Liebe Mitchristen!
„Familie, werde, was du bist!“ - so lautet ein Zwischentitel im apostolischen
Rundschreiben Johannes Pauls II. über die Familie. Es ist eines der
wichtigsten Anliegen unserer Zeit. Das Wohl des einzelnen ist im hohen Maß mit
dem Gelingen oder Nichtgelingen der Familie verknüpft; viele, sehr
schwerwiegende Probleme unserer Gesellschaft stehen mit der Situation der
Familie in einer engen Beziehung, auch die Zukunft der Kirche ist weitgehend
davon abhängig, ob der Glaube an Christus in der Familie bewahrt bzw. geweckt
wird.
Heute werden einerseits die Entwicklung und Aufgaben der christlichen Familie
erschwert. Das ist durch viele Faktoren bedingt: Unter anderem durch den
modernen Lebensstil, durch die Dynamik einer von Technik- und
Wirtschaftsdenken beherrschten Welt, vor allem aber durch die Vielfalt der
Einflüsse, die im gesamten öffentlichen Leben, in den Medien, auf dem
Unterhaltungssektor, bereits im Kindergarten und natürlich auch in der Schule
präsent sind. Andererseits wird in Zukunft gerade der Familie insbesondere für
die Glaubens- und Wertevermittlung eine wenn möglich noch größere Bedeutung
als bisher zukommen.
Heute beklagen viele Religionslehrer und Seelsorger, dass eine große
Schwierigkeit für die religiöse Unterweisung in der religiösen Entfremdung der
Familien liege. Es fehle vielen Kindern an jeder religiösen Grundlage von der
Familie her, was durch keinen noch so guten Religionsunterricht wettgemacht
werden könne. Außerdem fehle das Vorbild und die Mithilfe der Eltern. Wie soll
von einem Kind der Gottesdienstbesuch erwartet werden, wenn Vater und Mutter
nicht mitgehen und das Sonntagsprogramm der Familie einem Messbesuch nicht
einmal Raum gibt? Abgesehen davon ist der Gottesdienstbesuch nur ein Symptom
für die religiöse Einstellung. Nicht nur in Bezug auf die äußere Teilnahme am
kirchlichen Leben brauchen die Kinder das Beispiel und den Rückhalt des
Elternhauses.
Andererseits dürfen wir die positive Kehrseite des gleichen Zusammenhanges
zwischen Glaube und Familie nicht außer acht lassen. Dort, wo Glaube an
Christus aufbricht, begegnet man auch heute fröhlichen und optimistischen
Familien, die Kinder bejahen, die Freizeit oft gemeinsam verbringen,
miteinander beten, Sonn- und Feiertage zusammen gestalten, über den Glauben
miteinander reden und eine erfrischende Ausstrahlungskraft besitzen. Es ist
mir ein Bedürfnis, solche christliche Familien und andere, die es werden
möchten, zu ermuntern. Es ist sehr wichtig, alle Mittel einzusetzen, um eine
solche Familie zu werden und zu bleiben.
Ohne bewusste, lebendige Beziehung zu Gott ist die Wahrscheinlichkeit sehr
groß, dass die Liebe, welche die Grundlage für das Glück in der Familie
darstellt, sehr bald erkaltet, bzw. nie richtig zur Entfaltung gelangt. Mir
scheint dies heute der wichtigste Grund für die Krise der Familie zu sein.
Wer darüber nachdenkt, warum sich gelebter oder nicht gelebter Glaube so stark
auf die Familie auswirkt, der kann erkennen: Gott, dessen Wesen die Liebe ist
(vgl 1 Joh 4,8), hat uns nach seinem Bild und Gleichnis erschaffen (vgl Gen
1,26 f). Das hat Paul VI. in der leider viel geschmähten Enzyklika Humanae
Vitae sehr schön dargelegt: „Die eheliche Liebe zeigt sich uns in ihrem wahren
Wesen und Adel, wenn wir sie von ihrem Quellgrund her sehen: von Gott, der
‘Liebe ist’, von ihm, dem Vater, nach dem alle Vaterschaft im Himmel und auf
Erden ihren Namen trägt.“ Der Papst fährt dann fort: „Weit davon entfernt, das
bloße Produkt des Zufalls oder Ergebnis des blinden Ablaufs von Naturkräften
zu sein, ist die Ehe in Wirklichkeit vom Schöpfergott in weiser Voraussicht so
eingerichtet, dass sie in den Menschen seinen Liebesplan verwirklicht.“
Durch die Beziehung zu Gott, insbesondere zu seinem Menschgewordenen Sohn,
entdecken wir unser eigenes Wesen und das der anderen. Christus ist der
Schlüssel, die Tür, durch die wir eintreten müssen. Wir erfahren vor allem im
Umgang mit Christus, was Liebe ist, und welcher der Weg ist, den wir wählen
müssen, um sie wirklich - auch menschlich - zu entfalten. Von Christus lernen
wir, dass es keine größere Liebe gibt, als wenn einer sein Leben für seine
Freunde hingibt (vgl Joh 15,13). Christus zeigt uns, dass Liebe Hingabe
bedeutet (vgl Gal 2,20) und mit Großzügigkeit und Opferbereitschaft verknüpft
ist (vgl Mt 16,24 f).
Vielleicht mag das manchen sehr allgemein und wenig lebensnah klingen. Dies
kommt daher, dass wir an viele Worte der Frohbotschaft in einem schlechten
Sinn gewöhnt sind und die Nachfolge Christi in unserem eigenen, alltäglichen
Leben nicht realisieren. Wahres Christsein führt zu einem sehr konkreten
Streben nach einem dem Glaubenswort entsprechenden Verhalten. Nur im Falle
eines solchen Strebens wird die Erlösung, die Christus durch die Verkündigung
der Wahrheit und durch die Hingabe seines Lebens vollzogen hat, an uns
wirksam. Nur wenn wir aus dem Evangelium Konsequenzen ziehen und Christus
nicht nur irgendwie im Verstand oder bloß gefühlsmäßig, sondern in unserem
Leben aufnehmen, werden wir allmählich „befreiter“ und zu einer - auch
menschlich - echteren, tieferen und beglückenderen Liebe fähig. Dagegen dort,
wo der Glaube nicht praktiziert und im konkreten Verhalten umgesetzt wird,
zeigt sich die unerlöste Welt, selbst wenn die Taufe und andere Sakramente
empfangen und der Gottesdienst mehr oder weniger regelmäßig besucht werden. Es
kann sich dann in der Regel keine wahre Liebe entfalten. Im Leben vieler
Menschen gleicht die Liebe einer Knospe, die zwar der Anlage nach eine
wunderbare Blüte und reife Frucht hervorbringen könnte; aber, kaum entstanden,
verkümmert sie bald und stirbt ab.
Bei einer Entfremdung von Gott ist die Gefahr sehr groß, dass in unserem
persönlichen Leben und damit auch im Leben der Familie - wie der hl.
Augustinus es ausdrückt - der „Weltstaat“, in dem das „Ich“ mit seinen
egoistischen Bestrebungen in ungeordneter Weise vorherrscht, sich immer
stärker ausbreitet und den „Gottesstaat“, in dem Liebe regiert, bis zu seiner
Vernichtung zurückdrängt. Der ungezügelte Egoismus führt den Menschen fast
unvermeidbar in eine ausweglose Tragödie. Das zu sehr in sich selbst
zentrierte Verlangen nach Glück und Freude, Zuneigung und Liebe lässt Mauern
entstehen, die allmählich höher und dicker werden und eine zunehmende
Isolierung mit sich bringen, weil sich der andere angesichts dieser immer
stärker Besitzergreifenden und einengenden Haltung des Partners allmählich
zurückzieht, sich zur Wehr setzt und Distanz sucht. Dies geschieht umso mehr,
da die Forderungen immer heftiger und krampfhafter werden, nicht zuletzt aus
der Erfahrung der wachsenden Zurückhaltung.
Ohne Christus ist es sehr schwer, nicht dem Egoismus zu verfallen und in die
damit verbundene Dynamik des sich steigernden Schützengrabenkrieges zu
geraten. Mit ihm aber ist es möglich, den Weg zu finden, den Egoismus
allmählich zu besiegen und den Klippen der verschiedenen Schwierigkeiten zu
entrinnen.
Nicht ohne Betroffenheit habe ich vor kurzem das Zeugnis des Vaters einer
kinderreichen Familie nach zwölfjähriger Ehe gelesen. Er schreibt: „Obwohl
meine Frau und ich, als wir uns kennen lernten, Mitglieder einer katholischen
Vereinigung waren und unser Leben immer auf Gott ausgerichtet gewesen ist,
müssen wir bekennen, dass wir aus dem stationären Zustand, in welchem wir uns
seit unserer Heirat befanden, erst dann herausgekommen sind, als jeder von uns
Besinnungstage gemacht und einen geistlichen Ratgeber sowie die
übernatürlichen Mittel gefunden hat, durch die wir nach und nach gelernt
haben, Gott in unserem Familienleben und in unserer Arbeit zu finden.“ Er
erzählt dann mit großer Offenheit, dass das einzige Hindernis in ihrem Leben
immer das Temperament gewesen sei. „Bei meiner Frau“ - stellt er fest -
„vermischen sich phlegmatische und nervöse Wesenszüge mit gewissen
sanguinischen Neigungen; ich dagegen bin ein nervös-cholerischer
Verstandesmensch, und der erschwerende Umstand ist mein Hang zu einer geradezu
zermürbenden Pedanterie.“ Er fügt hinzu: „Das Gemisch ist - unter
Berücksichtigung der Eigenliebe auf beiden Seiten - ausgesprochen explosiv.“
Dazu komme noch - erklärt er weiter -, dass sie sich für die Wissenschaft
begeistere, gerne reise und romantisch gestimmt sei, er dagegen gerne zuhause
bleibe, Literatur liebe und an einem unerträglichen, pessimistischen Realismus
leide. Er kommt schließlich zur Folgerung: „Alles in allem, wir hätten uns,
gäbe es nicht noch anderes, nach sechs Monaten scheiden lassen.“ Er gesteht,
dass er mehr als einmal, nach uferlosen Diskussionen, bei denen seine Frau
immer dieselben Anklagen wiederholte, daran gedacht habe, das Haus zu
verlassen und nie mehr wiederzukommen. Er habe dann, sobald er sich beruhigt
habe, Gott um seine Gnade gebeten und auf das Konto des Sakramentes der Ehe
einen Scheck ausgestellt, der immer eingelöst worden sei. Wieder zuhause,
manchmal sogar unmittelbar im Anschluss an diese Bitte an Gott, hätten sie
Frieden geschlossen und alles sei wieder normal gewesen. Allerdings hätten
sich diese Konflikte zeitweise mehrmals am Tag wiederholt.
Er berichtet, dass dieses Thema lange Zeit hindurch der zentrale Punkt seiner
persönlichen Gewissenserforschung, häufigster Gegenstand des Gebetes, auch der
Beichte war. Durch die geistliche Begleitung, durch den Empfang geeigneter
Orientierung, vor allem durch Zuflucht bei den Sakramenten sei die Zahl der
Auseinandersetzungen allmählich zurückgegangen, nach einiger Zeit sei die
Frage nicht mehr gewesen, wie oft pro Tag, sondern wie oft pro Woche, später
wie oft pro Monat es zu einem Zwischenfall gekommen sei. Gleichzeitig habe
ihre Liebe zugenommen und sie nehme weiter zu: „...heute haben wir Verständnis
für unsere Fehler und verzeihen sie mit großer Leichtigkeit. Wenn der eine
traurig ist, weil er sich schuldig fühlt, dann ermuntert ihn der andere sogar
und tröstet ihn.“
Außerdem fügt er noch einen weiteren wichtigen Punkt hinzu: „Wir hatten ein
gemeinsames Laster, das darin bestand, dem anderen die Schuld für jedes
Missgeschick zuzuschieben. Das bewirkte den Unmut des Beschuldigten und
erzeugte einen weiteren Konflikt. Wenn das heute passiert, dann nimmt der
andere, statt sich zu ärgern, dies nicht ernst, und es passiert weiter
nichts.“ Er faßt seinen Bericht mit der Feststellung zusammen: „Das sind die
Ergebnisse der persönlichen Gewissenserforschung und des täglichen Gebetes.
Nur wir selber, die wir das ganze Gewicht dieser Situation erlebt haben,
wissen, wie tief diese Empörungen gewesen sind, können den Wert der
geistlichen Hilfe in diesem Bereich ermessen.“ Er fügt dann noch die Frage
hinzu: „Wie soll es bei solchen Schwierigkeiten ohne die sakramentale Gnade
möglich sein, dass die Eheleute einander wirklich lieben, und dies in stets
wachsendem Maß? Wie ist es möglich, jeden Groll vollkommen und von Grund auf
zu vermeiden und nach zwölf Jahren Ehe wie in der Verlobungszeit zu leben,
wenn nicht Gott dieses Wunder wirkt?“
Der Glaube an Christus ist eine große Chance für die Familie. Freilich ist das
nur dann der Fall, wenn wir ihn tatsächlich ernsthaft suchen, auf sein Wort
hören und uns auf seine Hilfe stützen. Dem Gebet im Sinne des persönlichen
Gespräches mit ihm über unser Leben, unsere Schwierigkeiten, unsere Fehler und
Zielsetzungen, der entsprechenden, konkreten Bemühung im Alltag und dem
Empfang der Sakramente, d.h. dem Bußsakrament, in dem wir unsere Schuld
bekennen, um Verzeihung bitten und nach der spezifischen Hilfe der
sakramentalen Gnade verlangen, und dem Empfang der Eucharistie kommen eine
große Bedeutung zu. Wenn wir seinen Weg - es ist der Weg der Liebe, auch unser
Weg - erlernen und dort, wo unsere Beziehung zum anderen oder unser Herz
selbst kranken, gesund werden sollen, muss ER in unserem Leben eingreifen
durch sein lebenspendendes und richtungweisendes Wort, aber auch durch die
Frucht der von ihm erwirkten Erlösung. Wir müssen freilich durch eine gezielte
und beharrliche Bemühung mittun. Aber auf uns allein gestellt, ist es sehr
schwer möglich, den Egoismus zu überwinden und sich aus der sich steigernden
Reizung einer gegeneinander sich entwickelnden Allergie zu befreien.
Wir müssen bedenken, dass bei jedem Menschen, der lieben lernen will, ein
Reifungs- und Wandlungsprozess nötig ist. Nochmals möchte ich auf das Zeugnis
des bereits zitierten Familienvaters zurückgreifen. Er schreibt: „Man schließt
die Ehe mit großen Erwartungen, man erhofft sich die Stillung des grenzenlosen
Verlangens nach Glück, das uns alle beseelt, aber diese Hoffnung stützt sich
fast immer auf die sexuelle Befriedigung, die Unabhängigkeit und Neuheit eines
anderen Lebensstils und den Stolz, sich in einem neuen Wesen gleichsam
fortbestehen zu sehen. Sobald diese Wünsche erfüllt sind, lässt die
Enttäuschung nicht auf sich warten, und es kommt zu Reibereien. Denn die Liebe
ist in den ersten Jahren der Ehe etwas Seltenes. Zuneigung gibt es natürlich,
sogar in Hülle und Fülle. Er will sie für sich, und auch sie will ihn nicht
anders als für sich. Das ist aber keine Liebe. Lieben bedeutet sich hingeben,
das Glück des geliebten Wesens suchen - ohne egoistische Interessen, ja sogar
zum Nachteil derselben. Und dergleichen findet sich, wenn wir ehrlich sind,
bei jungen Ehepaaren nur selten. Die Liebe wird durch einen anstrengenden
Kampf erworben, durch Verzichtleistungen und vor allem durch Gebet, denn
schließlich und endlich ist es Gott, der in uns liebt, und die Ehe ist seine
Sache.“
Paul VI. drückt das in Humanae Vitae sehr tiefgründig aus, wenn er schreibt:
„An erster Stelle müssen wir sie als vollmenschliche Liebe sehen; d.h. als
sinnhaft und geistig zugleich. Sie entspringt darum nicht nur Trieb und
Leidenschaft, sondern auch und vor allem einem Entscheid des freien Willens,
der darauf hindrängt, in Freud und Leid des Alltags durchzuhalten, ja dadurch
stärker zu werden: So werden dann die Gatten ein Herz und eine Seele und
kommen gemeinsam zu ihrer menschlichen Vollendung. Weiterhin ist es Liebe, die
aufs Ganze geht, jene besondere Form personaler Freundschaft, in der die
Gatten alles großherzig miteinander teilen, weder unberechtigte Vorbehalte
machen noch ihren eigenen Vorteil suchen. Wer seinen Gatten wirklich liebt,
liebt ihn um seiner selbst willen, nicht nur der Dinge wegen, die er von ihm
empfängt. Und es ist eine Freude, dass er durch seine Ganzhingabe bereichern
darf. Die Liebe der Gatten ist zudem treu und ausschließlich bis zum Ende des
Lebens...“ (HV 9).
Die alte Volksweisheit „wenn die Leute miteinander reden, kommen sie zusammen“
hat auch für Ehe und Familie ihre Gültigkeit.
Wir müssen miteinander reden. Das Gespräch ist sehr wichtig. Es ist notwendig,
dass wir uns für dieses Gespräch Zeit nehmen, die nötigen Rahmenbedingungen
dafür schaffen und Geduld füreinander aufbringen. Es ist unerlässlich,
diesbezüglich die nötigen Mittel einzusetzen: Manchmal wird es unabdingbar
sein, die beruflichen, gesellschaftlichen oder anderen Verpflichtungen zu
reduzieren, um sich der Familie in größerem Ausmaße widmen zu können. Andere
Male wird es angebracht sein, über die Art der Erholung nachzudenken, damit
das Gespräch miteinander nicht zu kurz kommt. Der übermäßige Fernsehkonsum
kann z.B. ein Hindernis bedeuten. In gewissen Situationen wird es sogar zum
wichtigen Gebot der Stunde, in besonderer Weise nach Möglichkeiten zu suchen,
um miteinander in Ruhe reden zu können, wenn mehrere oder komplizierte Fragen
anstehen. Auch Konflikten darf man nicht ausweichen. Gerade darum darf einem
Gespräch nicht aus dem Weg gegangen werden, wenn nur so die Klärung eines
Konfliktes oder Missverständnisses möglich wird.
Jesus sollte dabei sein
Wenn wir im Gebet um Licht und Erkenntnis bitten und dabei Gott, uns selbst
und den anderen gegenüber aufrichtig sind, werden wir den rechten Weg erkennen
und jene Punkte entdecken, die für eine Verbesserung unserer Beziehung zu den
anderen, unserer Liebe zueinander wichtig sind. Dafür ist einerseits das Gebet
des einzelnen, d.h. das persönliche Hingehen zu Gott mit allen Fragen in der
Stille des Gebetes unbedingt erforderlich. Auch wenn wir noch so viel Arbeit
haben, sollten wir ausnahmslos täglich eine gewisse Zeit dieser Art des Betens
widmen.
Andererseits gehören wenigstens einige gemeinsam gesprochene Gebete zum Leben
jeder christlichen Familie - wie z.B. ein kurzes Morgengebet als Tagesbeginn
oder das Gebet vor und nach den Mahlzeiten. - Fast überall in unserem Land
laden die Glocken der Kirchen zum Gebet des Engels des Herrn ein. Wie schön
wäre es, wenn auch heute von neuem die Verbundenheit der Christen
untereinander durch Gott geweckt würde, weil sie diesen Aufruf zum Gebet
wahrnehmen und ihm - soweit es die Umstände erlauben - gemeinsam oder
wenigstens allein entsprechen. Der gemeinsame Gottesdienstbesuch gibt auch
heute der Erholung und dem Zusammenhalt der christlichen Familie die Mitte und
Grundlage. - Heute wird in nicht wenigen christlichen Familien die gemeinsame
Lektüre der Bibel entdeckt, was das religiöse Gespräch und das gemeinsame
Nachdenken über viele Fragen anregt. Nicht wenige kehren auch wieder zum
Rosenkranzgebet zurück, weil es eine schlichte und doch sehr bereichernde Art
ist, wie in Freud und Leid die Gemeinschaft untereinander und mit Gott gesucht
wird.
Von den Emmausjüngern wird uns berichtet, dass sie IHN beim Brotbrechen
erkannten. Der Empfang der Eucharistie ist die tiefstmögliche Besiegelung der
Treue zueinander, die Bestärkung der Bemühungen in der Familie durch Christus
selbst, der unter der Gestalt des Brotes wahrhaft gegenwärtig ist. Wir
brauchen diese Erfahrung, dass Christus unter uns ist: Sie richtet unsere
Liebe nach seinem Herzen aus und schenkt ihr Nahrung und Ansporn.
Die Vereinigung mit Christus durch die Kommunion ist allerdings nur dann
fruchtbar, wenn wir innerlich für sie bereit und die nötigen Voraussetzungen
gegeben sind. Deshalb schreibt der hl. Paulus den Korinthern: „Jeder soll sich
selbst prüfen; erst dann soll er von dem Brot essen und von dem Kelch trinken.
Denn, wer davon isst und trinkt, ohne zu bedenken, dass es der Leib des Herrn
ist, der zieht sich das Gericht zu, indem er isst und trinkt“ (1 Kor 11,
28-29). Regelmäßig und sooft es nötig ist, sollten wir daher auch das
Bußsakrament empfangen, durch das wir unserem Willen zur Umkehr Ausdruck
verleihen und die persönliche Begegnung mit Christus, dem Erlöser, die
Vergebung unserer Schuld und seinen Ansporn für einen Neuanfang empfangen. Das
Bußsakrament vermag der Versöhnung in der Familie die Dimension Gottes zu
öffnen. Wenn wir lernen, unsere persönlichen und gemeinsamen Schwierigkeiten
mit der Hilfe Christi anzugehen, erhält unsere Zuversicht eine völlig neue
Grundlage. Mit ihm und durch ihn lernen wir einander jene Geduld zu schenken,
die niemals aufgibt. Durch den regelmäßigen Empfang des Bußsakramentes finden
wir immer wieder den Weg zu einem neuen Anfang, zum Durchhalten und zur Freude
trotz aller Schwachheit.
Insbesondere bezüglich Ehe und Familie gibt es Aussagen des kirchlichen
Lehramtes, die heute von vielen nicht angenommen werden. Über sie wollte ich
diesmal nicht schreiben. Sie sind wichtig. Wir müssen sie zu verstehen suchen.
Sie haben ihren Sinn und sind aus der Verantwortung für den Menschen in
Übereinstimmung mit der Lehre Jesu entstanden. Denen, die nüchtern und
aufmerksam beobachten, wird auch mehr und mehr aus der Erfahrung klar, dass
sie nicht folgenlos missachtet werden können. - Ich bin voll Zuversicht. Schon
mehrmals im Laufe der Geschichte des Christentums ist es geschehen, dass eine
Wahrheit längere Zeit hindurch von vielen nicht angenommen bzw. nicht erkannt
wurde; aber der Hl. Geist hat noch immer seine Wirksamkeit entfaltet. dass
dies bald geschehe und ein bei jung und alt immer noch größer werdender
Schaden vermieden werde, darum sollten wir mit großem Glauben bitten.
Alle, Verheiratete und Unverheiratete, müssen wir im Gebet und den Sakramenten
Hilfe und Halt suchen. Alle müssen wir konkret um Wachstum und Reifung Tag für
Tag bemüht sein, weil jeder Mensch dazu berufen ist, lieben zu lernen, auch
wenn die Lebensumstände unterschiedlich sind. Ehe und Familie sind die erste
und wichtigste Schule der Liebe. dass wir uns nicht von den Zeitmeinungen
desorientieren lassen! Wir müssen Jesus um Führung bitten, seine Frohbotschaft
täglich umsetzen und mit Ihm eins sein. Das lässt die Freude, die Zuversicht
und den Glauben an die Zukunft wachsen.
Verbunden im Gebet und im Bemühen um die Liebe Christi
+ Klaus Küng