Der ungekürzte Vortrag
von "Familien-Bischof" Klaus Küng zum Auftakt einer Tagung der
Initiative Hauskirche am Sonntagberg (NÖ)
1. Um verständlich
zu machen, was die Kirche mit dem Begriff „Ecclesia Domestica“ –
„Hauskirche“ – meint, möchte ich zunächst einmal mehr mit einem kurzen
glaubensgeschichtlichen Überblick beginnen.
Persönlich gehe ich beim
Versuch, „Hauskirche“ zu erklären, am liebsten von der Erzählung der
Apostelgeschichte von der Bekehrung des Hauptmanns Kornelius (Apg 10, 1 ff)
aus. Denn so wird von Anfang an vermieden, dieses Thema mit zu eng gesetzten
Kategorien und Vorstellungen anzugehen.
Kornelius war ein frommer
Heide, ein gottesfürchtiger Mann, der viel Gutes tat und hohes Ansehen genoss.
Er hatte seine ganze Verwandtschaft, auch gute Freunde in seinem Haus
versammelt. Sie waren daran interessiert, den Simon Petrus zu hören. Es war
ein wichtiges Ereignis: nicht nur, dass Kornelius und seine Leute die Taufe
empfingen und Christen wurden, für die Verbreitung des Evangeliums eröffneten
sich neue Perspektiven.
Von da an wurden auch
Heiden zur Taufe zugelassen. Es war vermutlich zugleich der Anfang einer
Hauskirche, die sich nicht auf die Familie im engen Sinn beschränkte. Es ist
anzunehmen, daß das Haus des Hauptmanns zum Stützpunkt für eine größere
Zahl von Christen wurde, auch der Apostel.
In der Apostelgeschichte
finden sich an mehreren Stellen Hinweise auf die Entstehung solcher
Hauskirchen. Als Petrus aus dem Gefängnis in Jerusalem befreit wurde und aus
seiner Benommenheit erwachte, ging er zum Haus der Maria, der Mutter des
Johannes mit dem Beinamen Markus, wo „nicht wenige versammelt waren und
beteten“ (vgl. Apg 12, 12). In Philippi nahm Lydia, eine Purpurhändlerin
aus der Stadt Thyatira, den Paulus und seine Begleitung in ihr Haus auf, denn
– so berichtet die Apostelgeschichte – „der Herr öffnete ihr das Herz, sodass
sie den Worten des Paulus aufmerksam lauschte.“ Es heißt dann weiter:
„Als sie und alle, die zu ihrem Haus gehörten, getauft waren, bat sie: Wenn
ihr überzeugt seid, dass ich fest an den Herrn glaube, kommt in mein Haus und
bleibt da“ (Apg 16, 14-15).
Besonders bedeutungsvoll
war das Haus des Ehepaares Aquila und Priszilla. Sie waren aus Rom vertrieben
worden und hatten sich in Korinth niedergelassen. Bei ihnen wohnte Paulus während
seiner missionarischen Tätigkeit in Korinth. Dort verdiente er sich als
Zeltmacher den Lebensunterhalt.
Von Aquila und Priszilla
wird auch erzählt, dass sie den Apollo genauer im Glauben unterwiesen. Bei
seinen Predigten hatte sich nämlich gezeigt, dass seine theologischen
Kenntnisse unzulänglich waren. Ihr Haus war offenbar ein Zentrum christlichen
Lebens.
Gemeinsam mit dem
Soldaten, der ihn bewachte, wohnte Paulus in Rom während seiner zweijährigen
Gefangenschaft in einer Mietwohnung, in der er viele empfangen und eine rege
apostolische Tätigkeit ausüben konnte. Auch das war wohl eine Art
Hauskirche.
In Rom sind später
mehrere bedeutsame Kirchen an Orten errichtet worden, wo vorher im
Zusammenhang mit Wohnanlagen für die liturgischen Zusammenkünfte der
Christen Gebetsräume entstanden waren. S. Clemente ist das berühmteste
Beispiel dafür.
Zusammenfassend: In den
ersten Jahrhunderten versammelten sich die Christen in Familienhäusern. In
Zeiten der Verfolgung geschah dies geheim, in ruhigeren Epochen dagegen mehr
oder weniger öffentlich. Sie kamen zum Gebet zusammen, vor allem zum
Brotbrechen, auch zur Glaubensunterweisung. Diese Hauskirchen waren wohl in
der Regel nicht mit einer Familie ident, auch nicht mit der Großfamilie,
sondern durch Offenheit gekennzeichnet, sowohl in sozialer als auch in familiärer
Hinsicht. Die Apostel, ihre Nachfolger und Mitarbeiter waren einbezogen und
spielten eine wichtige Rolle.
Mit dem konstantinischen
Frieden trat eine grundlegende Veränderung ein: Die Zahl der Christen war
stark angewachsen, Privathäuser waren als Versammlungsorte nicht mehr
geeignet. Kirchen wurden errichtet, eine geregelte, organisierte Katechese
wurde aufgebaut.
Manche Kirchenväter
dieser Zeit – dies gilt besonders für Johannes Chrysostomus, aber auch bei
Augustinus finden sich Hinweise – haben die Verantwortung der Hausväter für
den Glauben und das christliche Verhalten der Mitglieder der Familie betont.
Da waren die Hausgemeinschaften in einem engeren Sinn gemeint: die Familie
samt Personal. In den folgenden Jahrhunderten wird der Begriff
„Hauskirche“ dann kaum mehr verwendet, erst der Protestantismus führt zu
einer neuen Belebung. In den evangelischen Religionsgemeinschaften erhält das
Pastorenhaus eine besondere Bedeutung. Als Zentrum des gemeinsamen Gebetes,
aber auch als wichtige Stütze der Dia-konie und des Gemeindelebens wird es
zum Vorbild protestantischer Hausgemein-schaften.
In der katholischen Kirche
taucht der Begriff erst im II. Vatikanischen Konzil neuerlich auf. Dies hängt
mit der Vertiefung des Kirchenverständnisses zusammen. Das Konzil macht bewusst,
dass nicht nur Bischöfe, Priester und Diakone sowie Ordensleute die Sendung
der Kirche verwirklichen, sondern alle Getauften und Gefirmten aktiv an dieser
Sendung mitwirken müssen. Den Eheleuten und Eltern kommt dabei eine ganz
besonders wichtige Bedeutung zu (vgl. LG 11, GS 48). Einen Einfluss auf die
Darlegungen des Konzils bezüglich Hauskirche hatten sicherlich auch manche
Erfahrungen im Vorfeld sowie die schon während des Konzils sich abzeichnende
Situation einer christlichen Gesellschaft in einem fortschreitenden Säkularisierungsprozess,
der für die pastorale Wirksamkeit der Kirche in christlichen Wohlstandsländern
wie bei uns eine besondere Herausforderung darstellt.
Bei schwereren und länger
anhaltenden Kirchenverfolgungen war und ist die Familie der am ehesten noch
sichere Ort christlicher Glaubenspraxis. In Extremfällen wird die Familie zum
einzigen Träger kirchlichen Lebens. In manchen Ländern wie Japan, Russland,
Albanien usw. hat der christliche Glaube fast ausschließlich durch die Treue
mancher Familien über längere Strecken hinweg überdauern können.
2. Die Familie in
der säkularisierten Gesellschaft In der fortschreitend säkularisierten
Gesellschaft entsteht in Ländern, die ursprünglich christlich stark geprägt
waren und in denen sich gut organisierte Volkskirchen entwickelt hatten,
bedingt durch den gesellschaftlichen Umbruch eine Situation, in welcher die
traditionellen seelsorglichen Einrichtungen und Vorgangsweisen nicht mehr
„greifen“. Da kommt der Familie ebenfalls vermehrt eine besondere
Bedeutung zu.
Das hängt mit den
Gegebenheiten der Schule in einer pluralistischen Gesellschaft zusammen: Nach
starkem Rückgang der Glaubenspraxis bei einem größeren Prozentsatz der Bevölkerung
stellen die Kinder und Jugendlichen aus christlichen Familien plötzlich eine
Minderheit dar. Der Religionsunterricht wird dadurch viel schwieriger. Er muß
beim Wissensniveau jener ansetzen, die keine Voraussetzungen mitbringen.
Er bedeutet zwar für
alle, auch solche, deren Familien der Kirche weitgehend entfremdet sind, eine
Chance, den Glauben kennen zulernen, der Religionsunterricht wird aber auch
dort, wo er gelingt, inhaltlich unvermeidlich ärmer und kann nicht mehr das
leisten, was er früher geleistet hat, als noch die meisten Schüler mehr oder
weniger religiös erzogen waren. Dazu kommt, dass die Lehrer ebenfalls ein
Abbild der pluralistischen Gesellschaft sind, wodurch die Kinder und
Jugendlichen, ohne dafür vorbereitet zu sein, mit sehr unterschiedlichen
Weltanschauungen konfrontiert sind. An solchen Schulen werden kaum mehr
christliche Werte vermittelt. An konfessionellen Privatschulen ist die Lage
zwar noch etwas besser, weil der Schulträger die Lehrkräfte bis zu einem
gewissen Grad auswählen kann, aber wegen des Mangels an geistlichen Berufen
gerade bei den tätigen Orden wird es auch diesbezüglich von Jahr zu Jahr
schwieriger, eine klare Schulidentität zu wahren.
Auch in den Pfarren ist
die pastorale Arbeit schwieriger geworden: Da in den ursprünglich sehr
christlichen Ländern die meisten Kinder und Jugendlichen noch immer getauft
werden, obwohl viele Eltern den Glauben kaum oder nicht mehr selber
praktizieren, werden sie zwar zu den Sakramenten geführt und im Glauben so
gut als möglich unterrichtet. Da ihnen aber das Vorbild der Eltern und
Geschwister fehlt, ist es sehr schwierig, sie zu einer echten und regelmäßigen
Teilnahme am kirchlichen Leben zu bewegen. Die Vorbereitung auf die
Erstkommunion und auf die Firmung werden zu isolierten Gehversuchen im
Glauben, die nur in einem sehr begrenzten Maße fruchtbar sein können.
Aufgrund dieser Schwierigkeiten werden alle möglichen Anstrengungen
unternommen, um die Eltern der Kinder und Jugendlichen in die
Sakramentenvorbereitungen einzubeziehen. So wird in den letzten Jahren jedes Mal
stärker bewusst, wie wichtig die Familie für die Weitergabe des Glaubens
ist.
Aber auch die christlichen
Familien haben ihre Schwierigkeiten: zum einen scheitern viele, was zu tiefen
Wunden in Gesellschaft und Kirche führt. Das wirkt sich vor allem bei den
Kindern negativ aus. Nicht selten hängt auch die Entfremdung vom Glauben mit
Schwierigkeiten in diesem Bereich zusammen. Zum anderen haben auch intakte und
bemühte christliche Familien oft große Probleme, den Glauben an die jüngeren
Generationen weiterzugeben. Die Kinder geraten unter den Einfluss der Schule,
der Mitschüler, der Medien, der Atmosphäre einer weitgehend heidnischen
Gesellschaft. Christliche Eltern stehen häufig bestimmten Entwicklungen
geradezu hilflos gegenüber.
In den letzten Jahren wird
mancherorts verstärkt der Weg der Familienkatechese gewählt. Man geht davon
aus, dass Kinder ohne das Mittun der Eltern kaum dauerhaft Zugang zum Glauben
finden können. Deshalb bemüht man sich, ihre Katechese ganz oder zumindest
weitgehend über ihre Eltern durchzuführen. Die Eltern werden im Glauben
instruiert, damit sie ihn an ihre Kinder weitergeben. Das Hauptproblem in
diesem Zusammenhang besteht – wie bereits beschrieben -, dass die Eltern oft
selber weit vom Glauben entfernt sind und ihn daher auch nicht an die Kinder
zu vermitteln vermögen. Dabei ist wichtig, sich dessen bewusst zu sein, dass
es nicht bloß um eine Wissensfrage geht. Den Eltern fehlt aber oft auch das nötige
Wissen und es ist nicht möglich, sich dieses in ein paar Stunden anzueignen.
Familienkatechese ist aber
trotzdem ein wertvoller Ansatz, wenn es gelingt, die nötigen
Rahmenbedingungen zu schaffen, und bestimmte Voraussetzungen beachtet werden.
1. Zunächst
scheint mir grundlegend zu sein, sich bewusst zu machen, dass nur die Kirche
als Ganzes Trägerin der Verkündigung, der Heiligung und der Leitung (auf dem
Glaubensweg) ist. Es darf nicht aus dem Blick verloren werden, dass die einzig
wahrhaft fruchtbare Bemühung, zu einem Leben aus dem Glauben zu führen,
immer in Christus selber ansetzt. Eine echte, fruchtbare pastorale Wirksamkeit
der Kirche – das gilt auch für die Hauskirche – kommt nur dann zustande,
wenn Christus verkündet wird, sein Evangelium, seine Lehre, so wie sie von
der Kirche vermittelt wird; wenn er es ist, der heiligt - das geschieht durch
die Sakramente - und wenn durch entsprechende Anleitung dem Evangelium gemäß
zur Nachfolge Christi geführt wird. Ohne diesen Ansatz in Christus selbst
bleiben alle Anstrengungen, Menschen in den Glauben einzuführen, mögen diese
Anstrengungen auch noch so groß sein, zur Gänze oder weitgehend unfruchtbar.
2. Die Kirche ist
einerseits von ihrem Wesen her hierarchisch gegliedert, das heißt, das
Weiheamt, das im Dienste Christi und seines Leibes steht, ist für die volle
Entfaltung der Kirche, auch der Hauskirche unerlässlich, andererseits nehmen
alle Getauften und Gefirmten am Priester-, Propheten- und Königsamt Christi
teil. Auch diese aktive Teilnahme aller Christen am Priester-, Propheten- und
Königsamt Christi ist für die Verwirklichung der Sendung der Kirche wichtig.
Von ganz besonderer Bedeutung ist für die gesunde Entwicklung und Erziehung
der Kinder, auch für ihr Hineinwachsen in den christlichen Glauben die
Aufgabe der Eltern. Diese ihre Aufgabe ist unveräußerlich (FC 36) und kaum
ersetzbar. In der pluralistischen Gesellschaft kommt außerdem der Familie
auch deshalb eine ganz besondere Bedeutung zu, weil sie unter Umständen –
sofern die Eltern ihre Aufgabe wahrnehmen und dafür auch vorbereitet sind –
die einzige Institution ist, die christliche Werte vermittelt.
3. Die Familie
braucht normalerweise den Rückhalt der Pfarre. Die kirchliche Sozialisierung,
das heißt die Einbindung in die Gemeinschaft der Gläubigen ist für jung und
alt wichtig. Die Formen dieser kirchlichen Sozialisierung waren im Laufe der
Geschichte je nach den örtlichen Ausformungen und Gegebenheiten der Kirche
unterschiedlich. Heute scheint sich aufgrund der Mobilität der Menschen und
der Umbruchsituation in Gesellschaft und Kirche eine gewisse Auflockerung des
territorialen Prinzips (Dekanats- und Pfarrstruktur) anzubahnen, auch wenn
davon auszugehen ist, dass die Pfarre wohl immer für die Grundvollzüge des
Glaubens bedeutungsvoll sein wird. Der Pfarrer wird in der Regel auch immer
der zuständige Hirte sein, der zu beurteilen hat, ob eine Katechese dem
Glauben der Kirche entspricht und ob von den Gläubigen die für den
Sakramentenempfang erforderlichen Voraussetzungen erfüllt werden.
Manchmal kann in einer
religiösen Gemeinschaft Rückhalt gefunden werden, meist wird dies eher als
Ergänzung der pfarrlichen Arbeit zu betrachten sein und nicht so sehr als
deren Ersatz.
Wenn ein Kind früher reif
ist, und die Eltern die nötigen Voraussetzungen mitbringen besteht auch die Möglichkeit,
die Erlaubnis zur Frühkommunion zu erteilen. In einem solchen Fall führen
die Eltern persönlich das Kind zur Erstbeichte und zur Erstkommunion, wobei
ein Priester, normalerweise der Pfarrer, beizuziehen ist. Er muss sich vor der
Spendung der Sakramente ein Urteil bilden, ob das Kind tatsächlich
ausreichend vorbereitet und für den Empfang des Sakramentes genügend reif
ist. Auch bezüglich Firmung besteht von den gültigen Bestimmungen her die Möglichkeit
zu ähnlichen Ausnahmen. Das können in bestimmten Situation durchaus überlegenswerte
Vorgangsweisen sein, man wird aber auch abwägen müssen, ob die Kinder,
manchmal auch die Familie selbst nicht in eine schädliche Sonderstellung oder
in eine für die Gesamtentwicklung kontraproduktive Isolierung geraten. Außerdem
ist es auf Dauer nicht möglich, den Auseinandersetzungen unserer Zeit aus dem
Weg zu gehen.
4. Auf die
Unterweisung der Kinder durch die Schule bzw. durch geeignete Katecheten,
welche im Rahmen der Pfarre die Glaubensinhalte in kompetenter Weise und dem
Lehramt der Kirche entsprechend darlegen, werden die Familien in der Regel
nicht verzichten können. „Die Familienkatechese geht allen anderen Formen
der Glaubensunterweisung voran, begleitet und bereichert sie“, heißt es im
Katechismus der Katholischen Kirche (2226). Das heißt, die Familienkatechese
ersetzt normalerweise nicht den schulischen bzw. pfarrlichen Unterricht. Im
gleichen Punkt des Katechismus wird außerdem hinzugefügt: „Die Pfarrei ist
für die christlichen Familien Eucharistiegemeinschaft und Herz des
liturgischen Lebens. Sie ist ein besonders geeigneter Ort für die Katechese
der Kinder und der Eltern“ (ebenda). Falls irgendwo Eltern zum Schluss gelangen
sollten, dass in der Pfarre der Glaube der Kirche nicht genügend oder nicht
mehr vermittelt wird, werden sie zunächst kein Mittel unversucht lassen, um
– auch aus Liebe zu den anderen Kindern und Familien –, vielleicht auch
durch persönliches Mittun eine Verbesserung der Katechese zu erreichen. Sie
werden versuchen, zu Hause zu ergänzen, was in der „offiziellen“
Vorbereitung mangelhaft ist, immer werden sie dafür Sorge zu tragen haben, dass
den Kindern die entsprechenden Glaubensinhalte ohne Abstriche und zugleich
kindgemäß vermittelt werden.
Außerdem: Wenn heute die
öffentlichen Schulen oft kaum mehr christliche Werte zu vermitteln vermögen
und auch die vorhandenen konfessionellen Schulen aufgrund der fehlenden
Berufungen bzw. der fehlenden christlichen Lehrer nicht mehr das Ziel einer
solchen Schule erreichen können, wird die Frage zu stellen sein, ob nicht
neue Schulen zu gründen sind, bei denen christliche Eltern die Trägerschaft
übernehmen, dafür Sorge tragen, dass dort christliche Lehrer wirksam werden
usw..
5. Familie –
Subjekt der Pastoral: Es geht nicht nur darum, dass sich die Pfarren oder die
religiösen Gemeinschaften verstärkt der Familie zuwenden, für die
Fortbildung und Begleitung der Eltern sorgen, Impulse vermitteln usw.. Das
alles ist sehr wichtig, es darf aber nicht übersehen werden, dass die Familie
eigenständig und selbstverantwortlich ist. Sie muss selbst Träger der
Initiative sein. Die Erziehungsaufgabe der Eltern und ihre Befähigung dazu
leitet sich direkt aus dem Ehesakrament ab. Eltern sind immer die
Erstverantwortlichen für die Glaubensunterweisung ihrer Kinder. Sie brauchen
hiefür keine Beauftragung weder vom Pfarrer noch von sonst jemandem. Auch in
ihrer Aufgabe, als Ehepaar und Familie geeignete Wege zu suchen, um den persönlichen
Umständen entsprechend das Ziel einer christlichen Lebensgestaltung unter den
heutigen Lebensverhältnissen zu verwirklichen, sind Eltern und Kinder als
Getaufte und Gefirmte und aufgrund des Ehesakramentes aufgerufen, selbst Ideen
zu entwickeln: sie müssen überlegen, wie sie ihren Tagesablauf organisieren,
die Aufgaben in der Familie verteilen, Zeit füreinander finden, miteinander
beten, feiern, die Freizeit nützen, auch Konflikte lösen und Spannungen
abbauen, wenn dies nötig ist. Die Familie ist nicht nur Objekt der Pastoral,
sie ist Subjekt, das heißt, sie selbst entwickelt Maßnahmen, setzt Prioritäten,
ist kreativ. Gerade deshalb werden die Erfahrungen einzelner Familien auch für
andere interessant und hilfreich. Es ist wichtig, mit dieser Mentalität die
Probleme, Anforderungen und Zielsetzungen der Familie anzugehen.
6. Grundlagen für
die Entfaltung des Familienlebens: Die wohl wichtigste Voraussetzung für die
gesunde Entwicklung, für ihre Lebens- und Liebesbefähigung, auch für die
Weitergabe des Glaubens an sie ist die Liebe der Eltern. Mutter und Vater
haben beide einen jeweils unersetzbaren Anteil in der Erziehung der Kinder.
Das Wichtigste ist ihr Vorbild. Das bedeutet nicht Fehlerlosigkeit, Vorbild
sein bedeutet vielmehr, trotz aller Schwächen nicht aufzuhören im Bemühen.
Es kann nicht genug getan werden, um die Ehevorbereitung und die Ehebegleitung
zu verbessern, möglichst lebensbezogene Glaubensseminare anzubieten. Eine
dauerhafte Liebe unter den Eheleuten und ihre Liebe zu den Kindern ist bei
allen persönlichen Grenzen kein unerreichbares Ideal. Es setzt freilich
Anstrengung voraus und vor allem die Suche nach der Quelle im Glauben.
Die tiefere von Christus
her geschenkte Grundlage für eine dauerhafte, allmählich sich verwandelnde,
reifende Liebe zwischen den Eheleuten, zwischen ihnen und ihren Kindern, die
Grundlage für die Entwicklung eines christlichen Lebens in der Familie sind
die Taufe, die Firmung und bei den Eltern insbesondere das Ehesakrament.
Christus ist die eigentliche Grundlage. Er ist der Herr und Meister. In seinem
Wort findet sich das Programm des christlichen Lebens und er zeigt auch durch
sein eigenes Leben und seine Hingabe, was wahre Liebe bedeutet. Die Erlösung,
die er durch sein Sterben am Kreuz und seine Auferstehung bewirkt hat, ist
aber auch Quelle der Kraft, der Versöhnung mit Gott und untereinander, einer
Liebe, die von Gott stammt und sehr menschlich, sichtbar und erfahrbar ist.
Das Gebet öffnet Augen, Ohren und Herz für seine Gebote und Weisungen und lässt
den Bezug zum Alltag in den konkreten Situationen entdecken.
Die Teilnahme an der
Eucharistie ist Zentrum und Wurzel des christlichen Lebens für jedes einzelne
Mitglied der Familie, aber auch für die Familie in ihrer Gesamtheit. Nicht übersehen
werden sollte die Bedeutung des Bußsakramentes: es ist eine große Hilfe, um
Gott, sich selbst und den anderen gegenüber ehrlich zu sein, es reinigt die
Atmosphäre, auch das eigene Herz und den Blick, schenkt Impulse zum
Neuanfang, gibt Kraft zum Durchhalten und befähigt, von neuem auf die anderen
zuzugehen.
Gerade beim Erwägen
dieser Grundlagen des christlichen Lebens wird bewusst: ein intensives und
einigermaßen harmonisches Familienleben zu führen ist vielleicht gerade in
unserer Zeit nicht einfach, aber mit der Hilfe Gottes und persönlicher Bemühung
möglich. Die Familie so betrachtet stellt für den einzelnen und die
Gemeinschaft eine große Kraft dar, eine Quelle vieler Energien, eine Hoffnung
mitten in allen Unsicherheiten, Stresssituationen und Bedrängnissen eines
Lebens in unserer Zeit.
7. Praktischer
Lebensbezug: Das Besondere am christlichen Leben in der Familie ist sein
praktischer Lebensbezug. Die Familie ist für den Christen der erste Übungsplatz
des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe.
Der familiäre Alltag ist
die unmittelbare Gelegenheit, einander die Liebe zu zeigen, die Liebe zu leben
und den Tag christlich, das heißt gottbezogen und zugleich in Verbundenheit
miteinander zu gestalten. Wichtig ist schon der gute Anfang: mit einem persönlichen
oder sogar vielleicht mit einem gemeinsamen Gebet. Das ist ein guter Tag, der
so beginnt. Es ist eine große Hilfe für das Leben des einzelnen und der
Gemeinschaft, wenn der Tag einigermaßen strukturiert ist: wenigstens manche
Vollzüge gemeinsam sind, z.B. das Frühstück und so oft es geht die
Mahlzeiten. Die Bemühung um Pünktlichkeit, die Durchführung der übernommenen
Aufträge, die Absprache, wo sie nötig ist, die kleinen Hilfeleistungen im
persönlichen Umgang, all das und vieles andere sind Merkmale eines
Miteinanders, in dem die Liebe lebt. Vieles entwickelt sich erst allmählich,
setzt Gespräch voraus, macht manchmal Aussprache nötig, auch Vergebung und
Versöhnung.
In unserer Zeit sind
wahrscheinlich in viel größerem Maße als früher ein bewusstes Bemühen,
eine konkrete Festlegung, eine Übereinkunft erforderlich, weil die
Verpflichtungen der einzelnen Familienmitglieder vielfältig, die Mobilität
groß und die Lebensabläufe dynamisch sind.
Die Gestaltung des
Sonntags, seine Vorbereitung, die gute Ausnützung von Erholung und Freizeit
in der Familie sind meist prägend für das ganze Leben. Es erfordert einen
gewissen Einfallsreichtum, persönliche Beweglichkeit, auch mancher Opfer,
wenn man erreichen möchte, dass die Familie die Gemeinsamkeit pflegt.
Die liebevolle, schöne
Gestaltung der hohen Festtage kann in einer Familie zu einem großen Schatz
werden, zu etwas, das bewirkt, dass alle gerne nach Hause kommen. Oft werden
dann die familiären Traditionen von den Jungen, wenn sie älter werden, in
ihre späteren Familien hineingetragen.
Sehr wichtig sind die
christliche Bewältigung von Sorgen in der Familie, die glaubensmüßige
Verarbeitung der großen Ereignisse, auch von Krankheit und Tod Verwandter und
Bekannter. Das setzt die Pflege des gemeinsamen Gespräches voraus, einfühlsames
Gebet, gegenseitige Hilfe.
Schon diese fast nur
summarisch aufgezeigten Punkte bieten vielfältige Möglichkeiten zur persönlichen
Entfaltung, zur Entwicklung von Verantwortungs- und Liebesfähigkeit, aber
auch Gelegenheit, den christlichen Glauben zu leben und zu vermitteln. Es kann
in einer Familie für jung und alt im Zusammenhang mit den Glaubensinhalten
sehr viel vermittelt werden, wenn bestimmte Gelegenheiten genützt und andere bewusst
gepflegt und entwickelt werden. Wenn es z.B. gelingt, in einer Familie einzuführen,
dass der Sonntag Woche für Woche an einem Abend oder an einem Nachmittag
durch gemeinsame Lektüre und Besprechung der sonntäglichen Lesungen
vorbereitet wird, dann kann schon dadurch allen Mitgliedern der Familie vieles
mit auf den Weg gegeben werden, was sie zu einem echten Christsein befähigt.
8. Systematische
Katechese: Angesichts der Situation in den meisten Schulen, auch in den
Pfarren scheint es mir in der Tat unerlässlich, dass sich christliche Eltern
– möglichst in Absprache mit der Pfarre – normalerweise immer an der
Vorbereitung der Kinder für die Erstbeichte und die Erstkommunion oder für
die Firmung aktiv beteiligen. Christliche Eltern können viel dazu beitragen, dass
die pastorale Arbeit in der Pfarre an Qualität gewinnt, indem sie bei der Unterweisung
der eigenen Kinder sowie der Kinder anderer Familien mittun. Sie werden dabei
auch selbst sehr viel profitieren, wenn sie ihre Verantwortung als Christen
den eigenen Kindern gegenüber, aber auch in Bezug auf die Pfarre mit
Initiative und Umsicht wahrnehmen.
Das setzt voraus, dass die
Eltern sich persönlich mit den Glaubensinhalten auseinandersetzen, Initiative
entwickeln, indem sie z.B. geeignete katechetische Materialien suchen und sich
freundlich, manchmal aber auch wenn nötig mit gewissem Nachdruck in die
Diskussion einbringen.
Eine christliche Familie
kann so für viele andere, für die ganze Pfarre zu einem wahren Segen und zu
einer wertvollen Stütze werden.
9. Schließlich möchte ich noch einen Punkt erwähnen: Oft ist erstaunlich, welche Ressourcen sich in unvollständigen Familien und Familien mit irregulären Verhältnissen in religiöser Hinsicht finden. Nicht selten empfinden Mütter, Väter, die sich in solchen Situationen befinden, einen großen Wunsch, dass ihre Kinder den Weg zum Glauben finden. Sie sind dann oft persönlich zu jedem Einsatz bereit und tragen eine große Sehnsucht in ihren Herzen. Dies stellt eine nicht zu unterschätzende Chance dar, die der herzhaften Unterstützung und Begleitung bedarf.
Die Hauskirche stellt eine
vordringliche Aufgabe dar. Sie ist gerade in den Verhältnissen unserer Zeit
ein unerlässlicher Ansatzpunkt der Pastoral. Sie bedeutet für jede einzelne
Familie eine Herausforderung, die es zu bewältigen, ein Ziel, das es mit
Gottes Hilfe, mit persönlichem Bemühen jedes einzelnen und gemeinsam zu
verwirklichen gilt.
Eine der wichtigsten
Erkenntnisse scheint mir zu sein, dass Initiative nötig ist, wenn man möchte,
dass eine christliche Familie gelingt. Ich würde mir wünschen, dass sich
schon die jungen Brautpaare viel mehr Gedanken machen als es derzeit geschieht
und miteinander überlegen: Wie werden wir es machen, was wollen wir tun,
damit unsere Familie gedeiht, unsere Beziehung gelingt? Wie stehen wir zu
gemeinsamem Gebet? Wie gestalten wir den Sonntag? Welches sind die konkreten
Vorstellungen von Familie? Wie stehen wir zu Kindern? Welches sind unsere
Prioritäten? Was ist Dir die Familie wert? Was machen wir, damit die Kinder
wegen der beruflichen Tätigkeit nicht zu kurz kommen? usw..
Die Erziehung und
Begleitung der Kinder muss von Anfang an von den Eltern in die Hand genommen
werden, gerade auch im Zusammenhang mit der Einführung in die
Glaubensgeheimnisse, nicht erst, wenn die Erstkommunion näher kommt oder die
Firmung.
Man sollte dabei weder zu
ängstlich sein – in dem Sinn, dass die Kinder nirgends mitmachen dürfen
und alles Fremde für schlecht gehalten wird – noch einfältig. Ihre religiöse
Bildung oder die Einführung in die Geheimnisse des Lebens und der Liebe dürfen
nicht irgendwem überlassen und Defizite in der Verkündigung seitens der
Schule oder der Pfarre nicht einfach passiv hingenommen werden.
Schließlich muss bewusst
gemacht werden, dass die Fortbildung der Eltern unerlässlich ist. Nur so können
sie ihre Verantwortung den Kindern gegenüber wahrnehmen.
Ich hoffe, dass
die Initiative Hauskirche im deutschen Sprachraum immer stärker Fuß fasst und
um sich greift. Dies kann eine stille, aber sehr wirksame Revolution der Liebe
bedeuten, die zum Wohl vieler Menschen und nicht wenig zur Erneuerung der
Kirche beitragen wird.
Schauen Sie bitte auch die Rundbriefe von Bischof Küng an!