Liebe Mitchristen!
Einmal mehr nähert sich das Weihnachtsfest und damit regt sich in unseren
Herzen die Sehnsucht des Advent. Die Liturgie drückt sie mit der Bitte aus:
"Komm, Herr Jesus, und säume nicht!"
Ist dies nur ein "frommer Wunsch", der in Wirklichkeit weder bei uns noch bei
den anderen etwas verändert, oder handelt es sich um etwas, das für unser
Leben tatsächlich von Bedeutung ist?
Der Glaube sagt uns, dass Sein "Kommen" ein Leben, eine Familie, eine
Gesellschaft und unter Umständen sogar ein ganzes Volk zu verändern vermag.
Voraussetzung dafür ist, dass Seine Stimme gehört, Seine Botschaft angenommen
und das Leben Seiner Weisung und den Regungen Seines Geistes entsprechend
gestaltet bzw. geändert wird. Der Glaube sagt uns sogar, dass Er in einem
gewissen Sinn wirklich selbst gegenwärtig wird, um in den Herzen der Menschen
guten Willens Frieden und Freude zu verbreiten. Es ist also keine Illusion,
sondern ein realistisches Verlangen zu bitten: "Komm, Herr Jesus!"
Die österreichischen Bischöfe wollen unter dem Motto "Dein Reich komme" als
Schritt zur Erneuerung einen "Dialog für Österreich" einleiten. Das Ziel
dieses Vorhabens besteht darin, auf der Grundlage des II. Vatikanums möglichst
alle Gläubigen und Interessierten zu einer konstruktiven Auseinandersetzung
mit der Botschaft Jesu zu ermutigen, damit sie uns wandelt, ein Mehr an Leben
bringt, dem einzelnen persönlich, den Familien, den größeren Gemeinschaften.
"Dialog" ist seit dem Konzil einer der häufig verwendeten Begriffe. Schon im
Konzil selbst war in mehreren Zusammenhängen von "Dialog" die Rede, was sich
auch in seinen Texten niedergeschlagen hat. In der dogmatischen Konstitution
über die Offenbarung ist z.B. vor allem vom Dialog Gottes mit den Menschen die
Rede, die Pastoralkonstitution "Die Kirche in der Welt von heute" dagegen
handelt vom notwendigen Dialog der Kirche mit der Welt, im Dekret über
Ökumenismus und in der Erklärung über das Verhältnis der Kirche zu den
nichtchristlichen Religionen oder in der Erklärung über Religionsfreiheit wird
das Thema des Dialogs in der Ökumene dargestellt.
Dieser Dialog ist wichtig. Gewöhnlich entdecken wir im Dialog, was von uns
erwartet wird, welche Schwierigkeiten und Probleme bestehen und welches unsere
Zielsetzungen sein sollten. Die Verkündigung selbst geschieht in einem Dialog,
wobei Gott, Christus und der durch das Evangelium und die Apostel
Weitergetragenen Lehre der Kirche, die das Gut des Glaubens anvertraut
erhalten und in aller Treue bis ans Ende der Zeiten zu bewahren hat, ein
besonderer Stellenwert zukommt.
Wenn die Bischöfe im kommenden Jahr dazu einladen, in Bezug auf die Fundamente
des Glaubens, die Herausforderungen der pastoralen und der gesellschaftlichen
Situation einen Dialog zu eröffnen, so kann dies selbstverständlich nicht
bedeuten, dass nun alle möglichen Fragen ohne jede Differenzierung auf einer
breiten Ebene gewissermaßen zur Diskussion gestellt werden, so als gäbe es
keinerlei sichere Grundlage und wäre alles - oder fast alles - eine Frage der
Entscheidung. Vielmehr ist es eine Aufforderung, sich mit den Aussagen der Hl.
Schrift und der Lehre der Kirche, auch mit den Dokumenten des Konzils und der
Zeit danach auseinanderzusetzen und ernsthaft zu überlegen, wie sie in den
derzeitigen Umständen zu verwirklichen sind. Der "Dialog für Österreich" ist
in der Tat ein wichtiges und dringendes Anliegen, bei dessen Verwirklichung
möglichst viele mittun sollten. Schon jetzt möchte ich alle Gläubigen dazu
einladen. Zentral und entscheidend für dessen Sinnhaftigkeit und Erfolg wird
sein, dass er im Herzen beginnt und um die Erhebung des Herzens zum Heil aus
Gott bemüht ist.
Der wichtigste Dialog ist das Gebet, das Zwiegespräch mit Gott. Das Gebet
ist das Entscheidende in unserem Leben, weil Er die Quelle unseres Lebens (Ps
36, 10) ist, unsere Burg und unsere Zuflucht (vgl Ps 91, 2 - 12), vor allem
unser Ziel (Offb 1, 8) und unser Heil (Offb 19, 1).
Unser Gebet bedarf freilich der Stütze und der Leitlinie Seines Wortes. "Dein
Wort ist meinem Fuß eine Leuchte, ein Licht für meine Pfade" (Ps 119, 105).
Und auch Sein Wort können wir nicht immer ohne fremde Hilfe begreifen. Wir
bedürfen der Stütze und der Erläuterung durch die Kirche, welcher der Heilige
Geist für die Aufgabe zu binden und zu lösen gegeben ist.
Der Advent ist Einladung, Gottes Wort auf uns wirken zu lassen. Die Christen
der vergangenen Generationen haben aus der inneren Zwiesprache mit diesem Wort
schon viele Zeichen geformt, die ihnen Kraft waren zur hoffnungsfrohen
Gestaltung auch dunkler Zeiten. Wir sollten die in der Dunkelheit entzündeten
Lichter des Adventkranzes nicht zu Schmuck oder Werbemitteln degenerieren
lassen. Die Sätze der Adventbotschaften sollten uns Lichter werden - und durch
uns auch anderen - erhellend erfahrene Botschaft, die unserem Herzen Nahrung
sind. - Besonders dieser Dialog sollte uns in diesen Wochen leiten und sich in
Taten der Menschenfreundlichkeit und Güte umsetzen, wie Paulus uns das im
Titusbrief (3, 2) darlegt.
Einmal mehr möchte ich zu einem drängenden adventlichen Gebet auffordern.
Es muss unser großes Verlangen sein: Der Herr möge zu uns kommen, zu den
jungen und alten Menschen, zu Priestern, Ordensleuten und Laien, in unsere
Familien und in die verschiedensten Bereiche unserer Gesellschaft, auch dort,
wo Er derzeit nicht mehr zu Hause ist.
Dialog ist nötig. Allem anderen voran der dringendste Dialog, das Gebet, auch
der Dialog im kleinen Kreis.
Gebet allein ist zu wenig. Zumindest bei uns selbst sollten wir versuchen,
einen Schritt weiterzukommen: "Jede Schlucht soll aufgefüllt werden, jeder
Berg und Hügel sich senken. Was krumm ist, soll gerade werden, was uneben ist,
soll zum ebenen Weg werden" (Lk 3, 5). Das heißt, wir sollten uns bemühen,
Fehler abzubauen und Tugenden zu erwerben.
Wenn wir das Handeln Gottes an uns nachahmen wollen, dann geht es im Advent um
unsere einfache, schlichte Menschlichkeit. So können wir Lichter gegen die
Dunkelheit der Welt setzen. Unsere Freundlichkeit ist gefragt - in der
Begegnung mit dem nächsten Menschen. Unsere Aufmerksamkeiten können in der
Familie allen, die mit uns zusammen wohnen, die aufbauende Erfahrung schenken,
dass wir sie gerne haben. Wie oft erhöht Rücksichtsnahme die gegenseitige
Wertschätzung!
Wie wichtig sind Verzeihen, Um-Verzeihung-Bitten und
Auf-den-anderen-von-neuem-Zugehen!
Oder Dem-anderen-für seine Hilfe, seine Aufmerksamkeit, seine Liebe-Danken!
Es sind Taten verborgener, schlichter Menschlichkeit. Sie aber bringen die
Erfahrung dessen nahe, was Jesus wollte, was mit Reich Gottes gemeint ist.
Wenn in einer Ehe bewusst auf diese Weise miteinander gelebt wird, dann wird
auch erfahren, was Sakrament bedeutet.
Natürlich geht es auch darum, dass wir unsere Humandefizite aufarbeiten. Wir
sollten uns fragen: "Welches ist mein Hauptfehler? Welche Fehler kommen
besonders häufig vor? Was ist die Ursache? Welches sind die Motive? Was könnte
ich tun, um mich zu verbessern? Wo muss ich ansetzen? Wie könnte es
konkretisiert werden? Sagen wir nicht, eine Änderung sei nicht möglich! Eine
neue Anstrengung, eine neue Bemühung ist möglich. Wenn wir bemerken, dass wir
eigentlich wenig an Gott denken, werden wir gut daran tun, eine konkrete Zeit
des Gebetes festzulegen, Kurzgebete zu formulieren, Erfahrungen des Tages in
Lob, Dank, Bitte an Ihn weiterzugeben. Wenn wir sehen, dass wir zu schwach
sind, zu wenig konkret, vielleicht mutlos, dann werden wir uns um die
Sakramente bemühen. Eine gute Beichte ist eine große Hilfe.
In der "Hauskirche" könnten wir einen Schritt versuchen: z.B. im Advent das
Sonntagsevangelium im Kreis der Familie lesen und austauschen, was uns
anspricht; das Tischgebet von neuem einführen, falls dies nötig ist; ein
gemeinsames Morgengebet in der Familie versuchen; die Kerzen des Adventkranzes
anzünden und mit einem Blick auf Gott (Gewissenserforschung) den Tag
ausklingen lassen.
So könnte ich mir in etwa diesen vorrangigen Bereich des Dialogs als Suche
nach Gottes Sendung für mich vorstellen.
Möge uns die Muttergottes mit ihrer Fürsprache beistehen, damit wir offen sind
für den Heiligen Geist und Christus in unserem Leben aufnehmen.
Einen gesegneten Advent und ein frohes Weihnachtsfest wünscht
+ Klaus Küng