Komm, Herr Jesus!
Liebe Mitchristen!
Das Heilige Jahr nähert sich seinen letzten Höhepunkten, dem Weihnachtsfest
und dem Fest der Erscheinung des Herrn. An diesem Tag wird die Heilige Pforte
am Petersdom bis zum nächsten Heiligen Jahr wieder verschlossen. Viele große
und außerordentliche Ereignisse sind in dem nun zu Ende gehenden Heiligen Jahr
geschehen. Wahrscheinlich sind noch nie in einem Jahr so viele Pilger nach Rom
gekommen, auch wenn nicht zu übersehen ist, dass die Beteiligung aus
Mitteleuropa nicht so stark war wie aus anderen Teilen der Welt. Gerade im
Hinblick auf diese Tatsache, die wohl auch mit der Situation von Gesellschaft
und Kirche in den Wohlstandsländern im Zusammenhang steht, sind wir
eingeladen, den Advent zu nützen und mit unvermindertem Vertrauen auf die
Hilfe Gottes zu bitten: „Komm, Herr Jesus!“
Eines der Anliegen, die uns der Heilige Vater für das Heilige Jahr als
besonders dringend anempfohlen hat, ist die Ökumene. Im Apostolischen
Schreiben Tertio Millenio adveniente gab er den Hinweis: „In diesem letzten
Abschnitt des Jahrtausends muss sich die Kirche tief betrübt und mit
inständiger Bitte an den Heiligen Geist wenden und von ihm die Gnade der
Einheit der Christen erflehen. Das ist ein entscheidendes Problem für das
evangelische Zeugnis in der Welt“ (34). Auch in diesem Zusammenhang sollen wir
bitten: „Komm, Herr Jesus!“
Der Heilige Vater hat in den letzten Jahren mit einem außerordentlich
konsequenten und sehr persönlichen Engagement das ökumenische Anliegen
vorangetrieben: Nach Veröffentlichung des Direktoriums zur Ausführung der
Prinzipien und Normen über den Ökumenismus (1993) verfasste er die Enzyklika
Ut unum sint (1995) und setzte – gerade auch im Heiligen Jahr – zahlreiche
Schritte, die viele überraschten.
Noch zuvor, am 31. Oktober 1999, konnte nach dreißigjährigem, beharrlichem
Dialog in Augsburg die gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre
unterzeichnet werden, ein wahrer Meilenstein in den ökumenischen Bemühungen.
Mehrere Missverständnisse zwischen der Katholischen Kirche und den Lutheranern
konnten beseitigt, Gemeinsames konnte herausgestellt werden. Die
Rechtfertigungslehre war der zentrale Punkt der Auseinandersetzungen im 16.
Jahrhundert, Anlass für gegenseitige Verurteilungen. Sie betrifft wesentliche
Fragen: Wie wird die Erlösung beim einzelnen fruchtbar? Können wir sie uns
„verdienen“? Katholiken und Protestanten sind sich einig, dass die Erlösung
Gnade ist, aber: wie wirken wir mit?
Die gemeinsame Erklärung ist weder eine neue Lehrvorlage - im Sinn, dass jetzt
gemeinsam etwas Neues gesagt worden wäre - noch ein Kompromissdokument. Sie
zeigt auf, was in diesem Zusammenhang beide Gemeinschaften als ihren Glauben
betrachten. Zugleich wird in der Erklärung deutlich, dass die katholische und
die lutherische Auslegung dieser Glaubenswahrheiten sich nicht in allem
notwendigerweise gegenseitig ausschließen; sie legen vielmehr die Betonung auf
unterschiedliche Punkte. In der Erklärung, die als Ausdruck der Zustimmung
sowohl von der Katholischen Kirche als auch vom Lutherischen Weltbund
unterzeichnet wurde, wird die Kontinuität zu den für beide Gemeinschaften
wesentlichen Quellen bewahrt, nämlich das Konzil von Trient (für die
Katholische Kirche) und die lutherischen Bekenntnisse (für die Lutheraner). Es
kann daher nicht gesagt werden, dass nun „endlich“ die Katholische Kirche oder
der Lutherische Weltbund ihre Standpunkte revidiert hätten. Damals, im 16.
Jahrhundert, gab es gegenseitige Verurteilungen, die eine Einigung unmöglich
machten. Jeder verurteilte, was er für den Standpunkt des anderen hielt. Da
wurde nun in einem geduldigen Dialog vieles geklärt. Eine gewisse Einheit
wurde erreicht, es konnten aber nicht alle Probleme gelöst werden. Wichtige
Fragen bleiben offen wie z.B. das Geheimnis der Kirche und das Verständnis
ihres Wesens, die Beziehung zwischen Wort Gottes und Lehramt der Kirche, die
Autorität der Kirche und ihre Einheit, das Amt, die Sakramente ... Es ist noch
keine volle Gemeinschaft zwischen Katholiken und Protestanten möglich, auch
nicht eine gemeinsame Eucharistiefeier. Dafür fehlen noch immer wesentliche
Voraussetzungen. Trotzdem war die Unterzeichnung der gemeinsamen Erklärung ein
hoffnungsvolles Zeichen am Vorabend des Heiligen Jahres. Ein wichtiger Schritt
ist gelungen.
Im Heiligen Jahr selbst gab es mehrere Ereignisse mit großer ökumenischer
Bedeutung. Besonders beeindruckend war die Öffnung und Durchschreitung der
Heiligen Pforte in der St. Pauls-Basilika am Beginn der Gebetswoche für die
Einheit der Christen im Beisein vieler Vertreter christlicher Konfessionen und
anderer Religionen; besonders bewegende Momente waren weiters die
Vergebungsbitte des Papstes am Aschermittwoch und seine Reise in das Heilige
Land.
In den letzten Monaten ist es im Zusammenhang mit der Veröffentlichung des
Dokumentes Dominus Jesus zu Irritationen gekommen. Manche meinen, die
Katholische Kirche habe mit dieser Erklärung der Glaubenskongregation
plötzlich wieder „Allüren“ gezeigt, die man längst überwunden meinte. Es
stellt sich daher die Frage: Bedeutet das neue Dokument eine Infragestellung
oder gar eine Aufkündigung des ökumenischen Anliegens?
In der Enzyklika Ut unum sint hat Papst Johannes Paul II. das Bekenntnis
ausgesprochen: „Mit dem II. Vatikanischen Konzil hat sich die Katholische
Kirche u n u m k e h r b a r dazu verpflichtet, den Weg der Suche nach der
Ökumene einzuschlagen und damit auf den Geist des Herrn zu hören, der uns
lehrt, aufmerksam die „Zeichen der Zeit zu lesen“ (3). Und in Bezug auf die
diesbezügliche Aufgabe des Papstes schreibt er: „In unserer, vom II.
Vatikanischen Konzil geprägten ökumenischen Epoche ist die Sendung des
Bischofs von Rom in besonderer Weise darauf ausgerichtet, an das Erfordernis
der vollen Gemeinschaft der Jünger Christi zu erinnern“ (4).
Die Einheit aller Christen entspricht dem Wunsch des Herrn. Angesichts des
herannahenden Leidens und Sterbens betet Jesus Christus: „Alle sollen eins
sein: wie Du, Vater, in mir bist und ich in Dir bin, sollen auch sie in uns
sein, damit die Welt glaubt, dass Du mich gesandt hast“ (Joh 17, 21).
Die Einheit, die Jesus Christus meint, ist nicht etwas Nebensächliches, nicht bloß eine zweitrangige Eigenschaft, die der Gemeinschaft seiner Jünger im Idealfall zukommen sollte. Sie gehört vielmehr zum Wesen dieser Gemeinschaft. Sie besteht nicht bloß in einer Ansammlung von Personen. Es handelt sich um eine Einheit, die durch die Bande des Glaubensbekenntnisses, der Sakramente und der hierarchischen Leitung der Gemeinschaft der Kirche gebildet wird. In der Enzyklika Ut unum sint schreibt Johannes Paul II.: „An Christus glauben heißt, die Einheit wollen; die Einheit wollen heißt, die Kirche wollen; die Kirche wollen heißt, die Gnadengemeinschaft wollen, die dem Plan des Vaters von Ewigkeit her entspricht. Das also ist die Bedeutung des Gebetes Christi: Ut unum sint“ (9).
Auch innerhalb der Katholischen Kirche ist gegenwärtig die Einheit nicht
vollkommen. Die Spaltungen unter Bischöfen, Priestern, Ordensleuten und Laien
in manchen Ländern – gerade auch bei uns - sind unübersehbar. Unterschiedliche
Glaubensinhalte werden verkündet, noch unter-schiedlicher werden diese
rezipiert. Das Dokument Dominus Jesus bezieht sich auch auf diese Gegebenheit.
Das Dokument richtet sich gegen die heute weit verbreiteten, den Glauben
relativierenden Tendenzen. Das betrifft die Art, wie viele den Glauben in ihr
Leben umsetzen, aber auch die Lehre, wie sie mancherorts vermittelt wird.
Jeder nimmt sich aus den Glaubensinhalten und Geboten des Herrn, was ihm
persönlich wichtig erscheint, ohne sich allzu sehr darum zu kümmern, was die
Kirche dazu sagt. Diese Relativierungen sind teilweise derart stark und
vielfältig, dass von nicht wenigen Gläubigen alle (oder fast alle)
Konfessionen und Religionen als mehr oder weniger gleichwertig und gleich
richtig angesehen werden. Es fehlt nicht an katholischen Theologen, die sich
diese alles oder fast alles relativierenden Haltungen angeeignet haben und sie
sogar auch mit eigenen Theorien vertreten. Für sie bedeutet Jesus Christus
nicht den Abschluss und die Fülle der Selbstmitteilung Gottes; sie gehen davon
aus, dass auch in anderen Religionen das ewige Wort des Vaters enthalten ist.
Nach ihren Auffassungen wirkt der Heilige Geist auch auf Heilswegen außerhalb
der Kirche, die nur ein Weg neben anderen zum Heil ist. Sie bezeichnen auch
andere Bücher (nicht nur die Bücher der Heiligen Schrift) als „inspiriert“.
Das Dokument Dominus Jesus stellt dagegen von neuem für jeden gläubigen
Katholiken klar, dass Jesus Christus der einzig wahre Mittler zwischen Gott
und Mensch ist, der einzige Erlöser und Retter der Menschen; es betont
neuerlich die Notwendigkeit der Kirche für die Erlangung des Heiles, auch wenn
anzuerkennen ist, dass die anderen Religionen nicht selten einen Strahl jener
Wahrheit erkennen lassen, die alle Menschen erleuchtet (vgl. Erklärung Nostra
aetate, 2). Es wird auch daran erinnert, dass die Bezeichnung „inspirierte
Schriften“ nur für die kanonischen Bücher des Alten und Neuen Bundes gebraucht
werden darf.
Die Aussagen des Dokumentes Dominus Jesus sind nicht gegen die
protestantischen Gemeinschaften gerichtet, sie bedeuten nicht einen Rückfall
in alte Denkweisen. Sie entsprechen dem Selbstverständnis der Kirche, das sie
nicht aufgeben kann, wenn sie ihrer Sendung und Aufgabe treu sein will. Das
Dokument Dominus Jesus schadet daher bei richtigem Verständnis nicht dem
Anliegen der Ökumene, im Gegenteil, es beinhaltet eine dringend notwendige
Klärung und schafft unter anderem auch für fruchtbare ökumenische Bemühungen
eine wichtige Voraussetzung.
Es darf nicht übersehen werden: Wenn einzelne Christen oder Gemeinschaften von
Gläubigen nicht die von der Kirche weitervermittelte Offenbarung als Grundlage
des eigenen Glaubens nehmen, sondern sich selbst zur letzten Autorität in
Glaubens- und Sittenfragen machen, besteht (zumindest) die Gefahr, dass sie
nicht ihr Leben Gott, dem Evangelium anpassen und es entsprechend gestalten,
sondern umgekehrt, den törichten Versuch unternehmen, Gott, seine Offenbarung,
seine Geheimnisse, seine Gebote dem eigenen Leben anzupassen. Auf diese Weise
wird Gott zu einem kleinen Gott, einem Ergebnis menschlicher Vorstellungen.
Radikal relativierende Tendenzen führen in letzter Konsequenz zur Auflösung
des Glaubens. Ein solcher, dem eigenen Leben angepasster, mehr oder weniger
willkürlich umformulierter Glaube beruht nicht mehr auf der Offenbarung. Er
verliert seine erlösende und befreiende Kraft, denn Christus hat gesagt: „Die
Wahrheit wird euch frei machen“ (Joh 8, 32). Das Salz, schal geworden, ist
unnütz (vgl. Mt 5, 13).
Ein ökumenisches Bestreben, das solchen, den Glauben relativierenden Tendenzen
frönt, das eine rasche Annäherung durch Pflege inhaltlicher Unschärfen
versucht und die Verpflichtung zur Suche nach Wahrheit vernachlässigt, führt
nicht zur Einheit. Dies schon deshalb nicht, weil es bei solchen Versuchen
fast unvermeidlich zu neuen Spaltungen kommt: Wer von der durch Christus
geoffenbarten Wahrheit nicht abweicht, wird sich auf einem solchen
ökumenischen Weg verweigern. Wahrheiten können nicht demokratisch festgelegt
oder auf dem Verhandlungsweg einer Klärung zugeführt werden, so als wären die
Verhandlungspartner „Herren“ der Wahrheit. Wahrheit stammt aus Gott.
Außerdem ist noch ein weiterer damit verknüpfter und doch verschiedener Aspekt
zu bedenken: Die von Gott geoffenbarten Wahrheiten sind nicht bloß theoretisch
wichtige Inhalte, sondern betreffen zutiefst und zuinnerst unsere eigene
Existenz: unsere Herkunft, die Zielsetzung unseres Lebens, die Wege und Mittel
zu unserer Entfaltung und zur Erreichung unseres Glücks. Wer die Offenbarungen
Gottes so annimmt, wie sie in der Heiligen Schrift enthalten und von der
Kirche vermittelt werden, wird sich zu einem intensiven, das ganze Leben
prägenden und bis zum Tod andauernden, notwendigen Bemühen angehalten wissen,
zu einem Streben nach Entfaltung der Talente, das anspruchsvoll ist und sich
in vielfältiger Weise im eigenen Leben und für andere auswirkt. Wer dagegen
das Evangelium an das eigene Leben „anpasst“, Abstriche an der Botschaft Jesu
vornimmt, spürt nicht die Notwendigkeit einer Lebensänderung bzw. schränkt das
Bemühen um Verbesserung auf einige Bereiche ein – auf jene, die persönlich,
subjektiv für wichtig gehalten werden. Dieses Streben ist sowohl dem
Gegenstand als auch der Intensität nach ein Widerschein des persönlichen,
subjektiven Glaubens (oder Unglaubens).
Wenn wir nun bei Andersgläubigen (dasselbe gilt mindestens ebenso oder noch
mehr in Bezug auf Christen der katholischen Kirche, wenn sie Auffassungen
vertreten, die in krassem Widerspruch zur Lehre der Kirche stehen) auf ein
ehrliches, ihrer Glaubensüberzeugung entsprechendes Streben stoßen, wenn wir
bemerken, dass sie großherzig der Stimme ihres Gewissens folgen, dann kann es
geschehen, dass wir uns nach kurzer Zeit des Kennen Lernens aufrichtig mit
ihnen verbunden wissen, eine tiefe Sympathie und Freundschaft zu ihnen
entwickeln, auch wenn wir in manchen Belangen mit ihnen nicht übereinstimmen.
Wir öffnen uns dann auch für ihre Gedanken und Vorstellungen und lernen sie
besser verstehen. Vorurteile werden abgebaut und auch sie werden an unseren
Darlegungen interessiert sein. So kann eine wahre Einheit wachsen, auch wenn
diese noch nicht vollkommen ist und vielleicht die Zeit für eine volle Einheit
nicht reif ist. Echte, fruchtbare Ökumene bagatellisiert niemals die Frage der
Wahrheit und beruht immer auf einer ehrlichen, eifrigen Bemühung, der
Glaubensüberzeugung entsprechend zu leben. Nur dieser Weg führt zur wahren
Einheit.
Ein eigenes, schwieriges Kapitel stellt die volle Teilnahme gläubiger
Christen anderer Konfessionen an der Feier der Eucharistie dar.
Der Glaube der Katholischen Kirche an die Wesensverwandlung von Brot und Wein
in den Leib und das Blut des Herrn und die Vergegenwärtigung seines Opfers bei
der Feier der hl. Eucharistie ist mit dem Amtsverständnis der Kirche und der
so genannten „apostolischen Sukzession“ untrennbar verknüpft. Mit letzterer
ist gemeint, dass in der Kirche die „potestas sanctificandi“ (die Weihe und
Heiligungsvollmacht) in ununterbrochener Folge durch Handauflegung von den
Aposteln auf ihre Nachfolger – die Bischöfe, die ihrerseits ihren
Mitarbeitern, den Priestern, bei der Priesterweihe die Hand auflegen –
übertragen worden ist. In der orthodoxen Kirche ist diese „apostolische
Sukzession“ ebenfalls gegeben. Es werden daher auch jene Sakramente der
orthodoxen Kirche, deren Spendung die Weihegewalt voraussetzt (Firmung,
Bußsakrament, Eucharistie, Priesterweihe; die Taufe kann in Notsituationen
auch von Laien gespendet werden), von der Katholischen Kirche als gültig und
wirksam betrachtet.
Bei den christlichen Bekenntnissen, in denen die apostolische Sukzession nicht
gegeben und das Amtsverständnis ein anderes ist, können aus diesem Grund nur
die Taufe und das Ehesakrament anerkannt werden, sofern die sonstigen für
diese beiden Sakramente notwendigen Voraussetzungen erfüllt werden. Eine „Interzelebration“
(gemeinsame Eucharistiefeier eines katholischen Priesters und eines
protestantischen Pastors) ist daher – wenn sie z.B. so geschähe, dass der
katholische Priester die Wandlungsworte über das Brot und der nichtkatholische
über den Wein spräche, nicht nur unerlaubt, sondern zugleich unwirksam und
ungültig.
Eine andere Frage ist die Teilnahme an der Eucharistiefeier (ohne Kommunion).
Sie ist jedem erlaubt. Der ordnungsgemäße Empfang der hl. Kommunion setzt
jedoch die dafür notwendigen Bedingungen voraus: jemand muss gültig getauft,
nicht vom Recht gehindert sein, im Sinne der Katholischen Kirche an die
Eucharistie glauben und sich im Stand der Gnade befinden, d.h. frei sein von
schwerer Sünde.
Der Grund, warum heute nicht wenige Katholiken die Bestimmungen des
Direktoriums für Ökumene bezüglich Kommunionempfang nicht verstehen können,
liegt darin, dass derzeit das Glaubensverständnis bezüglich Eucharistie auch
innerhalb der Katholischen Kirche bei vielen mangelhaft ist und die
Voraussetzungen für den fruchtbaren Kommunionempfang nicht bewusst sind bzw.
missachtet werden.
Andererseits sind die Vorstöße mancher, die zur „eucharistischen
Gastfreundschaft“ einladen, keine für eine gegenseitige Annäherung geeigneten
Schritte, wenn die Voraussetzungen für den fruchtbaren Empfang der Kommunion
nicht gegeben sind. Sie beschwören vielmehr die Gefahr herauf, dass die
Kommunion nur eine äußere, nicht innerlich vollzogene Geste ist.
Das II. Vatikanische Konzil hat sich zur Freiheit der Religion und des
Gewissens bekannt. Jeder Mensch hat das Grundrecht, dass seine Glaubenshaltung
und die sich daraus ergebenden Einstellungen und Verhaltensweisen von den
anderen, auch von der Öffentlichkeit geachtet werden, sofern nicht Haltungen
vorliegen, die eine bedeutsame Gefährdung des öffentlichen Wohles oder anderer
Menschen darstellen. Wahre ökumenische Gesinnung wird immer von diesem
Grundsatz der Freiheit des einzelnen getragen sein. Auch das bedeutet nicht,
alles oder fast alles als gleich wahr oder falsch zu betrachten: weder
innerhalb der Kirche noch in der Beziehung zu den anderen Konfessionen und
Religionsgemeinschaften.
In Dominus Jesus wird festgehalten, dass die Beziehung der Katholischen Kirche
zu den anderen christlichen Kirchen und Gemeinschaften unterschiedlich ist.
Zur Ostkirche besteht ein besonderes Nahverhältnis, weil es keine wesentlichen
Unterschiede im Glauben, in Amts- und Sakramentenverständnissen gibt, auch
wenn wegen der Nichtanerkennung des Papstes und einiger anderer Probleme die
volle Einheit fehlt. Die Kontraste zu jenen christlichen Konfessionen, die
keine apostolische Sukzession kennen und im Amts-, Sakramenten- und
Glaubensverständnis stärker abweichen, sind größer. Aber auch mit ihnen
besteht aufgrund der Taufe und dem Streben, dem Wort des Herrn Folge zu
leisten, eine Gemeinschaft mit der Katholischen Kirche, auch wenn die
Unterschiede tiefgreifender sind.
Da die wahre Einheit innerhalb der Kirche und über sie hinaus mit allen Christen vor allem ein Werk des Heiligen Geistes sein wird, ist und bleibt Gebet das Wichtigste. Der Papst zählt das Anliegen der Einheit aller Christen unter die dringendsten Bitten (vgl. Nr. 16).
Die Kirche ist sich dessen bewusst, dass auch in ihr selbst der Wunsch Jesu
nach Einheit nicht voll erfüllt ist, und solange sie pilgernd unterwegs ist,
wohl niemals ganz erfüllt sein wird. Papst Johannes Paul II. schreibt in der
Enzyklika Ut unum sint: „Die Katholische Kirche sieht die Schwächen ihrer
Söhne und Töchter und bekennt sie im Bewusstsein, dass deren Sünden ebenfalls
Treuebrüche und Hindernisse für die Verwirklichung des Planes des Erlösers
darstellen. Da sie sich unablässig zur Erneuerung nach dem Evangelium
aufgerufen fühlt, hört sie nicht auf, Buße zu tun....“ Weiter unten fügt er
hinzu: „Ich selbst möchte jeden nützlichen Schritt fördern, damit das Zeugnis
der gesamten katholischen Gemeinschaft in seiner vollen Reinheit und
Konsequenz verstanden werden kann, vor allem im Hinblick auf jenes Ziel, das
die Kirche an der Schwelle des neuen Jahrtausends erwartet, eines
außerordentlichen Augenblicks, angesichts dessen sie den Herrn bittet, dass
die Einheit zwischen allen Christen bis hin zur Erlangung der vollen
Gemeinschaft wachsen möge“ (3). Und einige Kapitel später heißt es: „Die
messianische Verkündigung ‚Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe’
und der darauf folgende Aufruf: ‚Kehrt um und glaubt an das Evangelium!’ (Mk
1, 15), mit dem Jesus seine Sendung beginnt, sind das grundlegende Element,
das jeden Neubeginn kennzeichnen muss: das Grunderfordernis der
Evangelisierung in jedem Abschnitt des Heilsweges der Kirche. Das betrifft in
besonderer Weise den Prozess, den das II. Vatikanische Konzil dadurch
eingeleitet hat, dass es in der Erneuerung die ökumenische Aufgabe aufgenommen
hat, die voneinander getrennten Christen zu vereinen. Es gibt keinen echten
Ökumenismus ohne innere Bekehrung (Dekret über den Ökumenismus Unitatis
redintegratio, 11)“ (15).
Es ist wichtig, sich diese Zusammenhänge vor Augen zu halten. Dadurch wird
bewusst: Wahre ökumenische Gesinnung beginnt innerhalb der Kirche und beim
Streben der Gemeinschaft der Gläubigen in ihrer Gesamtheit und jedes
einzelnen.
Es ist richtig, dass wir auch zusammen mit Andersgläubigen beten in der Gesinnung, gemeinsam auf Gott, auf Christus, auf die Anrufungen des Heiligen Geistes zu hören und ohne jeden Versuch der Vereinnahmung des anderen oder der Verwischung der Probleme. Konkret: Gemeinsam beten können wir mit allen, die den einen, wahren Gott anbeten. Das Vaterunser können wir mit allen sprechen, die an Christus glauben. Eucharistie feiern ist aber nur mit jenen gemeinsam möglich, die in gleicher Weise an den Mahl und Opfercharakter der Eucharistie sowie an die reale Gegenwart des Herrn mit Leib und Blut glauben und die „rite dispositi“, d.h. in geeigneter Form vorbereitet sind, normalerweise durch den Empfang des Bußsakramentes. So können Katholiken, wenn sie sich in Gebieten der orthodoxen Kirche aufhalten und keine katholische Kirche für sie erreichbar ist, bei einem orthodoxen Priester das Bußsakrament empfangen und in einer orthodoxen Kirche an der Eucharistiefeier teilnehmen. Das gleiche gilt auch umgekehrt für orthodoxe Gläubige. Sie haben das gleiche Amts- und Sakramentenverständnis wie wir (vgl. Direktorium zur Ausführung der Prinzipien und Normen über den Ökumenismus, 123 und 125). Auch ein protestantischer Christ kann unter bestimmten Umständen, wenn er gültig getauft ist und an den Mahl- und Opfercharakter der Eucharistie sowie an die Realpräsenz Christi so wie es die Katholische Kirche lehrt, glaubt, in einer besonderen Situation, z.B. in Todesgefahr, wenn kein protestantischer Pastor erreichbar ist, das Bußsakrament und die Krankensalbung einschließlich der „Wegzehrung“ (die hl. Kommunion bei Todesgefahr) empfangen (vgl. Direktorium zur Ausführung der Prinzipien und Normen über den Ökumenismus, 129 – 132). Ohne die nötigen Voraussetzungen dagegen wäre ein solcher Sakramentenempfang nicht stimmig.
Es ist sicherlich auch richtig, dass wir dazu bereit sind, uns innerhalb
der Kirche selbstverständlich (auch wenn es vielen gar nicht
selbstverständlich ist) mit jedem, auch einem ganz anders Eingestellten,
zusammenzutun, um in bestimmten Bereichen, z.B. in sozialen Aufgaben
zusammenzuwirken oder für christliche Werte, sofern wir eins sind, gemeinsam
einzutreten. Und das gleiche gilt für die Zusammenarbeit mit Christen anderer
Konfessionen und Mitgliedern anderer Religionen.
Im Zusammenhang mit Ökumene stoßen wir auf große Fragen und Anliegen, die für
die ganze Welt wichtig sind, uns aber auch sehr persönlich betreffen. Wir
können diese Anliegen nicht beiseite schieben, nicht anderen überlassen. Es
handelt sich um einen Wunsch des Herrn, und zur Kirche gehört als
Wesensmerkmal die Einheit. Wir würden nicht ganz zu Jesus gehören und nicht
ganz zur Kirche, wenn wir diese Einheit nicht von ganzem Herzen wünschten.
Ein gnadenreiches Weihnachtsfest wünscht Ihnen
+ Klaus Küng