Liebe Mitchristen!
Auch der Sozialhirtenbrief der österreichischen Bischöfe befasst sich
ausführlich mit der Notwendigkeit einer neuen gemeinsamen Sonntagskultur.
Folgender Ausschnitt führt uns mitten in die Aufgabenstellung hinein: "Immer
mehr Menschen suchen heute nach einer neuen Sonntagskultur. Die
gesellschaftliche Bedeutung liegt in der gemeinsamen Unterbrechung der Arbeit,
die im Bewusstsein gründet, dass der Mensch nicht nur für die Arbeit da ist,
sondern Anbetung, Freude, Spiel, Feste und Gemeinschaft wesentlich sind.
Zweifellos bedarf es dazu auch der schützenden Hilfe des Staates. Sie reicht
aber bei weitem nicht aus. Vor allem dort nicht, wo es um das persönliche
Verhalten der Menschen und um die Verantwortung der gesellschaftlichen Kräfte
geht. Eine neue Sonntagskultur braucht einen breiten Konsens in der
Bevölkerung. Ein solcher kann nur durch die Mitverantwortung vieler
gesellschaftlicher Kräfte aufgebaut werden: von den Familien, Pfarren,
Ortsgemeinden, von den Verbänden und freien Vereinigungen bis hin zu den
Sozialpartnern. Die Bewahrung des Sonntags wird letztlich davon abhängen, ob
es gelingt, ihn mit neuer Wertschätzung, Sinn- und Wert-Erfahrung und
religiösem Inhalt zu erfüllen. Hier weiß sich die Kirche unmittelbar
verpflichtet!" (119).
Erst wenn wir dem religiösen Inhalt des Sonntags nachgehen, begegnen wir dem,
was eigentlich für uns Christen den Sonntag zu jenem großen Geschenk macht,
das Gott als belebende Kraft für uns bereithält.
In einem jahrhundertelangen Klärungs- und Reifungsprozess hat sich eine Art
Synthese zwischen dem jüdischen Sabbat und dem christlichen Sonntag vollzogen.
Das Sabbatgebot galt den Israeliten als Band der Einheit zwischen Gott und
seinem Volk. Es war mit vielen Vorschriften verbunden, deren treue Einhaltung
eine Antwort auf die Liebe Jahwes sein sollte. Im Buch Genesis finden wir eine
der Begründungen des Sabbatgebotes: "So wurden Himmel und Erde vollendet und
ihr ganzes Gefüge. Am siebten Tag vollendete Gott das Werk, das er geschaffen
hatte, und er ruhte am siebten Tag, nachdem er sein ganzes Werk vollbracht
hatte. Und Gott segnete den siebten Tag und erklärte ihn für heilig; denn an
ihm ruhte Gott, nachdem er das ganze Werk der Schöpfung vollendet hatte" (Gen
2,15).
Der Sabbat ist der siebte Tag der Schöpfung, an dem der Mensch innehalten
soll. Der Auftrag, zu arbeiten und sich die Erde untertan zu machen, ist eine
Gabe Gottes, der den Menschen zu seinem Mitarbeiter gemacht hat. Durch das
Sabbatgebot erinnert uns Gott ständig daran: "Ihr dürft meine Schöpfung
verwalten. Aber alles ruht in meiner Hand. Vertraut mir, orientiert euch an
mir. Mein Wort soll euch Maßstab sein". - Demgemäß ist der Sabbat als Kulttag
gedacht, an dem der Mensch durch Gottesdienst und Beschäftigung mit dem Wort
Gottes seinem Schöpfer die Ehre gibt. Der Mensch darf am Sabbat ausruhen. Im
Wissen, dass Gott ihn liebt, darf er einfach vor seinem Schöpfer da sein, ohne
etwas leisten zu müssen. Denn Gott, nicht der Mensch, trägt und erhält das
Leben. So entspricht es dem Plan des Schöpfers. Darum beeinträchtigt die
Missachtung des Sabbatgebotes das Wohlergehen.
"Sechs Tage kannst du deine Arbeit verrichten, am siebten Tag aber sollst du
ruhen, damit dein Rind und dein Esel ausruhen und der Sohn deiner Sklavin und
der Fremde zu Atem kommen" (Ex 23,12). Die uns im Sabbat geschenkte Ruhezeit
ist ein notwendiger Schutz für die gesamte Lebenswelt.
Gott möchte, dass wir ihm in seiner Schöpfung dienen. Aber er will nicht, dass
wir uns als geknechtete Wesen verstehen, sondern als seine geliebten Kinder,
die an seiner Freiheit und Würde teilhaben. Die Einhaltung des Sabbats lässt
die Menschen in dieses Selbstverständnis hineinwachsen. Die Heiligung des
Sabbats bedeutet nämlich auch eine Einübung in die Freude und Würde der
Gotteskindschaft. Jesus hat sich gegen eine zwanghafte Art und Weise, die
Sabbatvorschriften einzuhalten, gewendet, weil sie eine Entartung des Sinnes
darstellen. "Der Sabbat ist für den Menschen da und nicht der Mensch für den
Sabbat" (Mk 2,27f). Mit dem Wunsch Gottes, die Menschen mögen frei sein, hat
auch das Sabbatjahr seinen Zusammenhang. Jedes 7. Jahr soll ein Ruhejahr sein
für den Boden Israels. In diesem Jahr werden auch die Besitzverhältnisse neu
geordnet, Schulden nachgelassen.
"Du hast uns auf dich hin geschaffen und unruhig ist unser Herz, bis es ruhet
in dir", betete der hl. Augustinus. Im Abstehen von dem, was uns die ganze
Woche hindurch mehr oder weniger in Beschlag nimmt, dürfen wir uns neu
ausrichten auf den Ursprung und Sinn unseres Lebens. In der Zeit vor der
Ankunft Christi war besonders der Sabbat ein Tag hoffnungsvoller Erwartung, an
dem das Volk Gottes nach dem Messias Ausschau hielt.
Jesus hat den Sabbat grundsätzlich gehalten. Auch er ging am Sabbat in die
Synagoge. Dort begann er auch seine öffentliche Sendung mit den Worten: "Der
Geist des Herrn ruht auf mir; denn der Herr hat mich gesalbt. Er hat mich
gesandt, damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe und alle heile, deren
Herz zerbrochen ist,... damit ich ein Gnadenjahr des Herrn ausrufe..." (Jes
61,1f). Mit Jesus Christus ist der Tag gekommen, an dem Israel - und mit ihm
die ganze Menschheit - für immer begnadigt wird und im Land der Ruhe wohnen
darf. Mit Jesus ist ein Sabbatjahr angebrochen, das kein Ende kennt. Er bringt
die umfassende und endgültige Befreiung, für die der Sabbat des alten Bundes
eine Vorbereitung war.
Die Hingabe seines Lebens erwirkt uns den Geist, der uns von innen her
befähigt, das Sabbatgebot und die anderen Gebote zu halten. So hat durch
Christus der Sabbat eine neue, überhöhte Bedeutung bekommen. In diesem Sinn
erklärt sich Jesus als " Herr über den Sabbat" (Mk 2,27f).
Auch die junge Kirche brachte dem Sabbat tiefe Achtung entgegen. Die ersten
Christen hielten zunächst weiterhin den Sabbat, obwohl sie sich von Anfang an
am Sonntag, bzw. am Vorabend desselben in den Häusern zum Brotbrechen, zur
Eucharistiefeier versammelten. Erst mit der Zeit wurden sabbatähnliche
Gebräuche auf den Sonntag verlegt, so dass sich im Sonntag Elemente des
Sabbats und das Fest der Auferstehung vereinigten.
Der alte Ausdruck Herrentag leitet sich vom Wort "DOMINICUS" ab. Unter den
vielen Übersetzungsmöglichkeiten kommt seinem Sinn diese hier am nächsten:
"Was des Herrn ist".
Während der Christenverfolgung war es den Christen lange Zeit verboten, sich
zur sonntäglichen Eucharistiefeier zu versammeln. Die Römer hatten gut
erkannt, dass gerade im Sonntag, in der Feier des Brotbrechens, die Kraft der
Christen liegt. Darum sanktionierten sie diese Zusammenkünfte mit den
härtesten Strafen. In den Verhören liest man, wie sich die Christen
rechtfertigten. Darüber befragt, warum sie trotz allem an ihren Versammlungen
festhielten, hieß es unter anderem einmal: "Quoniam sine dominico non possumus"
- ohne den Herrentag können wir nicht (sein)".
Man spürt aus dieser Antwort, wie für diese Menschen das sonntägliche
Brotbrechen die Mitte bedeutet, aus der sie leben. Solche lebendige Beziehung
zum Sonntag ist in unserer Gesellschaft, die sich zwar "christlich" nennt,
selten anzutreffen. Auch der Brauch, am Sonntag traditionsgemäß zur Kirche zu
gehen, befindet sich in Auflösung. Es gibt aber auch den Aufbruch von
Christen, die den Sonntag heute in neuer Frische entdecken und daraus leben.
Wo das der Fall ist, lebt christlicher Glaube neu auf.
Von den Juden könnten wir an Hingabe und Sorgfalt lernen, wenn wir sehen,
mit welcher Sorgfalt und Treue sie bis auf den heutigen Tag die Gebräuche des
Sabbats pflegen und ihn als Geschenk, wie eine Person empfangen. Um wie viel
mehr noch ist die Liebe jener verfolgten Christen zu verstehen, die lieber in
den Tod gingen, als auf die sonntägliche Eucharistiefeier zu verzichten. Denn
die Gemeinschaft mit Gott, die die Menschen im alten Bund feierten, wird uns
in Jesus Christus noch unvergleichlich inniger angeboten. Der am dritten Tag
vom Tod erstandene Herr lädt uns in der sonntäglichen Eucharistiefeier (nicht
nur am Sonntag, sondern in jeder hl. Messe!) ein, seinen Bund mit uns zu
feiern. Darum kam es bei den Christen zur Ablösung des Sabbats durch den
Sonntag.
In Christus ist das Alte vergangen, die Schöpfung dem Tod entrissen und alles
Leben erneuert. In IHM sind wir als Getaufte eine neue Schöpfung (vgl. 2 Kor
5,17) und können es durch die Vergebung im Bußsakrament immer wieder werden.
So dürfen wir in der Freiheit leben, zu der uns Christus befreit hat (vgl. Gal
5,1) und in der Würde der Gotteskindschaft. Christus schenkt uns Ruhe. "Kommt
alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid, ich will euch Ruhe
verschaffen" (Mt 11,28). Im Glauben an den Auferstandenen, der den Tod
überwunden hat und uns im Himmel einen Platz bereitet hat, wird der Hunger des
Menschen nach Sinn, Ursprung und Ziel unseres Lebens gestillt.
"Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater, außer
durch mich." (Joh 14,6). "Christus ist der Urheber des ewigen Heils" (Hebr
5,9). Er schenkt ein nie endendes Sabbatjahr und führt uns "ins Land der Ruhe"
(dies gehörte zur endzeitlichen Erwartung Israels).
Was am ersten Schöpfungstag, an dem Gott das Licht schuf, begann, hat im auferstandenen Christus, dem Licht der Welt, seine Erfüllung gefunden. "Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben, und es in Fülle haben" (Joh 10,10). Aus dieser Fülle empfängt sein Leib, die Kirche, unaufhörlich Ströme der Gnade. Durch sie will der Erlöser sein Werk weiterführen. In jeder Eucharistiefeier wird sein Opfer wirksam. Was seine Glieder an Hingabe und Gebet auf den Altar legen, wird zusammen mit dem Brot und dem Wein in Leib und Blut Christi verwandelt, in neues Leben, in Segen für die Welt. "Deinen Tod, o Herr, verkünden wir und deine Auferstehung preisen wir, bis du kommst in Herrlichkeit". Das zu feiern, ist der Auftrag der Kirche, durch die der erhöhte Herr alles an sich ziehen will (vgl Joh 12,32). In jeder Kommunion dürfen wir ganz eins werden mit IHM, der uns nähren und stärken will mit dem Leben seiner Liebe. So können wir ihm ähnlich werden und den Menschen, mit denen wir zu tun haben, zu denen er uns sendet, so wohltuend und befreiend begegnen, wie er selber es tun möchte.
Mutter Teresa aus Kalkutta berichtet, was die Verbindung mit dem Herrn in
der Eucharistie für sie und ihre Schwestern bedeutet: "Um dieses Leben
durchführen zu können, ist das Leben jeder Missionarin der Liebe eng verbunden
mit der heiligen Eucharistie. In der heiligen Eucharistie sehen wir Christus
in der Gestalt des Brotes, in den Armen sehen wir Christus in der Verkleidung
der Armen. Die heilige Eucharistie und die Armen sind eine Liebe. Um fähig zu
sein, etwas zu tun, zu sehen und zu lieben, brauchen wir die Verbindung mit
Christus, diese tiefe Liebe und das Gebet. So beginnen die Schwestern ihren
Tag mit der heiligen Messe, heiligen Kommunion und den Meditationen. Und
innerhalb des Tages haben wir eine Stunde der Anbetung. Diese Verbindung zur
heiligen Eucharistie ist unsere Stärke, unsere Freude, unsere Liebe."
Mutter Teresa lebt mit ihrer Gemeinschaft eine Intensivform dessen, was
eigentlich die Berufung jedes Getauften ist. Um die innige Lebensgemeinschaft
mit Christus, durch die es erst möglich wird, die christliche Berufung wirksam
zu leben, geht es letztlich im Sonntagsgebot. Es ist sehr wertvoll, wenn
Christen täglich die hl. Messe mitfeiern. Aber am Sonntag, am Tag der
Auferstehung Christi, ist dies unabdingbar, damit unser Christsein nicht
versandet.
Erinnern wir uns an das: "SINE DOMINICO NON POSSUMUS". Ohne den Herrentag
können wir nichts. Das ist einfach die Entsprechung auf das Wort Jesu: "Ohne
mich könnt ihr nichts tun. Bleibt in meiner Liebe." (Joh 15,5). Wir tun es,
wenn wir ihn regelmäßig empfangen im Heiligen Mahl. "Wer mein Fleisch ißt und
mein Blut trinkt, bleibt in mir und ich in Ihm" (Joh 6,56). Denn wir sind
berufen, ein Leib und ein Geist in Christus zu sein. Nur durch diese
sakramentale Verbundenheit werden wir jene Kirche sein, die er meint und in
der er am Werk ist.
Nachdem Judas aus der Schar der Zwölf "ausgefallen" war, sagten die Jünger:
"Einer von den Männern, die die ganze Zeit mit uns zusammen waren, als Jesus,
der Herr, bei uns ein und aus ging, muss nun zusammen mit uns Zeuge seiner
Auferstehung sein." (Apg 1,21). Wie dringend brauchen wir auch heute Menschen,
die aus der Begegnung mit dem Herrn alle Resignation und Verzagtheit
zurücklassen und Zeugnis geben vom lebendigen Christus, der Licht schenkt, der
Kraft zum Helfen gibt, für den aber auch keine Macht der Welt, nicht einmal
der Tod, ein Hindernis darstellt, uns ewiges Leben in der liebenden
Gemeinschaft mit Gott zu schenken.
Die Neuentdeckung des Sonntags, verbunden mit dem Geheimnis der Eucharistie,
ist ein notwendiger, hoffnungsvoller Weg, auf dem die Kirche ihren Auftrag,
Werkzeug der Befreiung und Licht für die Welt zu sein, besser erfüllen wird.
Jesus sagt: "Meinen Frieden gebe ich euch, nicht wie die Welt ihn gibt" (Joh
14,27). Die Belebung des Sonntags wird fruchtbar, wenn wir nicht nur die rein
humanitären Gründe erwägen, sondern wenn sich jeder Christ ganz persönlich zur
Quelle des tiefsten Friedens, der tiefsten Erholung begibt - zum leibhaft im
Hl. Brot gegenwärtigen Christus. Es ergeht uns wie den Frauen, die am leeren
Grab "als eben die Sonne aufging" (vgl Mk 16,2f), von der Auferstehung
erfahren.
Die orthodoxe Kirche singt am Ostersonntag: "Eilen lasst uns, Lichter traget,
Christus entgegen, der wie ein Bräutigam aus dem Grabe hervorgeht."
Den auferstandenen Christus bezeugen, der einer von Materialismus und
Konsumzwang gehetzten, von Süchten und Sinnlosigkeit gequälten, und von Hunger
und Obdachlosigkeit heimgesuchten Welt sein Leben mitteilen will, das wird am
wirksamsten möglich, wo Christen laufend ihr Licht entzünden an dem
Osterfeuer, das in der Eucharistie für uns brennt.
+ Klaus Küng