„Er, der dies bezeugt, spricht:
Ja, ich komme bald. - Amen.
Komm, Herr Jesus!“
(Offb 22, 20)
Liebe Mitchristen!
Das erste Dokument, das im II. Vatikanischen Konzil
verabschiedet wurde, war die Konstitution über die heilige Liturgie. Sie
beginnt mit den Worten: „Das Heilige Konzil hat sich zum Ziel gesetzt, das
christliche Leben unter den Gläubigen mehr und mehr zu vertiefen, die dem
Wechsel unterworfenen Einrichtungen den Notwendigkeiten unseres Zeitalters
besser anzupassen, zu fördern, was immer zur Einheit aller, die an Christus
glauben, beitragen kann, und zu stärken, was immer helfen kann, alle in den
Schoß der Kirche zu rufen. Darum hält es das Konzil auch in besonderer Weise
für seine Aufgabe, sich um Erneuerung und Pflege der Liturgie zu sorgen“ (SC
1).
Die Reform, die durch dieses Dokument ausgelöst wurde, war in den folgenden
Jahren die von den Gläubigen am stärksten registrierte Auswirkung des Konzils.
Sie hat im Erscheinungsbild der Kirche eine tief greifende Änderung bewirkt.
Sind jedoch die großen Erwartungen des Konzils in Erfüllung gegangen? Oder
waren die Auswirkungen eher negativ? Woran liegt es, dass manches nicht die
Früchte gebracht hat, die man sich erwartet hat? Was können wir tun, um zur
Liturgie einen besseren Zugang zu finden? Was müssten wir besonders beachten?
Diese und viele andere Fragen bewegen uns, wenn wir über die Liturgiereform
und ihre Auswirkungen in den letzten Jahren nachdenken.
„Liturgie“ kommt vom griechischen Wort „leiturgia“, das
bedeutet „Dienst des Volkes und Dienst für das Volk“. In der griechischen
Übersetzung des Alten Testamentes wurde mit diesem Wort der gesamte Kult, der
amtliche (von Priestern vollzogene) Gottesdienst bezeichnet. Nach katholischem
Verständnis bezieht sich „Liturgie“ auf den öffentlichen Gottesdienst der
Kirche; sie ist sowohl Gottes- als auch Menschenwerk.
Im Katechismus der Katholischen Kirche heißt es: „Durch die Liturgie setzt
Christus, unser Erlöser und Hohepriester, in seiner Kirche, mit ihr und durch
sie das Werk unserer Erlösung fort“ (KKK 1069). Das zeigt sich vor allem in
der Feier der Eucharistie und in den Sakramenten (Taufe, Firmung usw.). In der
Konstitution über die heilige Liturgie lehrte das II. Vatikanische Konzil:
„Christus ist gegenwärtig im Opfer der Messe sowohl in der Person dessen, der
den priesterlichen Dienst vollzieht wie vor allem unter den eucharistischen
Gestalten. Gegenwärtig ist er mit seiner Kraft in den Sakramenten, sodass,
wenn immer einer tauft, Christus selbst tauft. Gegenwärtig ist er in seinem
Wort, da er selbst spricht, wenn die heiligen Schriften in der Kirche gelesen
werden. Gegenwärtig ist er schließlich, wenn die Kirche betet und singt“ (SC
2). „Die Liturgie“ - so heißt es im gleichen Dokument des II. Vatikanums -
„ist der Höhepunkt, dem das Tun der Kirche zustrebt, und zugleich die Quelle,
aus der all ihre Kraft strömt. Denn die apostolische Arbeit ist darauf
ausgerichtet, dass alle, durch Glauben und Taufe Kinder Gottes geworden, sich
versammeln, inmitten der Kirche Gott loben, am Opfer teilnehmen und das
Herrenmahl genießen“ (SC 10).
Das II. Vatikanische Konzil hat die Angebrachtheit der aktiven Teilnahme aller
Gläubigen hervorgehoben. In diesem Sinne heißt es in der Konzilskonstitution:
„Die Mutter Kirche wünscht sehr, alle Gläubigen möchten zu der vollen,
bewussten und tätigen Teilnahme an den liturgischen Feiern geführt werden, wie
sie das Wesen der Liturgie selbst verlangt und zu der das christliche Volk ...
kraft der Taufe berechtigt und verpflichtet ist“ (SC 14). Liturgie - bewusst
vollzogen - ist ein geheimnisvoller Vorgang, an dem Gott beteiligt ist, aber
auch wir selbst.
Die Liturgieerneuerung war ein großes Anliegen des Konzils. 1968 wurde der
neue Messritus (unter Ritus versteht man die Gesamtheit der liturgischen
Elemente - Worte, Gesten, Handlungen - bei einer bestimmten liturgischen
Funktion) eingeführt, später wurden nach und nach die Riten aller Sakramente
(Taufritus, Firmung usw.) und aller wichtigeren liturgischen Vorgänge (wie
z.B. das Stundengebet der Kirche, die Altarweihe, Kirchweihe, Begräbnisfeier,
Segnungen usw.) neu geordnet.
Für mich steht außer Zweifel, das Konzil, und konkret die
Liturgiereform, viele positive Früchte erbracht haben: die Einführung der
Volkssprache und die Überarbeitung der liturgischen Bücher, die Vereinfachung
der Riten und die Errichtung von Volksaltären brachten den Menschen die
liturgischen Vorgänge näher. Die Hl. Schrift wird den Gläubigen in einem viel
größeren Ausmaß verkündet, als es vorher der Fall war. Die Art der Teilnahme
der Gläubigen an der Liturgie ist eine ganz andere geworden: Es mag sein, dass
auch heute manchen - oder sind es viele? - der volle Zugang zum Eigentlichen
des liturgischen Geschehens fehlt. Aber bei wie vielen wird das früher der
Fall gewesen sein?
Es kam freilich auch zu unguten Entwicklungen: Manche, die sich mit dem alten
Ritus sehr verbunden wussten, fühlten sich durch die Neuerungen entfremdet,
bisweilen sogar heimatlos und verletzt. Eine gewisse Verflachung ist
vielerorts spürbar, wobei die Ursachen genauer zu untersuchen wären. Wenn
früher Starre wegen allzu ängstlich beachteter Rubriken der Routine manchmal
Vorschub geleistet haben mag, so stören heute nicht selten Unruhe, zuviel
Reden und Wildwuchs. Vor allem fehlt es oft an Ehrfurcht: von vielen scheint
das Mysterium gar nicht mehr wahrgenommen zu werden. Bei Kindern, die in ihren
Familien keinerlei religiöse Grundlage empfangen, aber auch bei Erwachsenen
fehlt oft die innere Beziehung zum Gotteshaus, zum Allerheiligsten. Sie
schwätzen in der Kirche, als wären sie in einem Konzertsaal, und kennen nicht
mehr die adäquaten Verhaltensweisen (z.B. Kniebeuge vor dem Tabernakel). Viele
wissen nicht, was mit „Anbetung“ gemeint ist. Insbesondere gilt dies für die
„eucharistische Anbetung“, d.h. die Anbetung Christi, wahrer Gott und wahrer
Mensch, der unter den Gestalten von Brot und Wein in der Eucharistie nach der
Wandlung „wirklich, wahrhaft und wesenhaft“ gegenwärtig ist und gegenwärtig
bleibt, und daher verborgen im Tabernakel oder manchmal im Rahmen einer
feierlichen Aussetzung mit Monstranz verehrt wird. Auf diese Gegenwart
verweist ja auch das so genannte „ewige Licht“, eine Kerze oder Öllampe, die
immer entzündet und in der Nähe des Tabernakels deutlich sichtbar sein soll,
wenn im Tabernakel tatsächlich das “Allerheiligste“ aufbewahrt ist. Die
eucharistische Anbetung setzt freilich den Glauben an die wirkliche (nicht
bloß symbolische) Gegenwart des Herrn in der Eucharistie voraus.
Viele Extreme, die sich in den ersten Jahren nach dem Konzil ausgebreitet
haben, sind inzwischen überwunden worden. Die zunächst allzu radikal
„entrümpelten“ Gotteshäuser wurden in den letzten Jahren wieder heimeliger und
anschaulicher: nicht wenige Bilder und Statuen, die eine Zeitlang unbeachtet
in den Depots und Dachböden herumlagen, sind - zur Freude der Gläubigen -
wieder in die Kirchen zurückgekehrt. Auch die Riten haben vielerorts wieder an
Würde gewonnen und es hat sich bereits herumgesprochen, dass
„Hemdärmelliturgie“ und Priester als „Showmaster“ sich nicht bewähren.
Es ist wahr, dass die Zahlen der Gottesdienstteilnehmer insgesamt, vor allem
aber in Bezug auf die jüngeren Jahrgänge, stark zurückgegangen sind. Nicht
wenige Kirchen sind aber weiterhin Sonntag für Sonntag voll und auch werktags
gut besucht. Einige sind sogar übervoll, weil sie offenbar - auch von anderen
Pfarren - viele anziehen. Die Ansprüche der Menschen sind heute hoch und ihre
Mobilität ist groß. Trotzdem bleibt auf jeden Fall die Frage: Warum dieser
Rückgang der Praktizierenden, der insgesamt sicherlich zu verzeichnen ist?
Gewiss ist dies nicht bloß der Liturgiereform und den anderen Veränderungen in
der Kirche als Folge des Konzils zuzuschreiben.
Kardinal Ratzinger hat die Meinung geäußert, dass sich in
unserer Zeit bei sehr vielen Menschen eine Art Deismus durchgesetzt habe, d.h.
ein Glaube an einen Gott, der weit weg ist, dem man vielleicht die Auslösung
eines Urknalles bei der Entstehung der Welt zuschreibt, der sich aber sicher
nicht um das Denken und Fühlen eines einzelnen Menschen kümmert, den wir daher
auch niemals durch so etwas wie Sünde, durch Fehlverhalten beleidigen können.
Eine Erlösung, die Menschwerdung des Gottessohnes, die Aussendung des Heiligen
Geistes oder die Erfahrung, dass die eigenen Sünden durch Gott vergeben
werden, passen nicht in solche Vorstellungen. Dort, wo trotzdem „gebetet“
wird, handelt es sich nicht um ein Gespräch mit Gott, sondern vielmehr um ein
Nachdenken über sich selbst, über Gott und die Welt. In einer solchen
Denkweise kann Christus höchstens ein erhabenes Vorbild sein, ein Mensch, der
vor langer Zeit gelebt hat, der freilich durch viele Mythen und subjektive
Empfindungen glorifiziert wird. Die Liturgie ist dann vor allem eine
Erinnerung an diesen Christus, ein Hinweis auf sein Leben und seine Denkweise,
irgendwie auch Begegnung mit ihm, ähnlich wie man Gandhi „begegnen“ kann, wenn
man sich mit seinem Leben und seinem Wirken befasst oder sein Gedächtnis
begeht.
Es gibt zahlreiche Spielarten dieser und ähnlicher Lebenseinstellungen. Aus
solchen Haltungen heraus haben viele aufgehört, den Gottesdienst regelmäßig zu
besuchen und Sakramente zu empfangen. Nicht wenige beschränken sich auf
gelegentliche kirchliche Kontakte bei bestimmten Anlässen - zu Weihnachten und
Ostern, weil es so Brauch ist - oder bei Trauungen und Todesfällen. Sie halten
den „Segen Gottes“ für wertvoll; der Gedanke an eine Lebensveränderung
aufgrund einer Begegnung mit Christus ist ihnen jedoch fern, es sei denn, dass
eine schwere familiäre, berufliche oder gesundheitliche Krise auftritt, die zu
einem tieferen Nachdenken Anlass gibt. Im Übrigen spielt die Attraktivität des
Gottesdienstes, die Gemeinschaft der Feiernden und die Erfahrung von
Gemeinschaft eine Rolle. Eltern gehen dann auch gerne zur Kirche, wenn ihre
Kinder in irgendeiner Weise am liturgischen Geschehen „beteiligt“ sind,
ähnlich wie sie den Vorspielabend der Musikschule besuchen, bei dem der Sohn
oder die Tochter auftreten.
Vor kurzem sagte mir der Priester einer kleinen Gemeinde: „Wir
haben in den letzten Jahren alles mögliche versucht.“ Er hat recht. Es ist
wahr. Viele Priester und Laien haben sich in den vergangenen Jahren riesig
bemüht, oft mit einem außerordentlich großen Engagement, mit echter Zuwendung
zu den Menschen, auch mit Sachverstand und Gottvertrauen. Als Bischof kann ich
dies bestätigen. Diese Anstrengungen haben sicherlich auch Früchte getragen
und werden noch viele bringen.
Freilich kann sich in dieses Engagement in der Katechese und vor allem im
Bereich der Liturgie die Gefahr einschleichen, dass das Mysterium, das
eigentlich Wichtige, zu dem hingeführt werden sollte, durch ein Überwiegen des
menschlichen Tuns verdeckt wird.
In den modernen Lebensverhältnissen besteht die Tendenz, dass Menschen, die
durch viel Dynamik und Aktivität geprägt sind, Liturgie, insbesondere eine
„gewöhnliche“ hl. Messe, als langweilig und eintönig empfinden, weil sie noch
keinen Zugang zum Geheimnis gefunden haben. Gerade in dieser Situation
entsteht der Wunsch nach einer möglichst abwechslungsreichen Gestaltung der
Liturgie, um mittels Originalität und Kreativität auch religiös Distanzierte
anzusprechen. Bis zu einem gewissen Maße ist dies richtig und gut, manchmal
aber wird allerdings das zu große Vertrauen in die eigene Überzeugungskraft
und die eigenen Fähigkeiten zur Tragik: der an sich gute Wille wird zum
Verräter. Unbemerkt wurde zum Menschenwerk, was Gottes Werk sein sollte ...
Wir aber können nicht erlösen. Die Hilfe kommt von Gott.
Manche Fehlentwicklungen führen zu noch weitreichenderen Folgen: Nach dem
Konzil wurde die Notwendigkeit der Hinwendung zur Welt und zu den Menschen
betont. Man hat gesagt, man müsse die Menschen dort „abholen“, wo sie stehen,
damit sie die Botschaft aufnehmen können. Man hat - wie bereits erwähnt - die
Bedeutung des Mittuns hervorgehoben. Dieses Mittun wurde von nicht wenigen zu
äußerlich, aktionistisch aufgefasst. Zugleich kam die Frage nach dem
„Rollenverständnis“, verbunden mit einer gewissen Verunsicherung der Aufgaben
des Priesters und der Laien. Man hat zu wenig darauf geachtet, dass die Art
der Teilnahme am Priesteramt Jesu bei Priestern und Laien nicht nur dem Grad,
sondern dem Wesen nach verschieden ist. Es entstanden manche missbräuchliche
Verhaltensweisen, die zu dieser Verunsicherung beitrugen. Etwas übertrieben
verdeutlicht: der Priester widmet sich der Schreibarbeit und die Sekretärin
überbringt die hl. Kommunion den Kranken. Der stärker werdende Priestermangel
fordert und fördert die Initiative und den Einsatz aller Gläubigen. Das lässt
neue Ressourcen entdecken, was sehr positiv ist, aber es ist Wachsamkeit
nötig, damit nicht Wesentliches verloren geht.
Gerne wird das Wort des Herrn wiederholt: „Wenn zwei oder drei in meinem Namen
versammelt sind, dann bin ich mitten unter ihnen.“ Es ist ein schönes und
befreiendes Wort. Immer ist es uns möglich, das Herz zu Gott zu erheben, und
die Gemeinschaft des Glaubens und Betens bestärkt uns. Aber es wäre ein
Irrtum, daraus zu schließen, dass für die Kirche und ihre Entfaltung geweihte
Priester entbehrlich seien. Dort, wo am Sonntag (womöglich ohne eindeutige
Notwendigkeit oder, obwohl es möglich wäre, einen Priester als Aushilfe zu
bekommen) an Stelle der hl. Messe regelmäßig Wortgottesdienste eingerichtet
werden und entgegen der bestehenden kirchlichen Weisung die Meinung vertreten
wird, es sei auch in einer solchen Situation in jedem Fall besser, in der
eigenen Gemeinde einen Wortgottesdienst zu besuchen als in einer anderen an
der Eucharistie teilzunehmen, wird bald eine gewisse Leere spürbar werden,
weil der Wert der Eucharistie, die ja auch die Hingabe Jesu für uns
gegenwärtig setzt, verkannt und das eigene Tun überschätzt wird. Auch die
Vorstellung von Kirche ist in einer solchen Denkweise zu eng gefasst.
Im Katechismus der Katholischen Kirche wird in wenigen Seiten
bezüglich Liturgie sehr treffend das Wesentliche dargestellt. Die Liturgie ist
das Werk der Heiligsten Dreifaltigkeit und wir, erschaffen als Abbild Gottes,
sind dazu bestimmt, uns mit ihr zu vereinen. Schon durch die Taufe wurde ein
Keim des ewigen Lebens in unser Herz gelegt. Er soll in uns wachsen und sich
entfalten. Die Liturgie bringt uns in Gottes Nähe, mehr als das: Durch den
Sohn gelangen wir zum Vater im Heiligen Geist.
Der Vater ist der Ursprung und das Ziel der Liturgie. Die Erklärung, die der
Katechismus bietet, beginnt (vgl. KKK 1077) mit den Worten des hl. Paulus:
„Gepriesen sei der Gott und Vater unseres Herrn Jesus Christus: er hat uns mit
allem Segen seines Geistes gesegnet durch unsere Gemeinschaft mit Christus im
Himmel. Denn in ihm hat er uns erwählt vor der Erschaffung der Welt, damit wir
heilig und untadelig leben vor Gott; er hat uns aus Liebe im voraus dazu
bestimmt, seine Söhne zu werden durch Jesus Christus und nach seinem gnädigen
Willen zu ihm zu gelangen, zum Lob seiner herrlichen Gnade. Er hat sie uns
geschenkt in seinem geliebten Sohn“ (Eph 1, 3 - 6).
In der Liturgie der Kirche wird der Segen Gottes geoffenbart und mitgeteilt:
Wir sollen den Vater als Ursprung und Ziel allen Segens anerkennen und anbeten
(vgl. KKK 1082). Die Feier der Liturgie gibt zugleich Antwort auf den Segen,
der vom Spender aller guten Gaben kommt. Mit dem Herrn vereint und „vom
Heiligen Geist erfüllt“ (Lk 10, 21), dankt der einzelne Gläubige und die ganze
Gemeinde einerseits in Anbetung, Lobpreis und Danksagung dem Vater „für sein
unfassbares Geschenk“ (2 Kor 9, 15). Andererseits hört die Kirche bis zur
vollen Erfüllung des göttlichen Heilsplanes nicht auf, dem Vater „von seinen
Gaben die Opfergabe“ darzubringen ...“ (vgl. KKK 1083).
Um zur Liturgie Zugang zu finden, ist unser Beten grundlegend. Wir sollten es
pflegen, den Wunsch haben, besser beten zu lernen. „Zu dir, o Gott, erhebe ich
meine Seele“. Unsere persönliche Zwiesprache mit Gott, in der wir uns ihm
anvertrauen und auf ihn hören, ist die Seele der Liturgie. Beten öffnet die
Augen des Herzens und macht uns fähig, etwas vom Geheimnis zu erfassen.
Zugleich empfangen wir Impulse, unser Leben zu verändern, Gutes zu tun und
zusammen mit der Kirche und allen Menschen guten Willens geistliche Gaben Gott
darzubringen. Es kann zu großen „Entdeckungen“ führen, wenn wir uns daran
gewöhnen (im Sinne einer guten Gewohnheit), täglich - z.B. in der Früh vor
Beginn des Tagewerkes, am Abend oder zu einer anderen Stunde, die dafür
günstig ist, eine gewisse Zeit dem persönlichen Gebet zu widmen.
Christus und das von ihm vollzogene, in der Kirche gegenwärtige Heilswerk ist
das Zentrum der kirchlichen Liturgie. Sie ist getragen vom Glauben an
Christus, mehr noch, sie ist erfüllt von seinem Heilswerk. An uns liegt es,
Christus und sein Heilswerk zu erkennen und anzunehmen. Mit Christus ist hier
freilich nicht bloß der Mensch Jesus gemeint, der vor langer Zeit gelebt hat
und ein großartiges Vorbild ist; gemeint ist Christus heute, der
menschgewordene Gottessohn, der tatsächlich vor 2000 Jahren gelebt, der die
Frohbotschaft von der Vergebung der Sünden und von Gott dem Vater gebracht
hat, der uns durch sein Leiden am Kreuz erlöst hat und auferstanden ist, der
zur Rechten des Vaters sitzt und auch jetzt lebt. Dieser gleiche Christus ist
in der Kirche mit seinem Erlösungswerk gegenwärtig.
Wenn wir auf ihn hören, erkennen wir den Weg, der zum Vater führt, zum Ziel
unseres Lebens. Wenn wir ihm ehrlich und bereitwilligen Herzens begegnen,
unser Leben entsprechend gestalten und ihn aufnehmen, empfangen wir den
Frieden von Gott, finden wir den Weg zur inneren Freiheit und werden durch ihn
zum Guten befähigt. In unserem Christsein werden, wenn es richtig aufgebaut
ist, neben dem Umgang mit ihm durch die Betrachtung seines Lebens und des
ganzen Evangeliums, die Sakramente eine entscheidende Rolle spielen. Durch die
Taufe wurde die Grundlage geschaffen. Wir wurden in Christus und seinen
Erlösertod eingetaucht und von der Erbsünde gereinigt und seinem Leib - der
Kirche - eingegliedert. Die Taufe ist die Voraussetzung für die Kommunion, für
das Einswerden mit ihm. Wir dürfen uns den Herausforderungen des Lebens im
Vertrauen auf seine Worte stellen: „Wer mein Fleisch isst und mein Blut
trinkt, der bleibt in mir und ich bleibe in ihm“ (Joh 6, 56). Wir müssen
allerdings bedenken: Die Taufe bewirkt zwar eine bleibende Prägung der Seele,
die lebendige und fruchtbare Verbundenheit mit Gott kann aber durch die Sünde
verloren gehen. Die Taufgnade muss, wenn sie verloren gegangen ist, erneuert
werden. Dies geschieht durch die Vergebung der Sünden. Das Bußsakrament kann
in einem gewissen Sinn als „zweite Taufe“ bezeichnet werden. Damit im
Zusammenhang ist auch wichtig die Erneuerung des Taufversprechens, der
Vorsatz, christlich zu leben und die Sünde zu meiden. Auf diese Weise ist
Christus in uns lebendig, wir leben durch ihn, verbunden mit dem Vater.
Von großer Bedeutung ist das Amtsverständnis der Kirche. Christus hat Apostel
eingesetzt. Sie und ihre Nachfolger bzw. die von ihnen geweihten Mitarbeiter,
die Priester und Diakone, sind nicht bloß Vertreter, Delegierte oder
Vorsitzende der Gläubigen, sie sind seine Gesandten und Bevollmächtigten. Sie
handeln kraft der Handauflegung, die sie empfangen haben, in persona Christi,
d.H.: in den sakramentalen Vollzügen ist es Christus selbst, der durch sie
wirkt. Ob wir es wahrnehmen? Die Liturgie der Kirche kann dann eine wunderbare
Quelle der Kraft, der Freude, der Gelassenheit und der Hoffnung sein, weil sie
uns entdecken lässt, wie nahe uns der Herr ist, der uns zum Vater führt.
Vieles hängt davon ab, ob wir Augen für das Geheimnis haben, das für uns
„greifbar“ wird, und ob die Geheimnisse Gottes, das Geheimnis Christi und
seines Lebens in unser Leben eindringen können. Vieles hängt auch von uns ab,
von unserer Bereitschaft, von unserer Haltung. Wenn diese Bereitschaft nur
mangelhaft vorhanden ist oder ganz fehlt, darf es nicht überraschen, wenn die
vielen Kommunionen und anderen Sakramente, die empfangen werden, kaum oder
keine Früchte bringen.
Der Heilige Geist bereitet darauf vor, Christus aufzunehmen
(vgl. KKK 1091 f.). Der hl. Paulus lehrt: „Keiner kann sagen: Jesus ist der
Herr!, wenn er nicht aus dem Heiligen Geist redet“ (1 Kor 12, 3). Der Heilige
Geist erinnert an das Mysterium Christi und bringt es uns nahe (KKK 1099 f.).
Johannes von Damaskus drückt es mit einfachen Worten treffend aus. Er
schreibt: „Du fragst, wie das Brot Leib Christi und der Wein ... Blut Christi
wird. Und ich sage dir: Der Heilige Geist kommt hinzu und wirkt, was jedes
Wort und jeden Gedanken übersteigt ... Es genüge dir zu hören, dass es durch
den Heiligen Geist geschieht, so wie der Herr aus der hl. Jungfrau und durch
den Heiligen Geist von sich aus und in sich Fleisch annahm“.
Der Heilige Geist drängt zur Veränderung der einzelnen Glieder der Kirche. Es
kommt - wenn er tatsächlich zur Wirksamkeit gelangt - zur Gleichgestaltung mit
Christus. Durch seine Impulse und Regungen kommt es zur Herzensbekehrung, zum
Bemühen, ein christliches Leben zu führen, zu entfalten, aufzubauen. Wir
sollten dabei nicht übersehen, dass der Heilige Geist eine Frucht des Kreuzes
ist und dass unsere Gleichgestaltung mit Christus immer auch unsere
Bereitschaft zu Konsequenz, zum Durchhalten, Verzicht und Opfer voraussetzt.
Im Zusammenhang mit dieser Veränderung der einzelnen entsteht die Ausfaltung
der Gemeinschaft jener, die an Christus glauben; es kommt zur Entwicklung
einer Gemeinschaft des Heiligen Geistes. Kirche ist nicht bloß örtliche
Gemeinde. Sie ist Verbundenheit mit Gott und Verbundenheit untereinander, sie
reicht bis zu den Heiligen des Himmels und umfasst die ganze Erde.
Das Wort Advent kommt vom Ausdruck „Adventus Domini“, „Ankunft
des Herrn“. Die liturgische Zeit des Advent erinnert an sein historisches
Kommen in der Vergangenheit, an seine Geburt zu Betlehem, an sein Kommen in
der Zukunft, am Ende der Zeiten, und an sein Kommen in der Gegenwart, in die
Herzen der Menschen. Darum sollen wir im Advent für uns und für die ganze Welt
um dieses Kommen Jesu bitten. Eine gläubig gefeierte Adventliturgie ist etwas
Großes. Sie erneuert.
Advent ist vor allem Zeit der Besinnung. Sie könnte uns helfen, den Zugang zum
Eigentlichen in der Liturgie zu finden. Dafür wäre grundlegend: Offen werden
für Gott, auf sein Wort hören. Pflegen wir das Gebet! Kein Tag sollte
vergehen, ohne dass wir uns wenigstens einige Minuten zurückziehen und nach
Gott in unserem Herzen oder/und in einem Tabernakel in der Kirche Ausschau
halten. Es dreht sich darum, Gott das Tor zu öffnen. „Macht hoch die Tür, das
Tor macht weit. Es kommt der Herr der Herrlichkeit.“ Wenn wir wirklich offen
sind für sein Wort, werden wir Impulse empfangen, um zusammen mit der Kirche
geistliche Opfer darzubringen. Dies sollte sich in einigen konkreten
Bemühungen, Vorsätzen, kleinen Verzichten zeigen, die wir täglich versuchen.
Auf diese Weise werden wir allmählich verwandelt (wie Brot und Wein verwandelt
werden). Communio entsteht, Gemeinschaft mit Gott und Gemeinschaft
untereinander. Letzteres, die positive Veränderung der Beziehung zu unseren
Nächsten als Folge unseres Betens und christlichen Strebens, ist ein wichtiger
Prüfstein der Echtheit.
Bei diesem Vorgang kommt der Umkehr eine zentrale Bedeutung zu. Nützen wir den
Advent, um möglichst aufrichtig, voll Vertrauen in die Hilfe des Herrn und mit
einem ehrlichen Verlangen nach Reinigung, Besserung und Vertiefung die
Sakramente zu empfangen! Sie werden unsere Fähigkeit, am liturgischen
Geschehen teilzunehmen, beleben. Oft mag der tiefere Grund für die Verflachung
der Liturgie darin liegen, dass bei jenen, die an ihr teilnehmen, die
Bereitschaft zur Umkehr fehlt oder nur mangelhaft vorhanden ist. Daher wird es
notwendig sein, gerade in diesem Punkt anzusetzen.
Gebet und Umkehr lassen die Wege finden, die eine wahre liturgische Erneuerung
beim einzelnen und in der Gemeinschaft möglich werden lassen. Eine solche
Erneuerung wird zu einem großen Segen und führt zum wahren Weihnachtsfest, zum
Erleben der Geburt des Herrn. Dies wünscht allen auf die Fürsprache Mariens.
+ Klaus Küng