Bei
Hochzeiten wird noch immer geweint – vor Rührung, Ergriffenheit, aus dem
Staunen angesichts dieses großen Augenblicks im Leben von zwei Menschen. Wenn
dann die eigene Tochter einem fast fremden Mann tief in die Augen blickt und
sagt: „Ich will dich lieben, achten und ehren, solange ich lebe.“, dann
schießen noch immer vielen Müttern die Tränen in die Augen. Man kann allerlei
einwenden gegen den hohen Anspruch dieses Wortes. Man verweist auf die
Scheidungszahlen und nennt den Anspruch lebenslanger Liebe romantisch,
unmodern, unrealistisch oder weltfremd. Eines aber kann niemand bestreiten: Er
hat eine einmalige Größe.
Nicht hohles Pathos, nicht alles verklärende und beschönigende Liebelei,
sondern eine nüchterne Größe spricht aus der kirchlichen Trauungsformel: Von
einer „Treue in guten und bösen Tagen, in Gesundheit und Krankheit“ ist da die
Rede. Und von einer Entschlossenheit, die dem menschlichen Willen zutraut,
sein ganzes Schicksal zwar nicht in den Griff zu nehmen, aber doch unter ein
Vorzeichen zu stellen. Keiner weiß am Tag seiner Hochzeit um die Wechselfälle
der kommenden Jahre und Jahrzehnte. Aber vor dem Traualtar bekräftigen zwei
mutige Menschen, dass sie einander lebenslang lieben, achten und ehren wollen.
Dazu gehört Courage, in einer Zeit, die uns Ehebruch und wechselnde
Kurzzeit-Beziehungen von allen Plakatwänden, aus Hollywood-Schnulzen und
Society-Magazinen entgegen schreit. Dazu gehört menschliche Größe in einer
Gesellschaft, die Zweit-, Dritt- und Viert-Ehen von Prominenten aller Art als
Normalfall behandelt, in der Scheidungsraten steigen und Kinderzahlen sinken.
Wie viel angemessener erschiene dem Geist dieser Zeit doch die Formel „Ich
will dich lieben, solange es halt geht“, oder „Ich verspreche dir die Treue in
allen unseren guten Tagen... und bis unsere Liebe stirbt“.
Das hohe Ideal der lebenslangen Verbindung von einem Mann mit einer Frau
entspricht unserer zwar vielfach ignorierten oder verschütteten, aber sich
doch immer wieder bemerkbar machenden Menschennatur. Die Schöpfungsberichte
der Bibel geben darüber Auskunft: In einer poetischen Sprache ist hier davon
die Rede, dass der erste Mensch das Paradies zwar genießt, aber kein Wesen
findet, das ihm wirklich entspricht. Da erschafft Gott die Frau und führt sie
dem Mann zu – worauf dieser in Jubel ausbricht. Kein Wunder, dass die
Erzählung mit einer bis heute treffenden Prognose schließt: „Darum wird ein
Mann seinen Vater und seine Mutter verlassen und seiner Frau anhangen, und
beide werden zu einem Fleisch.“ – Zu „einem Fleisch“ werden sie vor allem in
ihren Kindern, von denen Vater und Mutter mit einem gewissen Recht sagen, sie
seien „mein eigen Fleisch und Blut“.
Monogamie und Unauflöslichkeit sind die beiden signifikantesten Charakteristika der christlichen Ehe
im Gegensatz zur Naturehe, zu außerchristlichen religiösen
oder auch säkularen Ehe-Modellen. Sie sind zugleich die Chance für die Frau,
im unauflöslichen Lebensbund als gleichberechtigte Partnerin neben ihrem Mann
zu stehen, ohne mit Nebenfrauen konkurrieren zu müssen oder verstoßen werden
zu können. Als Mensch gleicher Würde ist sie nicht beliebig austauschbar, wenn
sie alt und runzelig wird oder ihre „Funktionen“ nicht (mehr) erfüllt.
Leichter macht es das Scheidungsverbot Jesu den Menschen sicher nicht. Das
erkannten schon die Apostel, die stöhnten: „Wenn das die Stellung des Mannes
in der Ehe ist, dann ist es nicht gut zu heiraten.“ Nein, für Bequeme ist die
Ehe nichts! Dem Ja-Wort vor dem Traualtar müssen täglich neue Ja-Worte folgen.
Doch nur eine solche Beziehung wird dem gottebenbildlichen Menschen und der
Größe seiner Würde gerecht: Du, ganz und alleinig Du, und Du für immer! – Ist
das nicht das größte Kompliment, das ein Mann einer Frau, und umgekehrt eine
Frau einem Mann machen kann?
Und ist es nicht die größte Beleidigung eines Menschen, ja geradezu ein
Verstoß gegen seine Menschenwürde, wenn ich ihm sage: „Du bist ganz O.K. für
mich – zumindest jetzt und hier, für eine gewisse Zeit, für diesen
Lebensabschnitt.“ Heißt nicht „Ehe auf Probe“, dass man meint, einen Menschen
ausprobieren zu können und zu dürfen – um ihn dann vor Ablauf der
Garantiefrist ins Regal zurückzustellen?
Rapide hat sich in den zurückliegenden Jahren die staatliche Ehe-Gesetzgebung vom christlichen Ehe-Verständnis entfernt. Aus christlicher Sicht ist die Ehe ein heiliger Bund, dem etwas Göttliches anhaftet. Deutlich wird das in der Analogie, die Paulus im Epheser-Brief zwischen der Ehe und der Beziehung Christi zur Kirche zieht. Das hat Vorbilder im Alten Testament, wo der Bund zwischen Gott und dem auserwählten Volk mit einer Ehe verglichen wird. Aber Paulus zieht aus der Liebe Christi zu seiner Kirche Schlußfolgerungen für die Ehe von Mann und Frau.
Eigentlich eine sensationelle Entdeckung:
Die Kirche hat von Anfang an die Liebesehe propagiert!
Ganz im Gegensatz dazu wurde ihr immer vorgeworfen, die Liebe
zu ersticken, die Vernunftehe vor der Liebesbeziehung zu sehen, die wahre
Partnerschaftlichkeit von Mann und Frau verraten und die Unterjochung der Frau
unter den Männerwillen betrieben zu haben. Paulus aber schreibt über die Ehe:
„Einer ordne sich dem anderen unter in der gemeinsamen Ehrfurcht vor
Christus.“ Solche Partnerschaft schließt eine „Hierarchie“ zwischen den
Eheleuten aus. Auch wenn es faktisch oft patriarchale und matriarchale Züge in
christlichen Ehen geben mag: dem Paulus-Wort folgend sollten christliche
Eheleute „sich dem anderen“ unterordnen, nicht den anderen sich selbst
unterwerfen.
Achtung vor dem Partner bedeutet für den Mann, in der Weiblichkeit, im
fraulichen So-Sein seiner Gattin das Liebenswerte und Wertvolle zu sehen, sie
in ihrem Anders-Sein anzunehmen. Wenn ein Ehemann seine Frau liebt und achtet,
dann liebt und achtet er an ihr wohl auch, vielleicht sogar besonders jene
Eigenschaften, die er selbst nicht hat.
Wenn eine Gesellschaft die Frau als Frau akzeptiert, dann versucht sie weder
ihre Fraulichkeit als etwas Minderwertiges abzuqualifizieren (wie dies in
vielen Kulturen der Welt geschieht), noch sie zur „Männin“ zu „emanzipieren“.
Unter Berufung auf den Schöpfungsbericht der Bibel können Frauen beanspruchen,
nicht Männer-Karrieren machen und Männer-Gehabe tun zu müssen, um geachtet zu
werden. Frauen müssen in ihrer Weiblichkeit respektiert und als gleichwertig
behandelt werden – in der Ehe ebenso wie in der Gesellschaft.
Wer immer das Licht der Welt erblickt, wird als Kind eines
Vaters und einer Mutter geboren. Nichts ist deshalb selbstverständlicher,
naturgemäßer als Vaterschaft und Mutterschaft. So sehr sich
Familienverständnisse im Laufe der Jahrhunderte wandeln mochten, so sehr sie
nach kulturellen und religiösen Sphären Unterschiede aufweisen mögen, an
Vaterschaft und Mutterschaft war und ist nicht zu rütteln. Aber der Mensch
wäre nicht der Mensch, wenn es ihm nicht gelänge, auch noch das allerklarste
Naturrecht auszuhöhlen und die natürlichsten Bindungen und Verhältnisse
ideologisch zu hinterfragen.
So betreiben gewisse Sozialisten nicht nur die Vergemeinschaftung (sprich:
Verstaatlichung) der Produktionsmittel, sondern auch die der Menschen: Dem
deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder ebenso wie SPÖ-Vorsitzenden Alfred
Gusenbauer scheint zur Familie nicht mehr einzufallen als die Forderung nach
neuen, flächendeckenden Betreuungsplätzen und ganztägiger Gesamtschule.
Dahinter steht das falsche Ideal, die Kinder möglichst rasch und möglichst
umfassend von Vater und Mutter zu entfremden und einer an der Gleichheit
orientierten Einheitserziehung zu unterwerfen. Willy Brandt meinte in diesem
Sinne einst, Erziehung sei eine Aufgabe der Gesellschaft, die diese teilweise
an die Eltern delegiere.
Das Gegenteil ist richtig: Erziehung ist eine Aufgabe von Mutter und Vater,
die subsidiär durch gesellschaftliche und staatliche Kräfte – etwa durch die
Schule – unterstützt werden.
Nichts ist kindgerechter, natürlicher und
menschenwürdiger als mit Vater und Mutter,
möglichst auch noch mit Geschwistern, aufwachsen zu dürfen.
Spielt dann der Vater auch tatsächlich eine väterliche Rolle
und beschränkt seinen Beitrag zur Familie nicht nur auf deren Finanzierung;
kümmert sich die Mutter tatsächlich mütterlich um ihre Kinder, dann hat das
Kind die besten Chancen, psychisch gesund aufzuwachsen.
Gehörig demoliert wurde das Vaterbild durch den angeblich modernen Kampf gegen
den „Patriarchalismus“ – dessen Spiegelbild zumindest in Europa weitgehend ein
häusliches Matriarchat war und ist. Ergänzt wird diese Demontage durch den
Feminismus, der klugen, lebenstauglichen und dynamischen Frauen einzureden
versucht, dass sie sich nur in der Tretmühle täglicher Erwerbsarbeit
selbst-verwirklichen können, dass sie ihre eigenen Ansprüche in der Nachahmung
des männlichen Lebensstils erringen.
Die modern-kapitalistische Entfremdung zunächst des Vaters und anschließend –
im Namen des Feminismus – auch noch der Mutter von Familie und Kindererziehung
sind ein gefährlicher Irrweg, dessen erste Opfer die Kinder sind. Die
zahllosen tragischen Fälle von Scheidungsweisen, die zahlreichen Fälle von
wohlstandsverwahrlosten Kindern, die es trotz zerrütteter Familienverhältnisse
schaffen, widersprechen dieser These nicht: Kinder brauchen Vater und Mutter,
weil sie Liebe, Geborgenheit, Fordern & Fördern und Vorbilder brauchen. Sie
brauchen die Verschiedenheit der beiden elterlichen Rollen, die
Verschiedenheit von Frau und Mann, Mutter und Vater. Es ist ja kein Zufall,
sondern eine alle Lebenswirklichkeit durchdringende und sinn-volle Wahrheit,
dass Gott den Menschen in zwei Varianten – als Mann und Frau – schuf.
Vorbild aber kann ein Vater nur sein, wenn er das antiautoritäre Geschnabel
vom Vater als bestem Freund des Kindes beiseite schiebt. Sicher, ein Kind
braucht auch Geschwister, Freunde, Kumpel – aber die Rolle des Vaters ist eine
andere. Nun hätte der widernatürliche Kampf gegen den „Patriarchalismus“
(sprich: die Vaterrolle) wohl keine Chance, wenn er nicht ideologisch
vorbereitet und eingebettet wäre. In der Politik lief die erste große Attacke
gegen die Vaterfigur in der Französischen Revolution: Im Namen der „fraternité“
wurde der Vater des Vaterlandes, der König, enthauptet. Nun soll hier weder
der französische Absolutismus noch die Figur von Louis XVI. verteidigt werden.
Signifikant ist jedoch, dass der Vatermord, der schon hier von großer
symbolischer Bedeutung war, unmittelbar zum Brudermord geführt hat. Die
„Brüderlichkeit“ der Französischen Revolution mündete in das Blutbad der
Guillotinen, wie später die von der Sowjetunion gepredigte Brüderlichkeit zu
Massenmord und Gulag führte. Die „Bruderstaaten“ im Ostblock waren nur
Vasallen. Ohne die väterliche Autorität verhalten sich Brüder eben oft wie
Kain und Abel.
Auch die Kirche blieb vom „Kampf gegen den Patriarchalismus“ nicht verschont.
Die vielfältigen Rufe nach einer Demokratisierung der Kirche, aber auch die
pseudo-theologischen Uminterpretationen des Petrusamtes zu einer Art
Ehrenvorsitz des Papstes in einem brüderlichen Kollegium gleichberechtigter
Hirten haben eine Zielrichtung: Sie bereiten die Abschaffung des väterlichen
Prinzips in der Kirche vor. Dieses aber hat seinen Ursprung in Gott, den Jesus
selbst als seinen und unseren Vater bezeichnet hat. Mag im Staat die „Gewalt“
vom Volk ausgehen, so geht in der Kirche – so sie Kirche bleiben und nicht zum
Verein degenerieren möchte – alle Gewalt, Vollmacht, Autorität von Gott aus.
Aber nicht nur die päpstliche, die bischöfliche und die priesterliche
Autorität wurzeln letztlich in der (laut Jesus Christus väterlichen) Autorität
Gottes und müssen sich vor dieser auch verantworten. Auch die Eltern verdanken
ihre Kinder dem Schöpfer und haben ihre mit der Elternschaft verbundene
Autorität in Verantwortung vor Ihm auszuüben. Wenn Gott selbst unser aller
Vater ist, dann gibt es auf Erden keine absolute Autorität, sondern nur eine
vom Vatergott abgeleitete, analoge, geliehene.
Nach den offiziellen Statistiken von „Eurostat“ hat die
Bevölkerung in jenen 15 Staaten, die heute die Europäische Union bilden, in
den zurückliegenden Jahrzehnten kontinuierlich zugenommen. Zählten diese
Länder 1960 nur 315 Millionen Einwohner, so kommen sie heute auf 377
Millionen. Ingesamt übersteigt die Zahl der Lebendgeburten die der Sterbefälle
in der EU leicht. Zwei Entwicklungen sind dabei aber besonders interessant:
1.) die Tatsache, dass es einige Länder gibt, in denen die Zahl der
Sterbefälle jene der Lebendgeburten seit vielen Jahren überragt, etwa
Deutschland, Griechenland, Italien und Schweden. 2.) die zunehmende
Überalterung der EU-Bevölkerung.
Lebten auf dem Gebiet der heutigen EU im Jahr 1960 noch 34 Millionen Menschen,
die älter als 65 Jahre waren, so sind es heute mehr als 62 Millionen. Die
steigende Lebenserwartung wäre überaus erfreulich, wenn es nur genügend
Nachwuchs gäbe, um die Bevölkerungsentwicklung stabil zu halten. Doch genau
dies ist nicht der Fall: Die Fruchtbarkeitsrate liegt im EU-Durchschnitt bei
1,47 Kindern, also deutlich unter der für das Gleichgewicht der Gesellschaft
notwendigen Reproduktionsrate von 2,1.
Wenn in 10 bis 15 Jahren die Babyboom-Jahrgänge langsam das Rentenalter
erreichen, wird unser gesamtes Sozialsystem zur Debatte stehen. Es ist die
jüngere Politikergeneration, die dann ganz neue Ideen braucht, um das
Gesundheits- und Pflegesystem, aber auch das Rentensystem irgendwie zu retten.
Im Jahr 2010 werden nach offiziellen (also eher vorsichtigen) Schätzungen der
EU-Kommission mehr als 18 Prozent der EU-Bürger über 65 Jahre alt sein; „eine
enorme Herausforderung für die europäische Wirtschaft“, wie es euphemistisch
im EU-Sozialreport heißt.
Jeder, der nicht absichtlich die Augen verschließt, muss heute sehen, dass die
Erwerbsbevölkerung in ganz Europa rapide zurückgeht, während gleichzeitig der
Bevölkerungsanteil der Pensionisten – und hier wieder besonders der ganz Alten
– steil ansteigt. In rund 20 Jahren, wenn die ersten Kohorten der
Babyboom-Jahrgänge den so genannten vierten Lebensabschnitt erreichen, wird
der Bedarf an Langzeitpflege und aufwendiger Gesundheitsversorgung ins
Unbezahlbare steigen.
Tatsache ist, dass eine – Gott sei Dank! – immer älter werdende und auch in
relativer Gesundheit alt werdende Generation der Über-65-Jährigen an Umfang
und damit auch an Einfluss gewinnt. Die Pensionisten werden immer mehr zur
wahlentscheidenden Größe. Was Bundeskanzler Franz Vranitzky bereits 1995 mit
seinem Brief an die Pensionisten vorführte, könnte unter Politikern desto mehr
Mode werden, je größer der Anteil der Pensionisten an der Wahlbevölkerung
wird, und je vehementer diese Generation ihre wohlerworbenen Rechte gegen den
eigenen, viel zu geringen Nachwuchs verteidigt. Umgekehrt wird der soziale
Druck auf die Alten – vor allem auf die Sehr-Alten und zugleich Kranken –
enorm steigen, worauf ich unter dem Stichwort „Euthanasie“ noch zu sprechen
komme.
Nicht die heute 20jährigen sind für das demographische Ungleichgewicht
verantwortlich, sondern ihre Elterngeneration. An diese Generation stellt sich
heute ein mathematisches Rätsel, das nur schwer zu knacken ist:
Wenn immer weniger Erwerbstätige immer mehr
Pensionisten mitfinanzieren müssen,
woher sollen sie dann das Geld (und den Mut) nehmen,
selbst noch Kinder in die Welt zu setzen?
Schon heute gilt für ganz Europa, was die EU-Kommission so auf
den Punkt bringt: „Man heiratet weniger und später, und immer mehr Ehen gehen
in die Brüche.“
Wenn erst einmal das Pensionssystem ins Wanken gerät, wenn Pflege- und
Gesundheitssystem krachen, wenn der Staat die Steuerschraube zur Finanzierung
des Sozialsystems so eng gezogen hat, dass uns die Luft zum Atmen ausgeht,
dann wird der Mut zur Familiengründung auf dem Gefrierpunkt gelandet sein.
Junge Paare werden sich die Frage stellen, ob sie sich Kinder noch leisten
können, wenn sie sich schon die Finanzierung der Pensionisten, des viel zu
teuren Staates und des ihnen anerzogenen Lebensstils nicht leisten können. Das
gesamte gesellschaftliche Klima wird rauer werden: Die Konfrontation zwischen
der erwerbstätigen und der nicht-mehr-erwerbstätigen Generation wird zunehmen.
Ich habe die demographische Entwicklung mit so vielen Zahlen
geschildert, weil es sich hier um einen europäischen Trend handelt, auch wenn
die Entwicklungen in den Mitgliedsstaaten der EU nicht gleich schnell und
nicht gleich dramatisch laufen. Nicht aus ethischen Erwägungen, nicht aus
irgendeiner Weltanschauung, nicht aus Mitleid mit den Familien, auch nicht aus
Sympathie, sondern schlicht aus Vernunft sollte die Politik die Familie in das
Zentrum ihrer Überlegungen stellen. Die Entscheidung von Eltern, ob und wie
viele Kinder sie bekommen, ist eine sehr persönliche Entscheidung – aber
zugleich hängt das Wohl der Gesellschaft davon ab.
Deshalb ist es absurd, wenn der Staat Kinder als eine Art Privatvergnügen
egoistischer Eltern betrachtet. Der heilige Augustinus nannte die Familie mit
Recht eine „Pflanzstätte der Gesellschaft“, denn sie ist nicht nur eine
natürliche und soziale Einheit, sondern eine geistige und sittliche Gestalt,
die weder auf den Einzelnen noch auf die Gesellschaft oder den Staat
reduzierbar ist. Dies erweist sich vor allem da, wo der Staat ihre ureigensten
Rechte missachtet. Bereits Papst Pius XII. warnte in einer Ansprache am
19.3.1953: Wenn die Familie nicht mehr „die Grundlage der Gesellschaft, der
erste Raum jeder Erziehung und Kultur“ ist, würden Entpersönlichung und
Vermassung die Folge sein. Die Familie darf also weder auf die Funktion einer
gesellschaftlichen Sozialisations-Agentur reduziert werden, noch als bloßer
Ort biologischer Reproduktion der Bevölkerung gesehen werden. Die Familie hat
eine eigene Würde, die unmittelbar aus der Würde des Menschen selbst fließt.
Der Staat hat – um der Würde des Menschen willen – die Familie also zunächst
zu respektieren und zu schützen. Auch wenn die Familie – teilweise aus
ideologischen Motiven, teilweise aus den Sachzwängen des Lebens und aus
praktischen Erwägungen – heute weitgehend von Kindergärten, Schulen,
staatlichen und zivilen Hilfseinrichtungen vieler Art in ihrer Bedeutung
zurückgedrängt wurde, so wäre die Vorstellung eines von der Familie gänzlich
„befreiten“ Menschen für die meisten unserer Zeitgenossen noch immer eine
Horrorvorstellung.
Aber wir nähern uns dieser Angst machenden Utopie bereits in raschen
Schritten, die ich karikierend so überzeichnen möchte: Kinder, die „in vitro“,
also im Reagenzglas statt von Vater und Mutter gezeugt werden, seit frühester
Kindheit abgeschoben zu „Tagesmüttern“, weggesperrt in Kinderhorte,
Kindergärten, Ganztagsschulen. Sollten sie einmal zufällig gleichzeitig mit
ihren vielbeschäftigten Eltern zu Hause sein, ermöglichen das Fernsehen, der
Computer und der Gameboy ein absolut kommunikationsfreies und begegnungsarmes
Nebeneinander. Da die gestiegene Lebenserwartung die Großfamilie eher
begünstigen würde, ruft man nach sozialen Einrichtungen, um die Alten und
Kranken aus dem Gesichtsfeld der Leistungsgesellschaft zu entfernen: Alten-
und Pflegeheime kümmern sich professioneller als die Verwandten um die
gealterten Menschen, bis sie in einem hochtechnisierten und anonymen
Krankenhaus der Tod ereilt. Auch ihn – den Tod – überlässt man nicht mehr
Unwägbarkeiten, sondern macht ihn (unter dem Stichwort „Euthanasie“) für
Betroffene, Ärzte, Angehörige und Erben planbar.
Eine solche Horrorvision nicht Wirklichkeit werden zu lassen,
ist nicht nur im Interesse von Kirchen oder idealistischen Vereinen, sondern
im Interesse der ganzen Gesellschaft. Der Staat hat die Aufgabe, dort
subsidiär zu helfen, wo Einzelne und gesellschaftliche Kräfte nicht
ausreichen. Deshalb gibt es überhaupt Sozialpolitik. Ein Beispiel: Die
Einrichtung und Förderung von Krankenhäusern oder Schulen ist kein Luxus und
auch keine Frage der Wohltätigkeit, sondern des öffentlichen Interesses an
gesunden und gebildeten Menschen. Ebenso sind die Stabilisierung, der Schutz
und die Förderung der Familie kein ideologisches oder religiöses Thema,
sondern eine Frage der Gerechtigkeit.
Wenn diese Analyse richtig ist, muss es erlaubt sein, folgende Fragen zu
stellen: Was tut die nationale und europäische Politik, um Familienbildung zu
fördern? Wie fördert sie die Freiheit junger, auch gebildeter und gut
ausgebildeter Frauen, sich für Kinder, möglicherweise für mehrere Kinder zu
entscheiden? Wie viel investieren Staat und Europäische Union in das physische
Überleben der Gesellschaft? Wie viel ist es der Gesellschaft wert, dass Kinder
geboren und zu verantwortungsbereiten, leistungswilligen, psychisch gesunden
und sozial denkenden jungen Menschen erzogen werden?
Obwohl
es zu nahezu unüberschaubar vielen Themen heute eine EU-einheitliche Politik
oder zumindest eine europäische Strategie gibt, kann von einer europäischen
Familienpolitik noch keine Rede sein. Die „Grundrechte-Charta“ der EU, die
auch Bestandteil der künftigen Europäischen Verfassung sein wird, nennt die
Familie nur dreimal. Der wichtigste Satz lautet: „Der rechtliche,
wirtschaftliche und soziale Schutz der Familie wird gewährleistet. Um
Familien- und Berufsleben miteinander in Einklang bringen zu können, hat jede
Person das Recht auf Schutz vor Entlassung aus einem mit der Mutterschaft
zusammenhängenden Grund sowie den Anspruch auf einen bezahlten
Mutterschaftsurlaub und auf einen Elternurlaub nach der Geburt oder Adoption
eines Kindes.“
Obwohl Familienpolitik nationale Zuständigkeit ist, ist klar, dass europäische
Institutionen durch eine Vielfalt von Stellungnahmen, Verordnungen und
Richtlinien die Entwicklung in diesen Bereichen beeinflussen. Wir können also
nicht eine offizielle EU-Politik, sondern allenfalls Trends analysieren. Drei
solche Trends, die den Zielen einer kinderfreundlichen und
familienfreundlichen Gesellschaft zuwiderlaufen, will ich zeigen:
Nach Angaben der „International Planned Parenthood Federation“
(IPPF), also einer die Abtreibung befürwortenden Organisation, werden jedes
Jahr weltweit 46 Millionen Abtreibungen vorgenommen, davon 17 Prozent in
Europa; das sind 7,8 Millionen Kinder.
Ein Blick auf die Rechtslage und auf die gesellschaftliche Wirklichkeit zeigt,
dass von europäischer Einheitlichkeit hier keine Rede sein kann. Während in
den Niederlanden eine Abtreibung in Kliniken und Krankenhäusern bis zur
angenommenen Lebensfähigkeit, nämlich innerhalb der ersten 22 Wochen, legal
und für Frauen mit inländischem Wohnsitz auch kostenlos ist, kennt Irland
keine legalen oder straffreien Abtreibungen. In Dänemark kann bis zur 12.
Woche straffrei und kostenlos abgetrieben werden; in Schweden bis zur 18.
Woche ohne Angabe des Grundes und nachher mit Sondergenehmigung; in Österreich
jedenfalls bis zur 12. Woche, im Falle einer eugenischen Indikation aber
unbefristet.
Obwohl die Abtreibungsgesetzgebung nicht in die Kompetenz der EU fällt, und
entsprechend auch deren Beitrittskandidaten nicht vorgeschrieben werden kann,
gibt es doch immer wieder Stimmen, die dies wollen. So verlangten
Feministinnen im Europäischen Parlament, die EU-Kommission solle eine Änderung
der polnischen Rechtslage bezüglich Abtreibungen zur Vorbedingung des
EU-Beitritts machen. Unter dem Stichwort „sexuelle und reproduktive
Gesundheit“ findet die Forderung nach einem „Recht auf Abtreibung“ immer
wieder Eingang in offizielle, wenn auch nicht rechtsverbindliche Texte des
Europäischen Parlamentes.
Die Bemühungen kämpferischer Abtreibungsbefürworter, ein „Recht auf
Abtreibung“ zu verankern, wurde auch im „Konvent für eine europäische
Grundrechte-Charta“ sichtbar. Allerdings ohne Erfolg. Die
EU-Grundrechte-Charta hält stattdessen in Artikel 1 fest: „Die Würde des
Menschen ist unantastbar. Sie ist zu achten und zu schützen.“ In Artikel 2 (1)
heißt es: „Jede Person hat das Recht auf Leben.“ Artikel 2 (2) lautet:
„Niemand darf zur Todesstrafe verurteilt oder hingerichtet werden.“ Artikel 3
(1) ist ebenfalls relevant:
„Jede Person hat das Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit.“
Um diese zitierten Stellen der Grundrechte-Charta mit der
europäischen Abtreibungswirklichkeit in Einklang zu bringen, bedarf es wohl
einiger philosophischer und juristischer Akrobatik.
Anstatt den betroffenen Frauen Mut zum Kind zu machen und konkrete – auch
wirtschaftliche – Anreize zu geben, das gezeugte Kind auch zu gebären,
propagieren staatliche Institutionen weiterhin die Abtreibung: Abtreibung
solle „legal, sicher und für alle zugänglich sein“, forderte das Europäische
Parlament in einer Entschließung über „sexuelle und reproduktive Gesundheit“,
die Anfang Juli 2002 in Straßburg mit einer knappen Mehrheit angenommen wurde.
Unter dem Deckmantel der Entwicklungshilfe finanziert die EU auch Abtreibungen
und Sterilisationen in der sog. Dritten Welt. Am 22. Juli 2002 beschloss die
US-amerikanische Regierung, eine Unterstützung für den „Bevölkerungsfonds der
Vereinten Nationen“ (UNFPA) in Höhe von 34 Millionen US-Dollar zu stoppen.
Präsident Bush stützte sich dabei auf ein Gesetz aus dem Jahr 1985, das die
Unterstützung von Organisationen verbietet, die erzwungene Abtreibungen und
unfreiwillige Sterilisationen entweder fördern oder organisieren. Genau dies
jedoch werfen nicht nur Lebensschützer in den USA dem UNFPA seit langem vor,
insbesondere wegen dessen Verteidigung und Unterstützung der Familienplanung
in China. Wenige Tage nachdem Washington die Gelder für UNFPA gesperrt hatte,
beschloss die EU-Kommission in Brüssel, ebendieser Organisation 32 Millionen
Euro für Programme der Familienplanung und der „reproduktiven Gesundheit“ zur
Verfügung zu stellen. Die EU habe im Jahr 2000, so teilt die Kommission mit,
Aktivitäten im Bereich der „reproduktiven Gesundheit“ mit insgesamt mehr als
300 Millionen Euro unterstützt.
Auch die in den Niederlanden und in Belgien praktizierte
Euthanasie lässt sich mit den ersten drei Artikeln der Grundrechte-Charta kaum
vereinbaren. Diese beiden Länder gehen bei der aktiven Sterbehilfe (korrekter:
Tötungshilfe) einen Sonderweg, dem die übrigen Länder zumindest bisher nicht
folgen wollen. Es handelt sich um einen Weg, der die Solidarität innerhalb der
Familie und zugleich die Solidarität der Gesellschaft mit der Familie
untergräbt.
In den Niederlanden einigten sich 1991 die Ärztevereinigung und das
Justizministerium auf ein freiwilliges Meldeverfahren für Euthanasie und
medizinisch begleiteten Selbstmord. 1999 beschloss die Regierung eine Reform,
wonach Ärzte die Euthanasiefälle nur an eine eigens dafür eingerichtete
Kommission zu melden haben und die Staatsanwaltschaft nur in Ausnahmefällen
aktiv werden darf. Unter bestimmten Bedingungen sollten auch Jugendliche ab 12
Jahren ohne Einwilligung der Eltern nach Euthanasie verlangen dürfen. Nach der
Zustimmung beider Kammern des Parlamentes trat dieses Gesetz im April 2002 in
Kraft.
In Belgien trat im selben Monat ein Gesetz in Kraft, das eine straffreie
Euthanasie vorsieht, wenn ein Patient den Wunsch nach lebensbeendenden
Maßnahmen bei Bewusstsein, mehrfach und freiwillig, schriftlich oder vor
Zeugen geäußert hat. Eine schriftliche Willensäußerung kann bis zu 5 Jahre alt
sein. Euthanasie ist hier auch dann möglich, wenn der Patient nicht in der
Endphase seiner Krankheit ist. Es kann also jemandem aktiv das Leben genommen
werden, der noch mehrere Jahre zu leben hätte.
Im Europäischen Parlament gibt es zu diesem Thema, wie sich im Frühjahr 2001
zeigte, keine Einigkeit. Als die in der „Europäischen Volkspartei“ vereinten
Christdemokraten und Konservativen eine Euthanasie-Debatte abhalten wollten,
leisteten Sozialisten und Grüne Widerstand. Sie seien, so ließen sie
verlauten, nicht grundsätzlich gegen eine solche Debatte, doch müssten sie
sich besser darauf vorbereiten. Erstaunlich, dass Fraktionen, die sich
kompetent fühlen, über Details des Umweltschutzes, der weltweiten Fischerei,
des Urheberrechts im Internet oder die Freisetzung gentechnisch veränderter
Organismen detaillierte Rechtsvorschriften zu befürworten oder abzulehnen,
sich in der Frage der Erlaubtheit des Tötens von Menschen nicht zu einer
Stellungnahme durchringen können.
In dem "Bericht über die Lage der Grundrechte in der Europäischen Union", der
im September 2003 mit knapper Mehrheit angenommen wurde, freut man sich, „dass
im Jahr 2002 in mehreren Mitgliedsstaaten die stets aktuellere Frage der
Entkriminalisierung der aktiven freiwilligen Euthanasie gestellt wurde". Auch
wenn diese heute in nur 2 von 15 Mitgliedsstaaten straffrei ist, sollte man
wachsam sein. Die sich beschleunigende demographische Entwicklung wird in
Kürze wohl die Phantasie vieler anregen.
Der entscheidende Durchbruch kam 1976. Damals strich die
UN-Weltgesundheitsorganisation die Homosexualität von der Liste der seelischen
Erkrankungen. Die Homo-Lobby hatte seit Jahren getrommelt, Homosexualität sei
eine normale, wenn auch seltenere Spielart der Natur. Dann ging es Schlag auf
Schlag: In Deutschland hob die Strafrechtsreform von 1976 die Strafbarkeit
homosexueller Handlungen unter Erwachsenen auf. Seit 1995 ist homosexuelles
Tun auch mit Minderjährigen erlaubt. Dänemark erlaubte 1989 die Registrierung
gleichgeschlechtlicher Partnerschaften. Norwegen zog 1993, Schweden 1995,
Island 1996 nach. In den Niederlanden ist seit April 2002 eine standesamtliche
Eheschließung für homosexuelle Pärchen möglich.
Die in Deutschland seit 1.8.2002 ermöglichte „Eingetragene
Lebenspartnerschaft“ heißt nicht zufällig im Volksmund „Homo-Ehe“. Geregelt
sind hier nicht nur Unterhaltspflichten, Erbrecht, Auskunftsrecht im
Krankenhaus und Zeugnisverweigerungsrecht des homosexuellen Lebenspartners
gegenüber Staatsanwaltschaft und Polizei, sondern auch die Möglichkeiten eines
gemeinsamen „Familien“-Namens und das so genannte „kleine Sorgerecht“ über die
Kinder des einen Partners. Im Klartext: Bringt ein Mann leibliche oder
adoptierte Kinder in die „Lebenspartnerschaft“ mit, kann sein schwuler
Lebenspartner bei der Erziehung der Kleinen mitwirken. Anstelle von Mutter und
Vater mit ihren jeweiligen Rollen und ihren unterschiedlichen Veranlagungen
erlebt der Heranwachsende dann Papa und Stief-Papa. Welches Selbstverständnis,
welches Menschenbild, welches Verständnis von Ehe, Liebe und Familie junge
Buben oder Mädchen in einer solchen Homo-Familie entwickeln, scheint niemanden
zu interessieren.
Oder vielleicht doch? Gabi Binder, die Familiensprecherin einer
sozialistischen Vorfeldorganisation in Österreich, die sich ausgerechnet
„Kinderfreunde“ nennt, sagt: „Es ist nicht einzusehen, warum homosexuelle
Paare mit Kindern in einem rechtlichen Niemandsland leben und keinerlei
Früchte unserer Familienpolitik ernten dürfen.“ Ihre Begründung: Nicht die
Form einer Elternbeziehung, sondern die Qualität sei für die Entwicklung eines
Kindes wichtig.
Könnte es vielleicht Absicht sein, dass hier grundlegendste Erkenntnisse der
Psychologie – also einer noch vor kurzem als modern bevorzugten Wissenschaft –
systematisch ignoriert werden? Will man nicht mehr wahrhaben, dass für junge
Buben und Mädchen die mütterliche und väterliche Bezugsperson die beste
Voraussetzung zur Reifung der eigenen Identität und zur Entwicklung einer
verantworteten Sexualität ist? Ist es bereits „konservativ“ und
„diskriminierend“ darauf hinzuweisen, dass der Schöpfer (für Atheisten: die
Natur) den Menschen in zwei grundlegend verschiedenen Ausgaben schuf: als Frau
und als Mann nämlich?
Und ist man vielleicht hoffnungslos vormodern, wenn man anmerkt, dass der
Schöpfer (bzw. die Natur) einen Link zwischen der normalen sexuellen
Vereinigung und der Fortpflanzung, also der Weitergabe des Lebens hergestellt
hat?
Warum eigentlich plädieren aufgeklärte
Zeitgenossen
in der Umweltpolitik so massiv dafür, von der Natur zu lernen
– und weigern sich in der Gesellschaftspolitik so hartnäckig,
dies auch nur zu tolerieren?
Die hochaktiven, vernetzten und professionell agierenden
Netzwerke der rosaroten Lobby können sich so manchen Sieg auf die Fahnen
heften: Im Europäischen Parlament setzten sie 1994 eine Entschließung durch,
in der die Mitgliedsstaaten der EU aufgefordert werden, „homosexuellen Paaren
alle rechtlichen Regelungen für heterosexuelle Paare zu eröffnen“ und „im
Zusammenwirken mit den nationalen Lesben- und Schwulenorganisationen Maßnahmen
und Kampagnen zur Bekämpfung jeglicher Form der sozialen Diskriminierung von
Homosexuellen einzuleiten“. Die EU-Kommission solle festlegen, so heißt es in
dem Text, dass bereits „die Kündigung von homosexuellen Beschäftigten bei den
Kirchen und Religionsgemeinschaften“, „ein Eheschließungsverbot zwischen
Menschen gleichen Geschlechts“ oder „die Verweigerung des Adoptions- und
Sorgerechts“ als Diskriminierung gilt.
Für die vermeintlichen Rechte der Homosexuellen konnte sich eine Mehrheit im
Europäischen Parlament stets erwärmen. Im September wurden Finnland für die
Anerkennung der „Rechte der Transsexuellen“ und Belgien für die Homo-Ehe
gelobt. Portugal, Irland und Griechenland wurden für diskriminierende
Altersgrenzen bei homosexuellen Beziehungen gerügt. Alle Mitgliedsstaaten
wurden aufgefordert, homosexuellen Paaren „die gleichen Rechte wie ehelichen
Gemeinschaften einzuräumen“. Ausdrücklich fordert der jüngst verabschiedete
Grundrechtsbericht, „jede Form der - gesetzlichen oder tatsächlichen -
Diskriminierung abzuschaffen, unter der Homosexuelle insbesondere im Bereich
des Rechts auf Eheschließung und auf Adoption von Kindern noch immer leiden“.
„Nicht-Diskriminierung“ und „Toleranz“ sind nicht das letzte Ziel der
Homo-Lobby. Wäre es so, dann könnte sie sich damit zufrieden geben, dass der
Staat sich nicht mehr dafür interessiert, was zwei Erwachsene im privaten Raum
freiwilligerweise miteinander treiben. Nein, den nicht gerade einflusslosen
Netzwerken geht es um mehr als um „so-sein-dürfen“. Ein bekennender
Homosexueller schrieb in einer bürgerlichen Wiener Tageszeitung:
„Institutionen, die auf Grund der sexuellen Orientierung diskriminieren (u.a.
Kirchen, Rotes Kreuz), sollten vom Subventionsempfang ausgeschlossen werden
und die Ehe auch gleichgeschlechtlich Liebenden geöffnet werden. Erst dann ist
wahre Gleichstellung vollzogen.“
Wer offizielle EU-Texte zur Familie studiert, wird feststellen, dass hier viel
von der „traditionellen Familie“ die Rede ist, während der Familien-Begriff
zugleich auf diverse Lebenspartnerschaften ausgeweitet wird. Der „Ausschuss
für die Rechte der Frau und Chancengleichheit“ im Europäischen Parlament
formulierte im November 1999 wörtlich: „Rechte der Familie als solche
existieren nicht; es gibt nur die Rechte der Einzelnen, von Frauen, Männern
und Kindern.“ Gegen alle geschichtliche Erfahrung und gegen das
gesellschaftliche Interesse leugnen bestimmte Ideologen die Würde und das
Wesen der Familie.
An
dieser Stelle müssten wir philosophisch weiter fragen nach dem Wesen des
Menschen und dem Wesen der Familie, und nach der Beziehung beider zum Staat.
Wir müssten auch sozial-psychologisch weiter fragen, ob in unseren alten
Gesellschaften Europas nicht eine müde, lebensfeindliche, suizidale Mentalität
beherrschend geworden ist.
Wenden wir uns aber unserer gesellschaftlichen Wirklichkeit zu, in der
Kinderreichtum zum Armuts-Risiko geworden ist, und in der lebenslange Ehe als
Illusion gilt. Es ist unverkennbar, dass Familien in den meisten europäischen
Staaten durch die Steuergesetzgebung schwer diskriminiert werden. Damit es
künftig wieder mehr Gerechtigkeit für die derzeit tatsächlich benachteiligten
Familien gibt, bedarf es großer Reformen.
Lassen Sie mich einige Thesen nennen:
Es muss wieder gesellschaftlicher Konsens werden, dass Kinderreichtum eine ganz persönliche Entscheidung ist, die aber zugleich im Interesse des Gemeinwohls, im Interesse der Gesellschaft und des Staates ist.
Der Staat sollte Frauen in ihrer Entscheidung nicht bevormunden. Wenn er ihnen wirklich die Freiheit lassen will, sich auch für Kinder und deren Erziehung zu entscheiden, muss er die Arbeit der Frau in der Familie als echte Arbeit anerkennen. Das hat weitreichende Folgen für die Pensionsversicherung, für den Umstieg der Frau in andere Berufsfelder, für die Bezahlung der Erziehungsarbeit. Der Ideenreichtum der Politiker ist hier noch mehr gefordert. Denkbar wäre etwa die Anerkennung der Familie als Kleinunternehmen, damit alle Familienausgaben (für Schule, Wohnung, Erziehung, Gesundheit etc.) als Betriebsausgaben steuerlich absetzbar werden.
Entscheidungsfreiheit für die Frau heißt auch, dass der Staat seine Gelder nicht in Kinderbetreuungs-Einrichtungen pumpen sollte, sondern den Müttern in die Hand geben soll. Souverän könnten dann die Mütter entscheiden, ob sie lieber außer Haus arbeiten und das Geld vom Staat in die Kinderbetreuung investieren – oder selbst bei den Kindern bleiben und dieses Geld als Erziehungsgehalt annehmen.
Familien brauchen nicht Almosen, sondern Gerechtigkeit. Dazu gehört auch, dass Eltern ihren Kindern Eigentum übertragen können sollten, ohne dass sich der Staat daran bereichert. Die Erbschaftssteuer wirft für viele Kinder nicht nur große praktische Probleme auf. Es ist auch nicht zu verstehen, warum bereits besteuertes Vermögen noch einmal besteuert werden darf, wenn es von den Eltern auf die Kinder übergeht. Es handelt sich hier um eine teilweise Enteignung, bei der der Staat wie eine Räuberbande auftritt.
Wir sollten die Debatten um das Wahlalter beenden und jedem Menschen ab der Geburt das Wahlrecht geben. Das Kinderwahlrecht (manche sprechen von „Familienwahlrecht“) kann nur so funktionieren, dass die Eltern bis zur Volljährigkeit das Wahlrecht für ihre Kinder wahrnehmen. Warum sollte bei der Wahl nicht funktionieren, was in so vielen anderen Lebensbereichen täglich funktioniert? Die Eltern entscheiden auch über die Schulbildung und die Gesundheitsvorsorge ihrer Kinder, warum nicht über ihr Kreuz auf dem Wahlzettel? Sicherlich aber würde ein Kinderwahlrecht dazu führen, dass sich die Politik wieder stärker an den Familien – und damit an der Zukunft – orientieren muss.
Familien brauchen nicht Almosen, sondern Gerechtigkeit.
Wir brauchen aber darüber hinaus einen neuen Respekt vor dem
Leben, vor der Würde des Menschen, vor der Würde des Kindes. Ohne eine solche
geistige Erneuerung werden alle sozialen Maßnahmen nicht funktionieren. Und
diese Wende im Bewusstsein herbeizuführen, kann nicht nur Aufgabe von Staat
und Parteien sein. Hier sind wir alle gefordert.