücklicher als in der Anfangszeit von ´Bravo`?“
antwortete. „Den Eindruck habe ich nicht“. Weiter führte er aus: „Die
Gesellschaftsschicht, die das Thema Sexualität eigentlich an die Jugendlichen
weitergeben müsste, tut es nicht. Die wirtschaftlich Gesonnenen tun es und
stoßen in eine Marktlücke.“ Dass die Natürliche Familienplanung keine
wirtschaftliche Lobby besitzt mag mit ein Grund für ihre geringe Propagierung
und Verbreitung in der Gesellschaft sein. Ihr steht eine
Verhütungsmittelindustrie entgegen, die satte Gewinne einfährt.
Paul Kirchhof hat darauf hingewiesen, dass von manchen Medien ein Rückgang der
Ehe und Familien festgestellt worden ist, den sie nachfolgend als Wertewandel
erklärten. In dieser Einstellung jedoch – so Kirchhof – „liegt ein normative
Todsünde. Wenn nämlich alles das, was sich tatsächlich ereignet, von einem
sich entsprechend dem Faktischen wandelnden Wert begleitet wird, hätten wir
keinen Maßstab mehr für richtig und falsch, für gut und böse. Das was ist,
wäre grundsätzlich wertvoll.“
Es wäre vermessen, zu glauben, dass die Natürliche Familienplanung alleine
eine Besserung der Beziehung unter den Geschlechtern und der Offenheit
gegenüber Kindern herbeiführen könnte. Nicht zuletzt jedoch aufgrund der
hohen Zahl an zerrütteten Ehen ist es an der Zeit, den Wert und die besondere
Bedeutung dieses Weges für das Zusammenleben der Ehepartner herauszustellen.
Bei der Natürlichen Familienplanung handelt es sich nicht einfach um eine
Methode der Empfängnisregelung sondern um eine neue Verwirklichungsform der
Ehe. Mit der Natürlichen Familienplanung ist eine positive Sichtweise der
Leibverfasstheit des Menschen und seiner Geschlechtlichkeit verbunden.
Der tiefere Sinn der Natürlichen Familienplanung ist an das Sakrament der Ehe
gebunden. Damit sich das Wort in die Tat und die Botschaft in das Leben
umsetzen kann, braucht es immer wieder eine Umkehr, die der Apostel Paulus im
Epheserbrief anspricht: „Wer seine Frau liebt, liebt sich selbst. Keiner hat
je seinen eigenen Leib gehasst, sondern er nährt und pflegt ihn, wie auch
Christus die Kirche. Denn wir sind Glieder seines Leibes.“ (Eph 5,28)