Geistlicher Rundbrief Nr.: 2/1995
Ein neues Pfingsten in der Kirche
"Der Beistand aber, der Heilige Geist,
den der Vater in meinem Namen senden wird,
wird euch alles lehren und euch an alles erinnern,
was ich euch gesagt habe" (Joh 14, 26).
Schwierige Lage der Kirche
Ausgelöst durch die Anschuldigungen der letzten Wochen gegen Kardinal Groër
sind in der Öffentlichkeit seit längerem angestaute Frustrationen massiv
zutage getreten. Aggressive Artikel und Leserbriefe, wie sie noch vor wenigen
Jahren kaum denkbar waren und nur selten vorkamen, gehören derzeit beinahe zum
Alltäglichen. Eine seit langem nicht mehr da gewesene Verunsicherung greift
immer stärker unter den Gläubigen um sich. Viele sind entmutigt, andere
verbittert. Manche sehen sich veranlasst, die Kirche zu verlassen, wobei
allerdings die wahren Motive für diesen Schritt nicht immer klar sind.
Meistens ist ihm eine schon seit längerem bestehende Entfremdung von der
Glaubenspraxis vorausgegangen. Andere erheben lautstark die Forderung nach
Änderungen. Ein "Kirchenvolks-Begehren" wurde gestartet. Die Gegenreaktionen
jener, die mit den Forderungen dieses "Kirchenvolks-Begehrens" nicht
einverstanden sind, können nicht ausbleiben, weil zumindest in manchen
Punkten, die gefordert werden, die Treue zur Kirche auf dem Spiel steht. Die
bereits bestehende Polarisierung unter den Gläubigen wird dadurch in nächster
Zeit wohl aber verschärft werden, verbunden mit allen Nachteilen, die dies mit
sich bringt: Schon jetzt ist es in gewissen Kreisen wegen der negativen
Grundstimmung dem kirchlichen Lehramt gegenüber fast unmöglich, die in den
letzten Jahren wiederholt vorgelegten Klärungen mancher strittiger Fragen
sachlich darzulegen. Die Emotionalisierung bestimmter Themen erschwert das
Gespräch. Die Gräben zwischen den verschiedenen Lagern werden vertieft bis zur
Gefahr der Spaltung.
Chancen der Situation
Die Auseinandersetzung mit dieser Situation führt uns zu grundsätzlichen
Überlegungen. Wir sind (alle!) genötigt, darüber nachzudenken, was an unserem
Glauben wesentlich ist, welches die eigentliche Ursachen für die krisenhaften
Zustände der Kirche sind und und was wir tun können, um sie zu überwinden.
Eine Krise ist sehr heilsam, wenn sie einen dringend nötigen Nachdenkprozess
herbeiführt. In diesem Sinn kann auch die jetzige Situation der Kirche
positive Folgen mit sich bringen.
Die chronischen Leiden der Kirche
Man muss kein begabter Beobachter sein, um zu bemerken, dass in den letzten
10 - 20 Jahren in einigen Gebieten der Kirche - vor allem in den
Wohlstandsländern westlicher Prägung - einige Probleme regelmäßig diskutiert
werden, also "Dauerbrenner" sind.
Warum kommen immer wieder die gleichen Fragen? Wurde der tief greifende Wandel
der Gesellschaft übersehen? Werden die vorhandenen Nöte zuwenig beachtet?
Werden dringend notwendige Reformen verschleppt?
dass große Nöte trotz pastoraler Bemühungen vorhanden sind, ist
augenscheinlich. Da ist der wachsende Priestermangel, weiters die Krise von
Ehe und Familie mit den vielen Scheidungen, dann das Auseinanderklaffen
zwischen Geboten und Verhalten im sexuellen Bereich bei einem hohen
Prozentsatz der Gläubigen. Es bestehen Probleme in der Sakramentenpastoral.
Sie rühren vor allem daher, dass viele "Gläubige" zwar noch der Kirche
angehören und sporadisch am kirchlichen und sakramentalen Leben teilnehmen,
innerlich aber weit von ihr entfernt sind. Diese Umstände verschärfen die
Situation der Priester und aller in der Seelsorge Tätigen, die sich oft
überfordert und allein fühlen. Im Volk hat sich außerdem - seit längerem? -
der Gedanke verbreitet, dass verheiratete Priester die Menschen mit ihren
Nöten besser verstehen könnten als unverheiratete.
In den letzten Jahrzehnten hat sich ein tief greifender Wandel der
Gesellschaft vollzogen, der sich allerdings bereits im vergangenen Jahrhundert
angebahnt hat. So ist zum Beispiel die Situation von Ehe und Familie stark
verändert. Die einzelnen Mitglieder der Familie (insbesondere die Frau und die
Kinder) sind erfreulicherweise freier, unabhängiger geworden. Die Familie ist
vor allem Ort der Geborgenheit und der persönlichen Entfaltung. Vieles wird
für die Ausbildung der Kinder geleistet, deren Zahl allerdings viel geringer
geworden ist, nicht immer aus egoistischen Gründen. Kinder haben es jedoch
dann, wenn beide Eltern berufstätig sind, wenn sie ohne Vater oder Mutter
aufwachsen, in ihrer Persönlichkeitsentfaltung nicht leicht und leiden am
stärksten unter Krisen in der Familie.
Unsere gesamte Lebensweise ist durch die völlig neuen Verkehrs- und
Kommunikationsmöglichkeiten, durch die Dynamik unserer Konsum- und
Leistungsgesellschaft sehr verschieden von der Lebensweise früherer
Generationen. Auch der Priester lebt in ganz anderen Verhältnissen als früher.
Es hat sich auch seine Arbeit - teils aufgrund der Mitarbeit der Laien, aber
auch wegen der veränderten religiösen Situation - gewandelt. Auch der Priester
ist von Stress und Hektik bedroht.
Hat die Kirche die verschiedenen Entwicklungen zuwenig beachtet? Hat sie den
Zug versäumt oder stimmt die Richtung nicht?
Sich den Fragen stellen
Es besteht kein Zweifel, dass wir - d.h. die Kirche in ihrer Gesamtheit -
den Wandel der Gesellschaft in seinen Einzelheiten wahrnehmen und auf die Nöte
aller Menschen eingehen müssen.
Es ist eine Auseinandersetzung erforderlich: Was gehört zum Glauben? Was ist
wichtig, damit er Leben, Energie, Freude bringt? Wie lässt er sich in
Anbetracht des Wandels der Gesellschaft umsetzen? Welches sind die
entscheidenden Hilfen, um den Anforderungen des Glaubens entsprechen zu
können? Wenn uns diese Hilfen nicht zur Verfügung stünden, gliche unsere
Situation jener des Alten Testaments: Wir hätten ein "Gesetz", das erdrückt,
weil es nicht erfüllt werden kann. - Sind vielleicht tatsächlich Änderungen in
der Lehre der Kirche nötig, Anpassungen an Gegebenheiten? Darf die Kirche
solche Änderungen vornehmen?
Wie kann die Krisensituation überwunden werden?
In den letzten Jahren haben manche ein neues Konzil verlangt, andere
wünschen zumindest einen gesamtösterreichischen, besser noch einen
europäischen synodalen Vorgang. Persönlich habe ich den Eindruck, dass gerade
in der nachkonziliaren Periode schon viele Synoden und Versammlungen
stattgefunden haben und dass zunächst eine gewisse Läuterungs- und
Reifungszeit nötig ist. Nach meinem Gefühl hat es wenig Sinn, immer wieder
neue Beratungen abzuhalten und als deren Ergebnis Lehrschreiben zu verfassen,
die dann nicht oder kaum beachtet werden.
Damit uns Gott helfen und die Krise der Kirche überwunden werden kann, ist
meines Erachtens die Beachtung von drei grundlegenden Voraussetzungen
erforderlich:
- "Unsere Hilfe kommt von Gott". Ich habe den Eindruck, dass wir heute oft
versucht sind, alle Veränderungen durch Anstrengungen in der liturgischen
Gestaltung, durch psychologische und pädagogische Methoden und Aktivitäten,
mit einem Wort, durch menschliches Tun zu erreichen. Von neuem müssen wir
den Psalm entdecken, in dem es heißt: "Wenn nicht der Herr das Haus baut,
müht sich jeder umsonst, der baut. Wenn nicht der Herr die Stadt bewacht,
wacht der Wächter umsonst" (Ps 127,1). Es gibt viele Nöte, die wir nicht
beheben können. Das Heil des Menschen und das Heil der Welt sind nicht
einfach durch uns machbar.
- An Christus glauben. Gott hat seinen Sohn gesandt, der die Welt erlöst
hat. Wir können uns nicht selbst erlösen; wir können die Wahrheit nicht
selbst festlegen und auch nicht aus eigener Kraft den Vernetzungen des Bösen
entkommen. Vielleicht liegt hinter den Schwierigkeiten, die wir heute in der
Kirche erleben, u.a. die Botschaft verborgen, dass wir uns allem anderen
voran auf Gott und das Geheimnis der Erlösung und damit untrennbar verbunden
auf das Geheimnis Christi in der Kirche besinnen müssen.
- Das Geheimnis der Kirche wahrnehmen. Wer sagt, was wahr ist, oder welche
die Bedingungen sind, deren Erfüllung für die Fruchtbarkeit des
Sakramentenempfanges notwendig ist? Was ist eigentlich die Kirche? Ein
Verein, der beliebig verändert werden kann, oder eine Demokratie, die nach
Mehrheitsverhältnissen regiert wird, in der Oppositionen und politische
Pressure-Groups gebildet werden? Wie wirkt Christus durch die Kirche? Welche
Aufgabe haben das Leitungs- und Lehramt? Welche Aufgabe hat die Basis?
Es ist wahr, dass es in der Kirche im Verlaufe ihrer Geschichte manchmal
über längere Zeit hinweg ein mühsames Ringen in Bezug auf manche Fragen und
Praktiken gegeben hat. Manchmal kam der Anstoß zur Erneuerung von heiligen
Frauen wie z.B. Katharina von Siena oder Theresia von Avilla, oder von
heiligen Männern wie der hl. Franziskus oder der hl. Ignatius von Loyola,
also von der Basis; andere Male verhalfen große Bischöfe wie ein Karl
Borromäus oder Reformpäpste wie z.B. Gregor der Große oder Pius V.. der
Erneuerung zum Durchbruch. Immer war das Petrusamt an diesem Vorgang der
Erneuerung mäßigend, ermutigend oder ermahnend beteiligt. Dort, wo die in
der Stiftung durch Christus begründete Leitungsstruktur abgelehnt wurde,
entstand Spaltung.
Auch heute stehen wir in einem solchen Ringen und auch heute sind Heilige
nötig, um die im II. Vatikanischen Konzil bereits grundgelegte Erneuerung zu
verwirklichen. Wir sollen das Wort Jesu im Herzen tragen: "Fürchtet euch
nicht" und Vertrauen haben, aber auch aktiv sein. Jede(r) kann Ausgangspunkt
der Erneuerung sein, nicht aber neben der Kirche - oder gegen ihre
Fundamente.
Was ist konkret zu tun?
- Ohne Zweifel erleben wir derzeit eine Periode in der Kirchengeschichte,
in der es besonders angebracht und nötig ist, für die ganze Kirche und für
sich selbst den Beistand von oben, den Heiligen Geist zu erbitten. Dabei
müssen wir auch selbst offen sein für seinen Anruf. Es ist nicht
übertrieben, wenn man sich angesichts der aktuellen Vorkommnisse in der
Kirche zu einem Gebetssturm gedrängt fühlt. Wir befinden uns in einer
entscheidenden Phase des gesellschaftlichen und kirchlichen Umbruchs. Eine
gesunde und klare Unterscheidungsgabe ist in dieser Situation für alle
Glieder der Kirche von größter Bedeutung, um persönlich und gemeinsam die
richtigen Ursachen der Entwicklungen zu erkennen und die geeigneten
Maßnahmen - auch im persönlichen Leben - zu setzen. Daher möchte ich alle,
die bereit sind, bei der Erneuerung der Kirche mitzutun, an erster Stelle
dazu auffordern, beharrlich und möglichst täglich für die Kirche, für die
Bemühung um eine echte Neuevangelisierung der Gesellschaft und für die
eigene Vertiefung im Christsein zu beten.
- Vor der eigenen Türe kehren. Als sehr wichtig kommt mir vor, dass wir -
auch beim Gedanken an die notwendige Erneuerung der Kirche - nicht sofort an
die Änderung der anderen oder gar der ganzen Kirche denken, sondern zunächst
bei uns selbst anfangen. Alle Diskussionen, die wir führen, laufen Gefahr,
unfruchtbar zu sein, wenn wir nicht allen Ernstes um die Verwirklichung der
persönlichen christlichen Berufung - die Umsetzung des Glaubens in gläubiges
Handeln - bemüht sind. Heißt nicht eine große Gefahr Lauheit? - Sie ist eine
schlechte Ratgeberin für die Erneuerung der Kirche ...
Wir werden gut daran tun, die Gebote Gottes regelmäßig durchzugehen, unser
Denken, Reden und Handeln in ihrem Licht zu überprüfen und uns zu fragen:
Was muss ich in meinem alltäglichen Leben in der Familie, im Beruf ändern,
damit es christlicher wird? Welche Schritte könnte ich setzen, um diesen
oder jenen Fehler, der immer wieder vorkommt, zu vermeiden? Wo könnte ich
mich verbessern?
In unserer Zeit verfügen wir über früher kaum vorstellbare
Gestaltungsmöglichkeiten des Lebens. Umso mehr ist Verantwortung gefragt.
Wir müssen bewusst Akzente und Prioritäten in unserem Alltag setzen: uns
Zeit nehmen für Gebet, für die Familie, für unsere Fortbildung; Maßhalten in
Video und Fernsehen und in anderen Bereichen. Heute ist es nicht möglich,
ein Christentum einfach "aus Tradition" zu leben. Wer nur "aus Tradition",
d.h. ohne persönliche Überzeugung und ohne den Dingen auf den Grund zu
gehen, an einigen religiösen Praktiken festhält, wird als Christ nicht lange
bestehen können. Wer christlich leben will, wird in den persönlichen
Verhaltensweisen auch nicht einfach den in unserer Gesellschaft derzeit
gängigen und von den Medien präsentierten Trends folgen können. Diese sind
ja häufig in keiner Weise christlich. Sogar beim Anhören von Vorträgen, die
als christlich ausgegeben werden, ist eine gesunde Unterscheidung der
Geister nötig, weil auch manche "Verkünder" von den gleichen Trends
verleitet sind.
Wer heute als Christ leben will, muss sich entgegen der verbreiteten
Wohlstandsverwöhnung und anderen Gefährdungen für eine Lebensweise
entscheiden, welche Selbstüberwindung kennt und der Gesinnung Christi
entspricht, wobei jeder, der mit einem solchen Bemühen begonnen hat, sehr
bald (und wohl bis ans Lebensende immer wieder) merkt, wie sehr er die Hilfe
des Erlösers (insbesondere durch den Empfang der Sakramente) benötigt, um im
Kampf, der Tag für Tag erforderlich ist, nicht nachzulassen.
Daher wäre meine Anregung und Bitte: Seien wir persönlich - möglichst jeden
Tag - anhand des Evangeliums sehr konkret um die Verbesserung unseres Lebens
bemüht und empfangen wir regelmäßig die Sakramente (auch das Bußsakrament).
Christus, der Erlöser, muss uns beistehen, damit wir auf unserem Weg
fortschreiten können und nicht lau werden.
Wer sich nicht ständig um eine echte Veränderung des Lebens im Sinne der
Verbesserung bemüht, senkt das geistig-geistliche Niveau der Kirche durch
sein Lau-Sein und ist versucht, sein Verhalten zu rechtfertigen. Sind nicht
manche "neue Lehren" im Grunde genommen solche Rechtfertigungen?
- Die Lehre der Kirche kennen lernen. Es wird notwendig sein, sich in den
verschiedenen Fragen ernsthaft mit der Lehre der Kirche auseinanderzusetzen.
Die Diskussionen über die verschiedenen "heißen Eisen" werden leider häufig
sehr oberflächlich geführt, d.h. auf Grund von Informationen aus den Medien
und einseitigen Darstellungen.
In den beiden vergangenen Jahrzehnten wurden fast alle Themen, über welche
derzeit diskutiert wird, nach gründlicher Vorbereitung auf nationaler Ebene
in Bischofssynoden ausführlich beraten. Die Ergebnisse dieser Beratungen
wurden dann vom Heiligen Vater in lehramtlichen Schreiben für die ganze
Kirche zusammengefasst. Leider muss ich feststellen, dass die Inhalte dieser
Lehrschreiben wenig bekannt sind. Dies mag u.a. daran liegen, dass sie -
weil im Widerspruch zu den Trends der Mehrheit stehend - von den Medien
nicht gut aufgenommen und verbreitet worden sind. Vielleicht liegt es auch
an der nicht für jeden leicht verständlichen Sprache.
Es ist dringend erforderlich, sich mit dem Amtsverständnis der Kirche, mit
der Angebrachtheit des Zölibats als Voraussetzung für den Empfang der
Priesterweihe sowie mit den Gründen zu befassen, warum die Kirche in Bezug
auf Ehe und Familie, Schutz des Lebens, Sexualmoral und anderes mehr
bestimmte Auffassungen vertritt: nicht, weil die Lehre der Kirche dringend
geändert werden müsste, sondern weil die Vermittlung und die Erklärung der
Inhalte - beginnend mit den Beschlüssen des II. Vatikanums - offenbar nur
sehr mangelhaft geglückt ist und weil deshalb diese Inhalte in ihrem
menschlich-fördernden Wert nicht verfügbar sind. Nicht nur seitens der
Bischöfe und Theologen, sondern von allen sind Anstrengungen nötig: neue,
gut verständliche Publikationen werden erforderlich sein, Katechesen
unterschiedlichster Art. Vor allem ist das Interesse bei jenen
Voraussetzung, an die die verschiedenen Schreiben gerichtet sind. Junge
Eheleute z. B. werden sich fragen: Was tun wir für das Gelingen unserer Ehe?
Leben wir die Beziehung aus dem Geist Jesu? Wie können wir unserer Aufgabe
als Erzieher unserer Kinder besser entsprechen? - Jemand, der sich auf einen
geistlichen Beruf vorbereitet wird sich fragen: Was ist für eine zölibatäre
Lebensform in der heutigen Zeit wichtig? Worin liegt ihr Sinn? Wie gestalte
ich sie, damit sie menschlichen Gewinn bringt?
Dieses Fragen führt zum Suchen, zum Lesen, zur Auseinandersetzung mit der
Lehre der Kirche (so sollte es jedenfalls sein).
Ich kann mir vorstellen, dass der Hauskirche, dem Freundeskreis, den kleinen
Gemeinschaften in der Pfarre oder in apostolischen Bewegungen eine große
Bedeutung zukommt. Im Gebet, in der gemeinsamen Lektüre geeigneter Schriften
und im Gespräch, im Austausch der Erfahrungen und der gegenseitigen
Ermutigung wachsen die Erkenntnisse, entstehen Mut zum Probieren und eine
neue Verbundenheit mit Christus und der Kirche.
Wir sollten die Lehre der Kirche nicht ändern, sondern zuerst kennen lernen
und dann mit Gottes Hilfe zu verwirklichen suchen!
- Dialog. Sind die Kontraste der verschiedenen Standpunkte bereits so
groß, dass unüberwindbare Klüften zwischen den verschiedenen "Lagern" in der
Kirche entstanden sind?
Ohne Zweifel ist viel Gebet, viel Geduld, Respekt voreinander, Feingefühl
und Demut erforderlich, um eine drohende Spaltung zu vermeiden und
Spannungen zu überwinden. Wir sollten dem anderen nicht vorschnell den
Glauben oder gar den guten Willen absprechen und genauso wenig jemanden
sofort als Fundamentalisten abstempeln, weil er eine Überzeugung mit
Bestimmtheit vertritt oder die Dogmen der Kirche für wahr hält. Es muss uns
bewusst sein, dass die erste Frucht des Heiligen Geistes, wenn Er in uns
wirkt, die Liebe ist. Liebe ist mit Verständnis und Geduld verbunden, mit
Nachsicht und Einfühlungsvermögen, auch wenn sie sicher nicht mit jener Art
der Toleranz zu verwechseln ist, die allem und jedem recht gibt. Dies wäre
unter Umständen nicht Liebe, sondern Mangel an ihr. Wenn ich bemerke, dass
sich der andere auf einen gefährlichen Weg begeben hat, dann versucht wahre
Liebe dem anderen zu helfen. Oft verpflichtet uns auch die Gerechtigkeit
dazu.
Wenn wir so vorgehen: persönlich ehrlich bemüht, mit Gebet, im Verlangen
nach Wahrheit und Gnade, in Liebe zum Nächsten, wird der Heilige Geist -
davon dürfen wir überzeugt sein - die Kirche auf die rechten Wege führen.
Feldkirch, im Juni 1995
+ Klaus Küng