- Die Erkenntnis der Wahrheit
- Die Bedeutung der Wahrheit
- Lüge und Betrug
- Notlügen und Ausreden
- Die Heuchelei
- Schlecht über andere reden
- Anvertraute Geheimnisse weitersagen
- Nicht gehaltene Versprechen
- Die Angeberei
- Die Selbsttäuschung
- Verleumdung und Rufschädigung
- Manipulation durch die Medien
- Schweigepflicht und Datenschutz
- Grenzfälle der Wahrheit
Das achte Gebot bezieht sich auf die Wahrheit. Es wendet sich gegen alle Formen der Lüge und verlangt von uns, dass wir für die Wahrheit eintreten. Das achte Gebot fordert von uns aber auch, dass wir nach wahrer Erkenntnis streben und erkannte Wahrheiten bezeugen. Das setzt aber voraus, dass wir wissen, wie wir zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen können und welche Bedeutung die Wahrheit für uns Menschen hat.
Die Wahrheit ist zunächst die Frucht der menschlichen Erkenntnis. Es gibt verschiedene Wege, um zur Erkenntnis der Wahrheit zu gelangen. Eine erste Möglichkeit ist die wissenschaftliche Erkenntnis, die es uns erlaubt, die Gesetzmäßigkeiten und Zusammenhänge in der Natur zu erfassen. Eine zweite Erkenntnisart ist die psychologische Erkenntnis, die es uns gestattet, das innere Wesen des Menschen zu erfassen. Ein weiterer Zugang zur Wahrheit ist die Liebe zu unseren Mitmenschen: Das Herz des Liebenden ist imstande, auch die verborgenen Schätze und Werte des anderen zu sehen. (Der berühmte französische Schriftsteller Saint Exupéry hat recht, wenn er schreibt: "Man sieht nur mit dem Herzen gut!") Die Wahrheit kann aber auch durch ein gutes Vorbild erfasst werden: Wenn wir einer Gestalt begegnen dürfen, die sich durch hohe Menschlichkeit und Tugendhaftigkeit auszeichnet, dann erfahren wir damit die Wahrheit gewisser Werte. Ein weiterer Weg zur Wahrheit sind auch die Philosophie und die Kunst: Die Weisheit großer Denker und die Schau von echten Künstlern lassen uns viele tiefere Wahrheiten der menschlichen Existenz erfassen. Schließlich lässt uns auch die Erfahrung manche bittere Wahrheit erkennen: Die nachhaltigen Schmerzen nach Fehlentscheidungen sind oft eine eindrucksvolle Lektion der Wahrheit.
Die Wahrheit ist auch ein Geschenk der göttlichen Offenbarung. Im Laufe der Menschheits-Geschichte geschah es immer wieder, dass Gott dem Menschen besondere Wahrheiten geoffenbart hat. Dies zeigte sich in besonderer Weise in der Geschichte des Volkes Israel, in der Gott durch sein Wirken sein Wesen und seinen Willen offenbarte. Den Höhepunkt erreichte die Offenbarung schließlich in der Gestalt Jesu Christi, der uns über Gott und den Menschen Wahrheiten geoffenbart hat, die alle menschlichen Deutungsversuche bei weitem übersteigen. Jesus hat sich schließlich selbst als die Wahrheit und das Leben geoffenbart: Er ist die sichtbare Offenbarung Gottes und des vollendeten Menschen.
ZUSAMMENFASSUNG:
DIE ERKENNTNIS DER WAHRHEIT
a) Die Wahrheit durch die menschliche Erkenntnis
b) Die Wahrheit durch die Offenbarung Gottes
Die Wahrheit bedeutet für den Menschen zunächst die richtige Erkenntnis der Wirklichkeit. Der Mensch ist in vielfacher Weise darauf angewiesen, die Dinge so zu erkennen, wie sie wirklich sind. Er muss wissen, wie seine Umgebung beschaffen ist, damit er überhaupt lebensfähig ist. Der Mensch braucht die Wahrheit aber auch, um zu einer richtigen Selbsterkenntnis zu gelangen: Er muss über sein eigenes Wesen Bescheid wissen, damit er sich entfalten kann; er muss seine Begabungen und Talente richtig erfassen, um seine persönliche Sendung zu erkennen; er soll aber auch über seine Schwächen Bescheid wissen, damit er bestimmte Gefahren meiden kann. Der Mensch braucht schließlich auch eine wahre Erkenntnis vom Ursprung und Ziel des Lebens, um so den letzten Sinn seines Lebens finden zu können.
Die Wahrheit ist auch entscheidend für die Orientierung des menschlichen Verhaltens und Handelns. Wenn der Einzelne die Wahrheit erkannt hat, dann kennt er die wesentlichen Grundsätze der Moral und kann zwischen Gut und Böse unterscheiden. Die Wahrheit ist auch die Grundlage für das Verhalten des Menschen in der Gemeinschaft und ermöglicht die Verteidigung der Werte in Gesellschaft und Staat. Die Wahrheit ist schließlich auch die Grundlage für die Orientierung des Menschen bei seinem Streben nach dem ewigen Heil.
Die Wahrheit ist dann auch die Grundlage des gegenseitigen Vertrauens. Wenn wir wissen, dass uns der andere die Wahrheit sagt, dann können wir ihm unser Vertrauen schenken. Wir sind dann auch bereit, mit ihm gemeinsam zu leben und zu wirken. Die Wahrheit ist deshalb ein unverzichtbares Fundament für das Leben in der Gemeinschaft. Die Wahrhaftigkeit ermöglicht das Zustandekommen von guten Freundschaften und stabilen Ehen und fördert tragfähige Partnerschaften in der Wirtschaft und in der Politik.
ZUSAMMENFASSUNG:
DIE BEDEUTUNG DER WAHRHEIT
a) Die Wahrheit als Erkenntnis der Wirklichkeit
b) Die Wahrheit als Grundlage der Moral
c) Die Wahrheit als Grundlage des Vertrauens
Die Wahrheit wird heute vielfach in Frage gestellt und Lüge und Betrug sind an der Tagesordnung. Der eine verkauft seine Wohnung und behauptet, dass die Bausubstanz optimal sei. Aber bereits nach einem halben Jahr muss der Käufer feststellen, dass der Verputz herunterbröckelt. Ein anderer verkauft sein gebrauchtes Auto und erklärt, dass der Wagen 50.000 Kilometer gefahren sei. In Wirklichkeit hat er vorher den Kilometerzähler um 20.000 km zurückgedreht. Der Lederwarenhändler beteuert, dass die Handtasche aus echtem Leder sei, und dann war es eben doch nur Kunstleder. Beim Kauf eines Hemdes schwört der Verkäufer, dass es sich um hundertprozentige Baumwolle handle, und wenn man das erste Mal schwitzt, stinkt es nach Kunststoff. Beim Kauf eines Spiegels ist von echtem Kristall die Rede, und dann stellt sich heraus, dass es ein ganz gewöhnliches Glas ist. Bei der Versicherung wird einem erklärt, dass alle Unfälle abgedeckt seien, und wenn man dann eine Entschädigung braucht, ist genau dieser Unfall nicht vorgesehen. Zur Weihnachtszeit kommt ein Brief mit der Bitte um eine Spende für arme Waisenkinder in Mogadischu, und zwei Wochen später erfährt man aus der Zeitung, dass hinter dieser Spendenaktion eine Betrügerbande stand usw. usf. Für viele Menschen ist das Lügen schon so zur Gewohnheit geworden, dass sie es gar nicht mehr merken.
Viele Menschen lügen auch, um damit Unannehmlichkeiten zu entgehen: Der Angestellte kommt mit Verspätung zur Arbeit und behauptet, dass der Bus oder der Zug Verspätung hatte. Frau Huber will der Begegnung mit einer unsympathischen Person ausweichen und erklärt, dass sie gerade einen Termin beim Zahnarzt habe. Herrn Maier schmeckt das Essen seines Gastgebers nicht und so beteuert er, dass er bereits völlig satt sei. Die Schülerin hat die Aufgabe nicht gemacht und sagt zum Lehrer, dass sie gestern für ihre Eltern Verschiedenes erledigen musste. Der Schüler hat während des Unterrichts einen Kaugummi im Mund und behauptet, es handle sich um ein Hustenbonbon... Die Menschen sind wahrscheinlich nie so schöpferisch und phantasievoll wie bei der Erfindung von Notlügen und Ausreden! Viele sehen die Notlüge als einen erlaubten "Kavaliersdelikt" an. Wir müssen aber sagen, dass auch Notlügen Lügen sind. Wenn jemand bei der kleinsten Unannehmlichkeit zu einer Lüge greift, wird er wahrscheinlich auch sonst leicht eine Lüge bei der Hand haben.
Ein weiterer Verstoß gegen die Wahrheit ist auch die Heuchelei. Dabei
verbergen wir unsere wahren Ansichten und Absichten und täuschen
den Mitmenschen Zustimmung und Wohlwollen vor. Meistens bedienen wir uns
dieser Verstellung, wenn wir uns dadurch einen Vorteil erwarten. Häufig
kommt es auch zu einer Heuchelei, wenn wir uns in einem
Abhängigkeitsverhältnis befinden. Die Heuchelei kennt viele Formen: Wir
lächeln einem Mitmenschen freundlich zu, obwohl wir ihn innerlich verachten.
Wir heucheln Interesse und Anteilnahme, obwohl uns der andere völlig
egal ist. Wir stimmen seiner Meinung zu, obwohl wir vom Gegenteil
überzeugt sind. Wir loben seine Leistungen, obwohl dazu kein Grund
besteht. Wir erkundigen uns nach dem Wohlbefinden des Kunden, obwohl
uns nur sein Geld interessiert. Auf diese Weise hoffen wir, in
gesellschaftlicher, beruflicher und wirtschaftlicher Hinsicht Vorteile zu
erringen. Die Heuchelei gehört aber häufig auch zur Strategie, dem
Mitmenschen eins auszuwischen und ihn zu schädigen: Wir stellen uns scheinbar
auf die Seite des anderen, um sein Vertrauen zu gewinnen, aber in
Wirklichkeit wollen wir ihn nur aushorchen. Wie tun dem andern schön,
um ihn in Sicherheit zu wiegen, bevor wir dann zu einem Schlag gegen ihn
ausholen. Eine weitere Form der Heuchelei besteht auch darin, dass wir unseren
Mitmenschen weltanschaulich und religiös etwas vormachen: Wir schreiben
uns bei einer Partei ein, um einen Arbeitsplatz zu erhalten, obwohl
diese Partei nicht unserer Weltanschauung entspricht; wir geben vor,
praktizierende Gläubige zu sein, um eine Stelle oder einen Arbeitsauftrag
von Seiten der Kirche zu erhalten, obwohl wir vom Glauben wenig oder nichts
halten... Die schlimmste Form der Heuchelei ist aber die Scheinheiligkeit:
Wir heucheln sogar vor Gott und geben uns den Anstrich echter
Frömmigkeit, aber in Wirklichkeit ist unser religiöses Verhalten nur eine
Maskerade und katholischer Staubzucker.
Die Heuchelei ist heute fast schon eine Volkskrankheit. Viele
Jugendliche werden schon daheim dazu angehalten, sich überall anzupassen und
nur das zu sagen, was gerade "opportun" ist. Aber auch die Erwachsenen
heucheln bei jeder Gelegenheit. Die meisten sind davon überzeugt, dass die
Heuchelei die einzige Möglichkeit ist, um weiterzukommen und Erfolg zu
haben. Der Spruch "Ehrlich währt am längsten" scheint längst überholt zu sein,
dafür heißt es jetzt "Ehrlich sind nur die Dummen"!
Es sei gerne zugegeben, dass man nicht immer alles sagen kann, was man denkt.
Die Klugheit verlangt gelegentlich, dass man sich zurückhält und nicht
im falschen Moment gewisse Dinge äußert. Trotz dieser gebotenen Klugheit ist
es uns nicht erlaubt, dass wir bewusst Dinge sagen oder vorgaukeln, die
nicht mit unserer tatsächlichen Überzeugung und Gesinnung übereinstimmen.
Es sollte uns bewusst sein, dass die Heuchelei eine massive Gefährdung für
unseren Charakter darstellt. Wir verwandeln uns dann in ein Chamäleon, das
nach Bedarf die Farbe wechselt, wir werden zu Windfahnen, die bei jedem
Windwechsel die Richtung ändern. Wir werden zu ständigen Theaterspielern,
die sich letztlich selbst etwas vormachen. Die Heuchelei gefährdet den
Menschen in seiner innersten Seele! Nicht umsonst hat Jesus die Heuchelei
ganz massiv angeprangert und verurteilt. Den Pharisäern hat Jesus u. a.
folgende Sätze ins Gesicht geschleudert: "Weh euch, ihr Schriftgelehrten und
Pharisäer, ihr Heuchler! Ihr seid wie die Gräber, die außen weiß angestrichen
sind und schön aussehen, innen aber sind sie voll Knochen, Schmutz und
Verwesung. So erscheint auch ihr von außen den Menschen gerecht, aber innen
seid ihr voll Heuchelei und Ungehorsam gegen Gottes Gesetz." (Mt 23,27-28)
Gegen die Wahrheit verstoßen wir auch, wenn wir schlecht von den anderen
reden. Wenn wir uns selbst kritisch beobachten, können wir feststellen,
dass wir fast bei jedem Gespräch schlechte Dinge über unsere
Mitmenschen sagen. Dabei passiert es meistens, dass wir unsere Berichte auch
noch ein wenig aufbauschen, damit sie pikanter wirken und besser
ankommen. Der ganze Klatsch und Tratsch unserer Gesellschaft lebt zum
allergrößten Teil von schlechten Dingen, die wir von unseren Mitmenschen zu
berichten wissen. Die Unterhaltungen in einer gesellschaftlichen Runde
erreichen dann ihren Höhepunkt, wenn einer wieder eine "Viecherei" von einem
Zeitgenossen erzählen kann. Der Umsatz unserer Kaffeehäuser hängt zu
einem großen Teil von unserem schlechten Gerede über die anderen ab. Durch
dieses gemeine Gerede kommt es aber immer wieder zu seelischen Verletzungen
unserer Mitmenschen. Es kommt auch zu Unterstellungen und
Verdächtigungen, die das Zusammenleben in der Gesellschaft sehr
erschweren.
Jesus hat sich auch zu diesem Punkt sehr deutlich geäußert: "Richtet
nicht, damit ihr nicht gerichtet werdet! Denn wie ihr richtet, so werdet
ihr gerichtet werden, und nach dem Maß, mit dem ihr messt, wird euch zugeteilt
werden." (Mt 7,1-2) Jesus wendet sich damit ganz klar gegen die Verurteilung
der Mitmenschen, die durch unser schlechtes Reden über ihn geschieht. Wir
haben kein Recht, einen anderen Menschen zu verurteilen und schlecht zu
machen.
Trotz dieser klaren Absage gegenüber jeder Verurteilung unserer Mitmenschen
bedeutet das nicht, dass wir uns kein Urteil über gewisse negative
Eigenschaften unserer Zeitgenossen bilden dürfen. Wir sind sogar
verpflichtet, uns ein klares Bild von bestimmten negativen Eigenschaften und
Handlungen unserer Mitmenschen zu machen. Nur eine klare Einschätzung der
negativen Seiten und Verhaltensweisen bestimmter Mitmenschen ermöglicht es
uns, gewisse Gefahren zu erkennen und uns dagegen zu schützen. Nur eine
klare Erkenntnis gewisser Fehlverhalten unserer Mitmenschen gibt uns die
Möglichkeit, diese schädigenden Verhaltensweisen zu bekämpfen. Aber wir
sollten nur dort über diese negativen Vorkommnisse sprechen, wo auch Hilfe zu
erwarten ist. Das bedeutet konkret, dass wir nur mit solchen Menschen
über bestimmte negative Vorkommnisse in unserem Umfeld sprechen sollten, die
uns in seriöser Weise behilflich sein können, diese Missstände zu
beheben. Dabei sollten wir trotz unserer inneren Bedrängnis nicht vergessen,
dass wir auch für jene Menschen verantwortlich sind, deren Verhaltensweisen
wir aus eindeutigen Gründen bekämpfen. Unser Kampf sollte auch das innere Heil
jener Menschen im Augen haben, die sich uns gegenüber falsch verhalten.
Schließlich sei noch darauf hingewiesen, dass es auch Momente geben
kann, in denen ein Mensch sich unbedingt Luft machen muss. Es gibt
manchmal Situationen, in denen ein Mensch dermaßen unter der Schlechtigkeit
und Boshaftigkeit gewisser Mitmenschen leidet, dass er reden muss, um nicht
innerlich zu "platzen". Er braucht also ein "Ventil", um seinen
seelischen Überdruck loszuwerden. Dieses Bedürfnis ist menschlich durchaus
verständlich! Wichtig wäre aber, dass er für seine Aussprache die richtigen
Menschen wählt. Nicht jeder eignet sich als "Klagemauer" und nicht jeder geht
mit den "Hiobsbotschaften" richtig um. Es sollte sich in diesen Fällen um
einen verlässlichen Freund handeln, dem man wirklich vertrauen kann. Am
besten wäre es, wenn man einen weisen und klugen Priester als Seelenführer
hätte, mit dem man über diese inneren Bedrängnisse offen reden kann. In
gewissen Fällen kann es auch sein, dass man nur mit Gott über die
tiefsten Schmerzen in der eigenen Seele sprechen kann. Dabei dürfen wir aber
gewiss sein, dass Gott uns wie keiner anderer zuhört und dass er uns zur
rechten Zeit auch Hilfe schicken wird.
Das achte Gebot verbietet auch, dass wir Geheimnisse, die uns anvertraut
wurden, anderen Menschen weitersagen. Es gibt in jedem menschlichen Leben
Dinge, die nicht für alle Menschen bestimmt sind. Es gibt Wahrheiten, die
geschützt werden müssen. Wenn nun aber Geheimnisse ausgeplaudert werden,
so bedeutet das eine Missachtung gegenüber einer schutzbedürftigen Wahrheit.
Gleichzeitig bedeutet eine Weitergabe von Geheimnissen auch einen groben
Vertrauensbruch. Die Preisgabe von Geheimnissen kann sowohl im privaten
als auch im gesellschaftlichen Leben zu unheimlichen Folgen führen.
Es gilt aber auch im Hinblick auf die Bewahrung von Geheimnissen gewisse
psychologische Regeln zu beachten. Es muss uns bewusst sein, dass nur
ganz wenige Menschen wirklich "dichthalten" können. Bei vielen Menschen
wirkt die Aufforderung: "Das sag ich Dir ganz im Vertrauen! Das musst Du
unbedingt für Dich behalten!" wie eine Express-Marke, die sie zur
beschleunigten Weitergabe der Geheimnisse veranlasst. Manche Personen werden
zu regelrechten "Sendestationen" und verbreiten die "Top-Secret"-Botschaften
bis in die letzten Häuser. (In den Alpen nennt man solche Personen treffend
eine "Ratsch-Kathl" oder ein "Dorf-Radio"!) Dazu kommt, dass vor allem
belastende Geheimnisse einen gewissen seelischen Druck auf den
Menschen ausüben und ihn zu einer "Entlastung" drängen. Diese Entlastung
besteht dann aber in der Weitergabe des Geheimnisses. Aus diesen Gründen
sollten wir uns gut überlegen, wem wir unsere Geheimnisse anvertrauen.
Wir sollten uns auch fragen, wie es um die psychische Belastbarkeit
jenes Menschen steht, dem wir ein Geheimnis mitteilen wollen. In vielen Fällen
wird es am besten sein, wenn wir das Geheimnis für uns behalten.
Gegen das achte Gebot sündigen war auch, wenn wir ein gegebenes Versprechen nicht einhalten. Wenn wir etwas versprechen, was wir dann nicht tun, wird unser Versprechen zu einer falschen Aussage und damit zu einer Unwahrheit. Leider können wir heute immer wieder feststellen, dass viele Versprechungen nicht eingehalten werden: Der eine verspricht seinem Bekannten, dass er ihm bei der Abfassung der Steuererklärung behilflich sein würde, aber er lässt sich dann nicht blicken. Ein anderer versichert seinem Kollegen, dass er ihn bei der Suche nach einem Arbeitsplatz unterstützen würde, aber in Wirklichkeit tut er nichts. Ein dritter beteuert gegenüber einer armen Familie, dass er sich um eine passende Wohnung umsehen werde, aber er unternimmt dann keinen Schritt. Ein vierter gibt das Versprechen ab, dass er bestimmte homöopathische Arzneien aus dem Ausland beschaffen werde, aber es geschieht dann nichts. Ein fünfter schwört einem Mädchen hoch und heilig, dass er es heiraten werde, aber er lässt es dann sitzen... In allen diesen Fällen handelt es sich um Versprechungen, die nicht gehalten und erfüllt werden. Die Versprechungen waren also unwahre Aussagen oder sogar glatte Lügen. Diese ungehaltenen Versprechungen stellen wiederum das Vertrauen in Frage und zeugen auch von einem unverlässlichen Charakter. Manchmal handelt es sich aber auch um eine Überschätzung der eigenen Möglichkeiten: Wir versprechen manchmal im Eifer gewisse Dinge, die wir dann nicht einhalten können. Es ist daher ratsam, lieber zu wenig als zu viel zu versprechen. Auf diese Weise können wir unseren Mitmenschen manche bittere Enttäuschung ersparen!
Das achte Gebot wendet sich auch gegen die Angeberei. Die Angeberei
besteht darin, dass ein Mensch mehr aus sich macht, als er tatsächlich ist.
Auf diese Weise entspricht also die eigene Selbstdarstellung nicht mehr der
Wahrheit und wird damit zur Lüge. Eine solche Angeberei kann auf mehrere Arten
geschehen: Eine erste Form besteht darin, dass einer in übertriebener Weise
mit Leistungen prahlt, die er vollbracht hat: Er berichtet von seinen
grandiosen sportlichen Leistungen, von seinen Eroberungen beim anderen
Geschlecht, er protzt mit seinem Gehalt und streicht bei jeder
Gelegenheit seine guten gesellschaftlichen Beziehungen heraus. Eine
zweite Form der Angeberei kommt auch in gewissen Statussymbolen zum Ausdruck,
die man sich eigentlich nicht leisten kann: Dazu gehören z. B.
Kleidungsstücke aus den besten Modehäusern, teurer Schmuck, schicke
Autos, Reisen in die Südsee. Insgeheim hat man eine Menge
Schulden und lebt auf Pump, aber man kann angeben. Das Leben dieser Menschen
ist oft ein großer Bluff und statt dem Sein regiert der Schein. Der
Angeber ist oft ein Egozentriker, der alles in Bewegung setzt, um
selbst im Mittelpunkt zu stehen. Er hat meistens ein übertriebenes
Geltungsbedürfnis und sucht krankhaft nach Anerkennung.
Jesus verurteilt jede Angeberei und jedes Sich-zur-Schau-stellen. Er
brandmarkt die Pharisäer, die sich durch ihre Angeberei schuldig machen:
"Alles, was sie tun, tun sie nur, damit die Menschen es sehen: Sie machen ihre
Gebetsriemen breit und die Quasten an ihren Gewändern lang, bei jedem Festmahl
möchten sie den Ehrenplatz und in der Synagoge die vordersten Sitze haben, und
auf den Straßen und Plätzen lassen sie sich gern grüßen und von den Leuten
Rabbi (Meister) nennen." (Mt 23,5-7)
Das achte Gebot beinhaltet schließlich auch die Verpflichtung, dass wir
uns selbst so sehen, wie wirklich sind. Das bedeutet konkret, dass wir uns
selbst nichts vormachen und auch unsere Schwächen und Fehler klar erkennen
sollen. Aber gerade in diesem Punkt fehlt es oft weit. Während wir bei unseren
Mitmenschen einen sehr scharfen Blick für alle Fehler und Mängel haben,
übersehen wir bei uns selbst oft sogar gravierende Fehler. Auf unser
Verhalten treffen dann genau die folgenden Worte Jesu zu: "Warum siehst du den
Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du
nicht?" (Mt 7,3) Während wir bei unserem Urteil über die anderen oft gnadenlos
sind, haben wir für uns selbst stets eine Ausrede parat. Wir sind oft auch
wahre Meister der Verdrängung: Wir wissen, dass wir endlich mit
gewissen Lastern wie Alkohol, Nikotin und Sex aufräumen müssten, aber
wir tun so, als ob diese Probleme nicht existieren würden. Wir erleben, dass
es in unserer Ehe ständig Krisen gibt, aber wir tun nichts für ihre
Sanierung. Wir erfahren, dass es am Arbeitsplatz immer wieder
Spannungen gibt, aber wir tun nichts zur Beilegung der Konflikte. In stillen
Momenten wird uns bewusst, dass unser ganzes Leben völlig sinnlos ist,
aber wir lenken uns ab und versuchen uns zu betäuben. Wir spüren den inneren
Anruf Gottes, endlich mit dem Glauben Ernst zu machen, aber wir stopfen
uns die inneren Ohren zu.
Und wieder finden wir im Evangelium Jesu treffende Worte, die genau diese
Verschließung des Menschen gegenüber der Wahrheit beschreiben: "Denn das Herz
dieses Volkes ist hart geworden, und mit ihren Ohren hören sie nur schwer, und
ihre Augen halten sie geschlossen, damit sie mit ihren Augen nicht sehen und
mit ihren Ohren nicht hören, damit sie mit ihrem Herzen nicht zur Einsicht
kommen, damit sie sich nicht bekehren und ich sie nicht heile." (Mt 13,15)
Das achte Gebot verpflichtet uns, den guten Ruf eines Menschen zu schützen. Es ist nicht erlaubt, durch gezielte falsche Aussagen das Ansehen eines Menschen zu schädigen. Der gute Ruf ist für den Menschen eine unerlässliche Voraussetzung dafür, dass er von der Gesellschaft akzeptiert wird. Ohne guten Ruf wird er leicht zum Ausgestoßenen, der sowohl menschlich als auch gesellschaftlich sehr schnell in Schwierigkeiten gerät. Leider müssen wir heute feststellen, dass es immer wieder zu Verleumdungen und Rufschädigungen kommt. In allen öffentlichen Bereichen - in der Wirtschaft, in der Politik, aber auch in der Kirche - wird mit Verdächtigungen, Diffamierungen, Verleumdungen und Hetzkampagnen gearbeitet. Die Betroffenen können sich gegen diese Attacken kaum wehren: Sie haben zwar die Möglichkeit, gegen diese Leute einen Prozess zu führen, aber auch im Falle einer Verurteilung der Gegenseite bleibt immer etwas von den Verleumdungen und Diffamierungen hängen. Dazu kommt, dass die Rufgeschädigten oft nicht über die medialen Mittel verfügen, um sich gegen gewisse Verleumdungen zur Wehr zu setzen. Auf diese Weise bleibt oft nur ein Gefühl von Ohnmacht zurück. Die Wahrheit aber bleibt allemal auf der Strecke.
Das achte Gebot verlangt weiters, dass die Medien eine wahrheitsgemäße
Berichterstattung und Kommentierung der verschiedenen Ereignisse
gewährleisten. Der moderne Mensch ist mehr denn je auf die Informationen
angewiesen, die ihm die Medien liefern. Das Welt-Bild des modernen
Menschen ist weitgehend das Medien-Bild, das ihm auf verschiedensten
Kanälen vermittelt wird. Die Medien haben heute eine Bedeutung und Intensität
erreicht, wie sie bis vor kurzem noch unvorstellbar war.
Leider müssen wir heute auch bei den Medien feststellen, dass sie oft nicht
die Wahrheit vermitteln. Sie dienen oft vielmehr bestimmten politischen und
wirtschaftlichen Interessen. Sie sind oft stark von ideologischen
Standpunkten beeinflusst. Sie rücken gewisse Geschehnisse einseitig in den
Vordergrund und lassen andere wichtige Ereignisse beiseite. Die Medien denken
oft mehr an das Geschäft und opfern dafür Wahrheit und Moral. Sie leben
von Skandalen und Enthüllungen und treten die menschliche Würde mit
Füßen. Sie werben für eine völlig liberale Gesellschaft und
verhöhnen alle moralischen Werte. Sie fördern oft eine verrückte Kultur
und machen jede harmonische Kultur lächerlich. Sie hetzen gegen das
Christentum und die Kirche und diffamieren Papst und Bischöfe. Die Medien
sind längst zu einer ungeheuren Gefährdung für das Innerste des Menschen
geworden: Die westliche Welt erlebt heute über die Medien eine
Konsumwerbung, die den Menschen zu einem materialistischen Instinktwesen
degradiert. Die Medien vermitteln aber auch zunehmend eine esoterischen
Spiritualität, die zu einer schleichenden Aushöhlung der christlichen
Wahrheiten führt. Die liberalen Medien weichen heute alle Prinzipien auf und
bereiten damit dem antichristlichen Geist den Weg. Heute wird uns mehr denn je
bewusst, wie recht Jesus hatte, als er sagte: "Euer Ja sei ein Ja, euer Nein
ein Nein; alles andere stammt vom Bösen." (Mt 5,37)
Das achte Gebot schließt auch die öffentliche Schweigepflicht bestimmter Personen und Einrichtungen ein. Im Interesse der Bürger müssen verschiedene Kenntnisse und Daten geschützt werden. Aus diesem Grund sind z. B. Ärzte, Beamte, Lehrer, Banken, Wirtschaftsunternehmen u. a. zum Schweigen verpflichtet. Sie dürfen keine Kenntnisse und Daten an die Öffentlichkeit weitergeben, aus denen den Bürgern Nachteile erstehen könnten. Leider müssen wir feststellen, dass auch in diesem Bereich vieles nicht stimmt. Es gibt heute so viele Informationen und "Enthüllungen" von geheimsten Dingen, dass man sich als normaler Bürger immer wieder die Frage stellen muss, wie das möglich ist. Wir wundern uns, dass gewisse Journalisten bereits die Ergebnisse von geheimen politischen Verhandlungen kennen. Wie sind diese Journalisten zu ihren Informationen gelangt? Wir stellen fest, dass wir von gewissen Wirtschaftsunternehmen spezifisches Werbematerial erhalten. Woher wissen diese Unternehmen, dass wir an diesen Produkten interessiert sind? Weiters stellen wir fest, dass der Staat immer mehr Einblick in unsere finanziellen Angelegenheiten erhält. Über die Steuererklärungen kennt er die meisten unserer Finanzaktionen, über die Mehrwertsteuer kennt er jede Ein- und Ausgabe, über die Quellensteuer guckt er in unsere Sparbücher und Wertpapiere. Wir wissen inzwischen auch, dass der Staat über zentrale Computer sämtliche personalen Daten abrufen kann. Auf diese Weise kann er jederzeit unsere persönlichen Daten über Ehe, Familie, Berufsausbildung, Karriere, Geschäfte, Finanzen, Steuern, Versicherungen, Wohnungswechsel, Krankheiten, Unfälle und eventuelle Straftaten kontrollieren. Er kann über Satellit unsere Telefongespräche verfolgen und über Chips im Auto unsere Ortsveränderungen feststellen, er kann aber auch unsere Kontakte über Fax und Internet überprüfen. Wir leben längst in einer Gesellschaft ohne Geheimnisse und Diskretion, es gibt keine Intimität und keine Tabus mehr. Unsere Gesellschaft ist so transparent geworden, dass wir buchstäblich in einem gläsernen Haus sitzen. Der totale Kontrollstaat ist technisch in greifbare Nähe gerückt und ermöglicht zunehmend eine heimliche Diktatur. Das berühmte Wort von George Orwell: "Der große Bruder (gemeint ist damit der Staat) wacht über dich" scheint immer mehr Wirklichkeit zu werden. Dieser erschreckende Verlust einer privaten Sphäre bedeutet aber das schleichende Ende der menschlichen Person und der freien Gesellschaft.
Beim achten Gebot stellt sich schließlich auch die Frage, ob wir in allen Fällen die Wahrheit sagen dürfen. Es gibt oft Situationen, in denen es nicht leicht ist, die Wahrheit zu sagen. Es gibt sogar Grenzfälle, bei denen es besser zu sein scheint, nicht die Wahrheit zu sagen.
Ein solcher Grenzfall ist z. B. dann gegeben, wenn wir uns bei einem
Schwerkranken fragen, ob wir ihm die ganze Wahrheit sagen sollen oder
nicht. Ist es besser, dass ein Krebskranker erfährt, wie es wirklich um
ihn steht, oder sollen wir ihm seinen Zustand verschweigen? Was sollen wir
antworten, wenn uns der Kranke selber fragt, wie es wirklich um ihn steht?
Sollen wir ihm sagen, dass er bald sterben muss, oder sollen wir ihm falsche
Hoffnungen machen? Aus christlicher Sicht gilt hier folgender Grundsatz: Man
sollte bei aller Berücksichtigung der besonderen Umstände niemals das
Gegenteil der Wahrheit sagen. Konkret bedeutet das, dass wir aus einem
unheilbaren Krebs nicht einen Blinddarm machen sollten. Wir dürfen also nicht
den kritischen Zustand des Patienten verharmlosen. Es sollte vielmehr unser
Ziel sein, dass wir den Patienten doch allmählich über seinen Zustand
aufklären. Es stellt sich dabei allerdings die Frage, in welcher Weise das
geschehen soll. Es gibt robustere Naturen, die die offene Wahrheit vertragen
und denen man die ganze Wahrheit sagen kann. Er gibt aber auch sehr sensible
Personen, denen man die Wahrheit nur schrittweise eröffnen kann. Es kommt dann
auch noch sehr darauf an, wer die Wahrheit sagt. Eigentlich wäre es Aufgabe
des Arztes, den Patienten in behutsamer Weise über seinen Zustand
aufzuklären. Aber viele Ärzte haben oft nicht die Zeit zu einer behutsamen
Aufklärung des Patienten und sagen diesem die Diagnose brutal ins Gesicht.
Etliche Ärzte nehmen sich aber die Zeit zu einem persönlichen Gespräch mit den
Kranken und helfen ihnen in sehr menschlicher Weise, die harte Wahrheit
anzunehmen. Es wird heute auch oft die Ansicht vertreten, dass ein
Angehöriger dem schwerkranken Patienten sagen sollte, wie es wirklich um
ihn steht. Ein Angehörige hat nämlich den Vorteil, dass er den Patienten
menschlich besser kennt als der Arzt. Er kann ihn oft viel persönlicher
ansprechen und ihm viel persönlicher beistehen. Diese Aufklärung des Patienten
ist für einen Angehörigen oft sehr schmerzlich und ihn seelisch in
Mitleidenschaft: Es ist oft ungeheuer schwer, wenn man den engsten Angehörigen
- einem Vater, einer Mutter, einem Bruder, einer Schwester, oder gar dem
eigenen Kind - mitteilen muss, dass es keine Hoffnung mehr gibt. Aber es ist
gleichzeitig auch ein großer Liebesdienst, wenn ein Angehöriger durch uns
erfährt, wie es um ihn steht. Er wird dann nicht durch eine fremde Person mit
seinem Schicksal konfrontiert, sondern erfährt sein schweres Los durch eine
Person, die ihn liebt und trägt. Neben dem Arzt oder den Angehörigen kann es
aber auch ein Krankenhausseelsorger sein, der einem Patienten die
Wahrheit über seinen Zustand mitteilt. Diese Eröffnung durch einen Priester
kann besonders für einen gläubigen Menschen eine große Hilfe sein. Der
Priester ist für diesen Menschen immer auch ein Diener Gottes, der ihm die
Kraft und die Nähe Gottes vermittelt. So können wir also festhalten, dass es
aus christlicher Sicht richtig ist, dem Patienten die Wahrheit über seinen
Zustand zu sagen. Wir sollten dies allerdings in der richtigen Form und durch
die richtigen Personen tun.
Für dieses Stehen zu einer schwierigen und harten Wahrheit gibt es aus
christlicher Sicht noch einen weiteren gewichtigen Grund: Der schwerkranke
Mensch sollte rechtzeitig über seinen wahren Zustand informiert werden, damit
er sich entsprechend auf die Ewigkeit vorbereiten kann. Aus
christlicher Sicht ist es wichtig, dass sich ein Mensch vor seinem Tod mit
Gott versöhnen kann und auch Gelegenheit hat, gewisse weltliche Dinge in
Ordnung zu bringen. Es hat daher keinen Sinn, dass man einen Menschen solange
über seinen wahren Zustand im unklaren lässt, bis er nicht mehr imstande ist,
sein Verhältnis mit Gott und den Menschen zu bereinigen. Es muss uns Christen
bewusst sein, dass die Ewigkeit so wichtig ist, dass wir einem Menschen auch
einen kurzfristigen Schmerz zumuten dürfen, um sein ewiges Heil zu sichern.
Meistens ist es auch so, dass die Patienten nach einer Phase des Aufbäumens
und der Verzweiflung doch froh sind, dass sie die Wahrheit erfahren haben und
sich nun in Ruhe auf den Eintritt in das ewige Leben vorbereiten können.
Es wäre auch sehr wichtig, dass alle Ärzte und Krankenschwestern
auf den rechten Umgang mit dieser schwierigen Wahrheit vorbereitet würden. Die
Ärzte erfahren im Laufe ihrer langen und intensiven Ausbildung leider nur sehr
wenig über den rechten menschlichen Umgang mit Schwerkranken und Sterbenden.
Viele Ärzte geben es auch ganz offen zu, dass sie in dieser Hinsicht oft eine
gewisse Ohnmacht und Hilflosigkeit empfinden. Sie wissen oft
nicht, wie sie ihren Patienten in diesen kritischen und entscheidenden
Momenten beistehen sollen. Hier gebe es noch einiges zu tun, um der Wahrheit
auch in dieser Grenzsituation in Liebe gerecht zu werden.
Beim achten Gebot stellt sich aber auch die Frage, ob wir bestimmte Untaten anzeigen sollen. Wie soll sich z. B. ein Mitarbeiter einer Firma verhalten, wenn er erfährt, dass die Kollegen im eigenen Betrieb krumme Geschäfte machen? Wie soll sich ein Mensch verhalten, der Zeuge eines Autounfalls wird und weiß, dass er mit seinen Aussagen einen armen Schlucker belastet? Wie soll jemand reagieren, der einen Mann bei der Brandstiftung beobachtet, von dem er weiß, dass er ein mehrfacher Familienvater ist? Was soll ein Wissenschaftler tun, wenn er erkennt, dass seine wohl gehüteten Erkenntnisse für die Gesellschaft gefährlich werden? In solchen Fällen kann ein Mensch oft in größte innere Schwierigkeiten kommen. Er muss in solchen Fällen aber doch den Mut haben, zur Wahrheit zu stehen. Es muss ihm bewusst sein, dass die Verheimlichung der Wahrheit in solchen Fällen dem Bösen Vorschub leistet und damit zu großen Schäden führt. Durch das Verschweigen der Wahrheit wird es dem Bösen ermöglicht, ungehindert zu wirken. Durch das Verbergen der Wahrheit kommt es zur Zunahme der Kriminalität und zu ungesühnten Delikten. Es ist daher notwendig, dass wir der Wahrheit auch unter schwierigen Umständen zum Sieg zu verhelfen. Gleichzeitig müssen wir aber auch dafür sorgen, dass sich die Auswirkungen unserer Aussagen für den Täter und seine Angehörigen durch entsprechende soziale Maßnahmen in Grenzen halten. Die Wahrheit muss also trotz mancher harten Folgen immer von der Liebe begleitet sein.
Und schließlich geht es noch um die Frage, ob und wie Menschen unangenehme Wahrheiten aussprechen sollen, wenn sie in einem Abhängigkeitsverhältnis stehen. Soll z. B. ein Angestellter seinem Chef sagen, dass er sich ungebührlich benommen hat, wenn er dabei riskiert, seinen Arbeitsplatz zu verlieren? Soll eine junge Krankenschwester dem Primar mitteilen, dass sie von einem Oberarzt belästigt wird, wenn sie dann von diesem schikaniert wird? Soll ein Schüler seinem Lehrer gewisse Fehlleistungen vorhalten, wenn er dann mit entsprechenden Reaktionen rechnen muss? Aus christlicher Sicht sollte auch in solchen Fällen versucht werden, der Wahrheit zum Durchbruch zu verhelfen. Allerdings ist es dabei unerlässlich, gewisse Regeln zu beachten. Die erste dieser Regeln besagt, dass eine unangenehme Wahrheit um so leichter akzeptiert wird, je größer das Vertrauen zwischen zwei Personen ist. Das würde also bedeuten, dass sich der Untergebene zunächst durch korrektes Verhalten und großen Einsatz das Vertrauen seiner Oberen erwerben sollte. Auf einer soliden Vertrauensbasis ist es dann auch möglich, unangenehme Wahrheiten zu sagen. Dabei ist allerdings auch gleich die zweite Regel zu beachten. Diese Regel lautet: Je heikler das Thema, desto höflicher der Ton. Das bedeutet wiederum, dass wir uns bei heiklen Wahrheiten um eine besonders höfliche Form bemühen müssen. Eine dritte Regel verlangt, dass wir eine unangenehme Wahrheit mit Klugheit vorbringen sollen: Wir müssen für die richtige Atmosphäre sorgen und auch den richtigen Zeitpunkt abwarten. Manchmal ist es auch empfehlenswert, in kleinen Schritten vorzugehen. Vor allem aber müssen wir unseren Vorgesetzten davon überzeugen, dass wir nicht gegen seine Person sind, sondern dass es uns um die Sache geht. Wir sollten ihm auch zu verstehen geben, dass wir an einem guten Verhältnis zu ihm interessiert sind. Auf diese Weise ist es meistens möglich, einem Chef oder einem Vorgesetzten auch unangenehme Dinge zu vermitteln. In vielen Fällen werden wir nach einem solchen Gespräch von unserem Vorgesetzten noch mehr geschätzt als vorher. Der Vorgesetzte merkt nämlich, dass wir an gewissen Grundsätzen festhalten und dass wir an seiner Person und seinem Betrieb interessiert sind. Auf diese Weise trägt die Wahrheit auch in solchen Fällen dazu bei, das zwischenmenschliche Klima zu verbessern. Es ist aber bei allen diesen heiklen Gesprächen ratsam, den Heiligen Geist um seine Hilfe anzurufen. Wenn uns der Heilige Geist erleuchtet, dann können wir sicher sein, dass wir die richtigen Worte finden, um der Wahrheit zum Durchbruch zu verhelfen. Der Heilige Geist wirkt dann auch in der Seele unseres Gesprächspartners und öffnet sein Herz für die Wahrheit.
ZUSAMMENFASSUNG:
GRENZFÄLLE DER WAHRHEIT
a) Aufklärung von Schwerkranken
b) Anzeigen von Untaten
c) Unangenehme Wahrheiten
ACHTES GEBOT: DU SOLLST NICHT LÜGEN!
1) Die Erkenntnis der Wahrheit
2) Die Bedeutung der Wahrheit
3) Lüge und Betrug
4) Notlügen und Ausreden
5) Die Heuchelei
6) Schlecht über andere reden
7) Anvertraute Geheimnisse weitersagen
8) Nicht gehaltene Versprechen
9) Die Angeberei
10) Die Selbsttäuschung
11) Verleumdung und Rufschädigung
12) Manipulation durch die Medien
13) Schweigepflicht und Datenschutz
14) Grenzfälle der Wahrheit