Geistlicher Rundbrief Nr.: 4/2002

Christus, das Evangelium und die Bedeutung der Laien

Liebe Mitchristen!

Ein Thema, das in den letzten Jahren häufig Anlass zu Auseinandersetzungen gegeben hat, betrifft die Rolle der Laien für die Weitergabe des Glaubens. Da dieses Thema von großer Bedeutung ist, habe ich mich entschlossen, ihm einen Rundbrief zu widmen.

1. Die Situation

a) Das Konzil und die Laien

Eine der großen Entdeckungen im Konzil und nach dem Konzil war die Teilnahme der Laien an der Sendung der Kirche sowie die Verantwortung, die ihnen dabei zukommt. Diese Entdeckung führte unter anderem zur Einführung der Pfarrgemeinderäte und zahlreicher diözesaner wie überdiözesaner Gremien. In der Liturgie wurden Laien stärker einbezogen, die Zahl der Religionslehrer und Katecheten hat sich vervielfacht. Laien begannen außerdem vielfältige Funktionen in den Pfarren auszufüllen: als Tischmütter in der Erstkommunionvorbereitung, als Firmbegleiter, als Gebetskreisleiter, als Mitwirkende im Sozialkreis, bei der Missions- und Entwicklungshilfe usw.

b) Fruchtbarkeit?

Diese Neuorientierung der Pfarrseelsorge und der überpfarrlichen Bemühungen hat dazu beigetragen, dass sich mehr Gläubige denn je in der Kirche engagiert haben und auch eine gewisse Mobilisierung der Gläubigen erreicht wurde. Allerdings ist diese Mobilisierung eher auf die Wirksamkeit, das Tun nach innen gerichtet; wichtig wäre jedoch eine starke Wirksamkeit in der Gesellschaft. Heute ist bei einem Teil der Priester und der engagierten Laien oftmals eine gewisse Müdigkeit und Resignation bemerkbar. Das Beunruhigendste in der derzeitigen kirchlichen Situation (insbesondere in Mitteleuropa) ist der fast überall zu verzeichnende Rückgang an geistlichen Berufen insgesamt und an Priesterberufen; auch bei einer Reihe von Frauen- und Männerorden - vor allem bei den tätigen – fehlt es an Nachwuchs. Viele betrachten den Zölibat als Hauptursache des Priestermangels. Bei näherem Hinsehen zeigt sich aber, dass nicht nur die Zahl der Priester zurückgeht, sondern noch stärker die Zahl der am kirchlichen Leben aktiv teilnehmenden Gläubigen. Jugendliche fehlen weitgehend im Gottesdienst, an vielen Orten auch die Kinder. Viele Paare leben mehr oder weniger lange zusammen, bevor sie heiraten (wenn überhaupt). Scheidungen und Trennungen sind an der Tagesordnung. Die Lebensgestaltung orientiert sich häufig auch bei Christen kaum an den Weisungen der Kirche; das Evangelium und die Gebote Gottes werden, sofern sie überhaupt beachtet werden, sehr subjektiv interpretiert. Auf Grund dieser Einstellungen ist auch das sakramentale Leben vieler Gläubigen fragwürdig. Es bleibt unklar, ob es fruchtbringend ist. Und: das religiöse Wissen nimmt in den letzten Jahren rapid ab. Es ist nicht übertrieben, von einer regelrechten Verdunstung des Glaubens zu sprechen. Dies alles betrifft weite Teile Europas. Auch in ursprünglich katholischen Ländern werden viele Menschen von der Verkündigung der Kirche nicht mehr erreicht. Sie ist ihnen in nicht wenigen Punkten unverständlich geworden. Woher sollen da geistliche Berufe kommen?

Was ist passiert? Woran liegt es? Ich möchte nicht zu negativ formulieren, mein Ziel ist vielmehr aufzuzeigen, dass es auch heute Hoffnung gibt und konkrete Möglichkeiten wahrer Wirksamkeit bestehen. Um aber keine Luftschlösser zu bauen, ist es notwendig, die Situation richtig einzuschätzen und die notwendigen Prioritäten zu setzen. Zunächst möchte ich versuchen, den Ursachen der Entwicklung nachzugehen. Sie sind bekannt, dennoch halte ich es für angebracht, sie aufzuzeigen, um nicht Fehleinschätzungen zu unterliegen.

c) Die Ursachen der derzeitigen Entwicklung

Sie sind zweifelsohne vielfältig. Einige seien erwähnt:
Der Wohlstand verführt zu materialistischen Lebenseinstellungen mit Vernachlässigung des religiösen Lebens. Das Geld, das man bei einer vermeintlich „modernen“ Lebensweise verbraucht, muss verdient werden. Das hat aber oft ebenfalls für das religiöse Leben und andere Zusammenhänge negative Konsequenzen: die Leistungsgesellschaft nimmt die Menschen mit ihrem technischen Fortschritt (Mobilität, Kommunikation) übermäßig in Beschlag. Durch die Berufstätigkeit von Mann und Frau werden insbesondere die Familien belastet. Aber auch Einzelpersonen, meist die Frauen, die zugleich Mütter sind und großteils oder ganz den Haushalt zu versorgen haben, sind großen Belastungen ausgesetzt. Stark ist der Einfluss der Medien und der Konsumgesellschaft mit ihrer allgegenwärtigen Werbung. In den letzten Jahrzehnten hat eine extreme Erotisierung mit sehr negativen Folgen Überhand genommen. Große Probleme bereitet den Christen die Konfrontation mit der pluralistischen Gesellschaft und ihren Freizügigkeiten; sie beginnt schon in jungen Jahren, ist sehr massiv und konstant. Die traditionellen katechetischen Vorgangsweisen sind auf allen Ebenen in eine Krise geraten. In fast allen Schulen ist es schwierig geworden, Religion zu unterrichten, aber auch die Pfarre stößt auf große Probleme.

Zu all dem kommt noch ein Weiteres: manche pastorale Methoden, die in den vergangenen Jahren gerade wegen der beschriebenen Situation angewandt wurden, erweisen sich als zunehmend unwirksam: durch die Bemühung, sich den oft geringen Voraussetzungen der Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen anzupassen, kommt es fast unvermeidbar zu einer Verarmung der Botschaft. Von Jahr zu Jahr wird es noch schwieriger, Kinder und Jugendliche aus kirchenfernen Familien so weit vorzubereiten, dass sie am sakramentalen Leben der Kirche mit „Gewinn“ teilnehmen. Oft sind auch jene Erwachsenen, die sich an der Sakramentenvorbereitung beteiligen, überfordert: es fehlt ihnen die persönliche Glaubenspraxis und Glaubensüberzeugung sowie die für diese Situation nötige Kenntnis der Glaubensinhalte.

Angesichts dieses Panoramas ist eine Neubesinnung dringend notwendig. Wir brauchen tief im Glauben an Christus verwurzelte Priester mit klarer Lehre. Wir brauchen Priester mit Leitungsgaben. In den heutigen Verhältnissen einer fortschreitend säkularisierten Gesellschaft kommt aber besonders den Laienchristen eine wichtige Aufgabe zu. Um diese Aufgabe gut zu erfassen und die Voraussetzungen für eine wahre Fruchtbarkeit bewusst zu machen, ist es notwendig, zunächst darüber nachzudenken, worin eigentlich die Sendung der Kirche besteht.

2. Die Sendung der Kirche

a) Allgemein

Im Apostolischen Schreiben „Christi fideles laici“ (vgl. 33) sagt der Heilige Vater, dass sich die Sendung der Kirche in der Ausbreitung des Evangeliums konkretisiert. Sie gründet im Gebot Jesu: „Geht hinaus in die ganze Welt und verkündet das Evangelium allen Geschöpfen“ (Mk 16, 15). Es geht um den Aufbau einer Gemeinde, die wiederum Salz und Licht ist für diese Welt. Es gilt umzusetzen, was der heilige Vater mit Neuevangelisierung der Welt heute meint.

Genauer betrachtet ist die Kirche und ihre Sendung eine Folge der göttlichen Aussendungen, der Aussendung der Zweiten und Dritten Person Gottes – des Sohnes Gottes und des Heiligen Geistes - in die Welt (vgl. Ad Gentes 2). Es ist wichtig, sich das bewusst zu machen, auch wenn es wie eine „Selbstverständlichkeit“ klingt. In der Fülle der Zeit hat Gott seinen Sohn gesandt, damit die Welt gerettet wird. Und als Frucht der Erlösung wird vom Vater und vom Sohn der Heilige Geist gesandt, damit die Menschen Christus als Sohn Gottes erkennen, seine Lehre verstehen und ihm nachfolgen. Wer an die Kirche glaubt, ist davon überzeugt, dass diese Aussendungen über der Zeit stehen und in jedem Augenblick, auch jetzt, im Gange sind.

Den Wesenskern der kirchlichen Sendung bilden also der Heilsplan des Dreifaltigen Gottes und sein Heilswirken in der Welt. Diese leitet sich von den göttlichen Aussendungen ab und entspringt letzten Endes der unendlichen Liebe Gottes des Vaters, dem Ursprung aller Gaben, selbst ohne Ursprung. Es scheint mir in unserer Zeit besonders wichtig, diesen übernatürlichen Charakter der Kirche hervorzuheben; viele neigen dazu, die Kirche wie einen Verein zu betrachten, dem man nach Belieben beitreten oder ihn verlassen kann, und dessen Wirksamkeit von der Tüchtigkeit seiner Mitglieder, von der Attraktivität seiner Angebote und von der Effizienz seiner Methoden abhängt.

Die Kirche vergegenwärtigt Christus

Näher betrachtet ist die Kirche die Frucht der Predigt Jesu und der zwölf Apostel (vgl. Evangelii nuntiandi 5). Die Kirche wurde gegründet, damit sie unter der Führung des Heiligen Geistes die Sendung Christi in der Welt fortsetzt. Sie soll zu allen Zeiten und an allen Orten das Erlösungswerk, das Gott in Christus erfüllt hat, offenbaren und vergegenwärtigen. Es besteht daher eine enge und tiefe Beziehung zwischen Christus, der Kirche und der Weitergabe des Evangeliums (vgl. Evangelii nuntiandi 6).

b) Vergegenwärtigung Christi durch die Verkündigung, durch die Sakramente und die Nachfolge

Nun ist aber noch näher zu bedenken: Christus bringt nicht nur durch das Wort die Offenbarung Gottes zur Vollendung, indem er das Gesetz des Alten Bundes durch die Verkündigung der Vergebung und des neuen Gebotes vertieft und ergänzt; er lebt und verwirklicht diese Botschaft durch die Liebe bis zur Vollendung, durch die Hingabe bis zum Tod am Kreuz und die Vermittlung des Lebens in Fülle, des ewigen Lebens, das er auf die Erde gebracht hat. Er verspricht: „Wer an mich glaubt, wird leben in Ewigkeit“ (Joh 6, 47) und „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, wird leben, auch wenn er stirbt“ (Joh 6, 58).

Dementsprechend besteht die Sendung der Kirche nicht nur in der Weitergabe bestimmter Wahrheiten wie: Aussagen über Gott, die Schöpfung, die Menschen und das Ziel ihres Lebens. Die Sendung der Kirche besteht auch nicht nur in der Umsetzung gewisser sozialer, gesellschaftlicher oder politischer Zielsetzungen im Sinne der Gerechtigkeit und der Nächstenliebe, die Christus gelehrt hat. Die Aufgabe der Kirche ist es, Christus selbst, seine Liebe und sein Heilswerk zu vergegenwärtigen. Er ist fließender Quell ihres eigenen Lebens. Wie geschieht das? Durch die Spendung der Sakramente, insbesondere durch den Vollzug der hl. Eucharistie und des Bußsakramentes.

Es gibt aber noch einen weiteren Punkt, den wir nicht übersehen dürfen. Er ist für die Fruchtbarkeit der Kirche ebenfalls wichtig: Die Kirche vergegenwärtigt Christus auch durch das Zeugnis der Gläubigen. Alle jene, die sein Wort, ihn selbst im Herzen aufnehmen, beginnen, ihr Leben entsprechend zu gestalten; sie bemühen sich um ein Verhalten, wie es der Gesinnung in Christus entspricht (vgl. Phil 2, 5).

Der hl. Paulus lehrt, dass in jenen Christus erahnbar, sichtbar, wirksam wird, die Christus wahrhaft lieben und verbunden mit ihm leben. Dies geht so weit, dass Paulus ausrufen kann: „Ich bin mit Christus gekreuzigt worden; nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir“ (Gal 2, 20).

Durch jene, die an Christus glauben, die ihn wahrhaft lieben und die ihm daher nachfolgen - nicht nur in Worten, sondern auch durch ihre Taten -, wird also in einem gewissen Sinn Christus vergegenwärtigt. Er wird spürbar. Sie werden – wie der vor kurzem heilig gesprochene Josefmaría Escrivá gerne wiederholt hat – zu einem „alter Christus, ipse Christus“, zu einem Christus, der unter den Menschen lebt, an sie herantritt, ihnen beisteht. Das sind nicht nur schöne Worte, sondern sie bedeuten eine geheimnisvolle Wirklichkeit mit sehr praktischen Auswirkungen, die allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen eintreten.

Die Sendung der Kirche - die Vergegenwärtigung Christi und seines Heilwerkes – erfolgt in bedeutsamer Weise auch durch die Gläubigen, durch ihre Umgestaltung und Nachfolge. Sie sind – wie der Apostel Paulus es ausdrückt – „neue Schöpfung“. Das II. Vatikanische Konzil hat gelehrt, was die Kirche an sich seit eh und je gelehrt, aber zeitweise weniger beachtet hat: dass alle Christen zu dieser Verbundenheit mit Christus und damit auch zur aktiven Teilnahme an seiner Sendung (und an der Sendung der Kirche) durch Taufe und Firmung berufen und befähigt sind. Durch den Christen, der den Glauben ernst nimmt, kann Christus überall, an allen Orten der Gesellschaft in einer für die anderen wahrnehmbaren oder zumindest erahnbaren Weise vergegenwärtigt werden. Sie denken und handeln anders als der Zeitgeist es vorgibt.

Überaus wichtig ist die Nachfolge Christi und die persönliche Verbundenheit mit ihm bei jenen, die durch den Empfang der Diakonen-, Priester- und Bischofsweihe und durch die Bevollmächtigung zu lehren und zu leiten, die Aufgabe empfangen haben, Christus in besonderer Art zu vergegenwärtigen: nämlich als Haupt des mystischen Leibes der Kirche. Die Glieder dieses Leibes sollen vom Haupt (Christus) geleitet, von seinem Geist beseelt und von seiner gestaltenden Kraft so verändert werden, dass er in ihnen Gestalt annimmt. Das Weihe-, Lehr- und Leitungsamt ist für die Kirche und die Wirksamkeit aller, die zu ihr gehören, konstitutiv und grundlegend. Priester und priesterliche Tätigkeit sind für die Entfaltung der Kirche und für die Befähigung der Gläubigen, Christus im Herzen zu tragen, unerlässlich. Ohne authentische Verkündigung, ohne Sakramente „verhungern“ die Christen.

3. Die Bedeutung des Lehramtes der Kirche und der Weihe

Es darf nicht übersehen werden: Viele berufen sich auf Christus, vertreten aber Gegensätzliches. In unserer Zeit ist es auch für die Situation innerhalb der Kirche geradezu typisch, dass sich viele Gläubige eine sehr persönliche Interpretation der Glaubensinhalte und Gebote Gottes zurecht legen und oft nicht so sehr ihr Leben dem Glauben, sondern den Glauben ihrem Leben anpassen. Es mag auch vorkommen, dass manche Seelsorger nur das predigen, was die „Gläubigen“ gerne hören oder vermeintlich zu hören bereit sind. Die Verkündigung verliert so ihre Kraft; sie verliert an Substanz oder wird verfälscht. Daher ist es wichtig, dass nicht irgend etwas gelehrt wird, sondern das, was die Kirche beauftragt ist zu lehren.

Bezüglich Spendung und Empfang der Sakramente hat sich in manchen Teilen der Kirche eine derart fragwürdige Praxis verbreitet, dass zu Recht Zweifel an ihrer Wirksamkeit aufkommen (z.B. wegen Fehlens der nötigen inneren Disposition seitens der Empfänger), fallweise sogar die Gültigkeit in Frage gestellt werden muss (wenn nicht mehr klar ist, ob seitens des Spenders mit Sicherheit die Absicht vorliegt, das zu tun, was die Kirche mit der Spendung des jeweiligen Sakramentes tun will).

Daher ist es heute wichtiger denn je festzuhalten, dass die hierarchische Struktur mit dem Lehr-, Weihe- und Leitungsamt zum Wesen der Kirche gehört. Sie stellt auf Grund der empfangenen Verheißungen die Garantie dar, dass die Kirche tatsächlich Christus vermittelt. Das trifft freilich nur zu, wenn die kirchlichen Ämter Christus und der Kirche gegenüber treu ausgeübt werden.

Wenn wir über diese Zusammenhänge nachdenken, dann wird uns bewusst: wir brauchen um Heiligkeit bemühte Bischöfe, Priester und Diakone. Bei ihnen ist es besonders wichtig, dass sie persönlich die Nachfolge Christi leben, in ihr gerade durch die Hingabe an ihren priesterlichen Dienst reifer werden. So wird es für die Gläubigen leichter, ihre Verkündigung zu verstehen, weil ihre ganze Lebens- und Verhaltensweise Christus ankündigt. Wer sich bemüht, die Botschaft Jesu im eigenen Leben umzusetzen, wird nicht zuletzt auch durch die Erfahrung der eigenen Grenzen, Schwächen und Fehler den anderen gegenüber verständnis- und liebevoller, und das Hirtenamt wird auf diese Weise fruchtbarer. Es legt den Akzent auf Christus, auf sein Wort, seinen Geist, seine Hilfe, seine Erlösung.

Wir brauchen ebenso um Heil und Heiligkeit bemühte Laien.

4. Die Aufgabe der Laien: Ihre Teilnahme an der Sendung der Kirche

a) in der Familie

Einer der verantwortungsvollsten Aufgabenbereiche der Laien findet sich in der Familie. Jede christliche Familie ist eine unersetzbare, meist die wichtigste Schule des Lebens, der Liebe und des Glaubens.

Jemand, der nicht auf dem Schoß der Mutter beten gelernt hat, tut sich auch später meist schwer. Wenn den Kindern nicht durch die Familie die wahren Werte des Lebens und der Liebe mitgegeben werden, finden sie nur schwer aus eigenem Suchen Zugang zu diesen Werten. Vor allem ist das Vorbild grundlegend. Kinder nehmen, auch wenn sie in der Pubertät oder als Jugendliche vielleicht ihre Krisen haben, später sehr oft die Haltungen ihrer Eltern ein.

Gleichzeitig muss auch gesagt werden, dass es heute für eine Familie nicht leicht ist, christlich zu leben. Bedingt durch die Umstände moderner Lebensweisen sind zur christlichen Gestaltung des Familienlebens Eigeninitiative und Kreativität nötig. Eltern müssen ihre Aufgabe als Erzieher im Glauben in einem viel größeren Maße wahrnehmen als dies zu Zeiten einer mehr oder weniger intakten Volkskirche notwendig war. Sie müssen sich selber mit dem Glauben auseinandersetzen und gut überlegen, wie sie ihren Kindern in der pluralistischen, freizügigen Gesellschaft auf dem Glaubensweg am besten beistehen, was sie tun können, damit der Glaube in den Herzen ihrer Kinder wächst. Neue Vorgangsweisen in der Erziehung sind zu suchen. Es sind diesbezüglich derzeit nicht wenige interessante positive Entwicklungen im Gange. Neue Behelfe, neue Modelle gemeinsamer Vorbereitung des Sonntags und katechetischer Bemühungen in und durch die Familie beginnen sich zu verbreiten.

Die Bedeutung des Ehesakramentes ist eigens zu bedenken. Es befähigt die Eheleute, mit der Hilfe Christi in der gegenseitigen Liebe zu wachsen und den Kindern beizustehen, damit sie aus Christi Geist geformte Menschen werden.

Jede christliche Familie sollte eine Kirche im Kleinen sein, ein Ort, an dem Christus zur Welt kommt, in den Eheleuten selbst und in ihren Kindern. Die Ehe ist ein Weg zu zweit und mit den Kindern der Heiligkeit entgegen, mit einer echten Humanität. Christus schenkt mit seinen Weisungen und seinem Leben die Grundlage der Liebe und führt zu ihrer Entfaltung. Das Ehesakrament macht die Eltern außerdem zu Mitarbeitern Gottes. Nicht nur bei der Zeugung, sondern auch bei der Erziehung und Führung ihrer Kinder.

Die christlichen Familien brauchen die Hilfe der Pfarren, des Seelsorgers, der Katecheten. Umgekehrt sind die christlichen Eltern und ihre Kinder und Jugendlichen für jede Pfarre eine wichtige Stütze.

Die Sorge um die christliche Familie und ihre gesunde Entwicklung ist eines der großen Themen heute, grundlegend für die Erneuerung von Kirche und Gesellschaft. Wahrscheinlich wird in den Pfarren und Bildungseinrichtungen der Kirche in den nächsten Jahren ein Paradigmenwechsel eintreten: Wir müssen alles tun, um junge Christen für die Aufgabe in der Familie vorzubereiten, und eine der wichtigsten Aufgaben der Zukunft wird sein, christliche Familien zu stützen und zu begleiten. Sie sind die wichtigsten Orte für die Inkulturation des Glaubens, eine große Kraft zur Entwicklung der Persönlichkeit, der Fähigkeit zu Verantwortung und Liebe. Große Anstrengungen in viele Richtungen werden nötig sein (Anregungen zu Familienkultur, Gestaltung des Sonntags, Verwendung der Medien, Förderung christlicher Gewohnheiten in den Familien, Entwicklung von Methoden familiärer Katechese, Hilfen zur Entfaltung der Begabungen für das Humanverhalten, zur Erziehung in den Tugenden usw.). Eheleute sind nicht nur Empfänger der pastoralen Sorge der Kirche, sondern müssen aktiv gestaltend mitwirken, was allerdings voraussetzt, dass sie mit der Lehre der Kirche vertraut und um ihre Umsetzung bemüht sind. In dieser Bildungsarbeit ist aber auch das Mittun der Priester erforderlich.

b) im Beruf, in der persönlichen Umgebung, in der Gesellschaft

eder Christ sollte sich dessen bewusst sein, dass er für alle Personen, die mit ihm zu tun haben, eine Chance darstellt, Christus zu begegnen. Ich denke manchmal an eine Begegnung mit dem hl. Josefmaria Escrivá in Rom. Es war in der zweiten Hälfte der Sechzigerjahre, als er an einem Vormittag zu uns kam (damals studierte ich Theologie, wir hatten gerade eine Pause zwischen den Vorlesungen). Er blieb beim einen oder anderen von uns stehen und sagte: „Denke daran, du bist auch Christus, wenn du über die Straße gehst oder einem anderen begegnest. Durch dich spricht Christus auch andere an ...“. Daher ist es wichtig, den Menschen zuzuhören und auf ihre Probleme einzugehen, für sie da zu sein, hilfsbereit und freundlich, persönlich und friedliebend. Wir alle müssen uns dessen bewusst sein, dass wir wie eine Stadt auf einem Berge sind, die von den anderen gesehen wird, dass wir Salz und Licht sind. Und das Licht darf man nicht unter den Scheffel stellen, das heißt unsere Verantwortung den Mitmenschen gegenüber ist groß (vgl. Mt 5, 13-16).

Jeder Christ sollte sich daran erinnern, dass Jesus seine Jünger zu zweit an die Orte geschickt hat, zu denen er selbst gehen wollte. Sie sollten sein Kommen vorbereiten. Das ist auch die Aufgabe der Christen, vor Ort die anderen zu Christus zu führen, über den kirchlichen „Innenraum“ hinaus zu wirken.

Jeder Christ soll auch in Eigenverantwortung an seinem Wirkungsort die Gebote Gottes beachten und insbesondere die Soziallehre der Kirche umsetzen. Er trägt dadurch dazu bei, dass die Gesellschaft wahrhaft human gestaltet wird, Gerechtigkeit und Frieden herrschen. Ein Wesensmerkmal des Laienapostolates ist der „Weltcharakter“. Der vorrangige Platz für den Laien ist daher die Welt.

c) im Verkündigungsdienst (Pfarre, Schule)

Christgläubige können sehr viel Gutes tun: in der Schule, in der Pfarre durch Mitwirken in der Katechese, im Religionsunterricht, in der Sakramentenpastoral, in der Jugendarbeit. Wir brauchen gläubige Menschen, die mittun, die sich eine entsprechende Bildung aneignen und den Glauben im Leben umsetzen. Eine vordringliche Aufgabe ist daher die Ausbildung junger Christen und fest im Glauben verwurzelter Erwachsener, die im Verkündigungsdienst mitwirken.

d) Mitarbeit von Laien in priesterlichen Diensten

Durch Priestermangel entstehen mancherorts Notsituationen, die eine zeitweise Übernahme gewisser Dienste, die normalerweise von Priestern ausgeführt werden, nötig machen: die Spendung der Krankenkommunion, die Leitung von Wortgottesfeiern, Begräbnissen usw. Es sind dies Übergangslösungen für Umbruchzeiten, die unter anderem bewusst machen, wie wichtig das Anliegen der geistlichen Berufe ist. Wir müssen den Herrn des Weinbergs bitten, er möge Arbeiter in seinen Weinberg senden, denn die Ernte ist groß.

5. Voraussetzungen eines fruchtbaren Laienapostolates

Auch beim Einsatz von Laien hängt die Fruchtbarkeit der Arbeit von der Verbundenheit mit Christus ab. Im Dekret über das Laienapostolat des II. Vatikanums heißt es: „Da Christus, vom Vater gesandt, Quelle und Ursprung des gesamten Apostolates der Kirche ist, kann es nicht anders sein, als dass die Fruchtbarkeit des Apostolates der Laien von ihrer lebendigen Vereinigung mit Christus abhängt; sagt doch der Herr: ‚Wer in mir bleibt und in wem ich bleibe, der bringt viele Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun’ (Joh 15, 5)“.

Die Grundlage der Verbundenheit mit Christus sind Taufe und Firmung, sowie die Teilnahme an der Eucharistie. Diese Verbundenheit bleibt aber nur dann lebendig, wenn der Dialog mit Christus durch Gebet, Betrachtung seines Wortes und Streben nach Christsein im Alltag ständig gepflegt wird. Nur so – mit diesem Streben – kann jemand in echter Weise wirksam sein.

Dabei ist wichtig, sich vor Augen zu halten: Nach echtem Christsein streben bedeutet in keiner Weise, fehlerlos zu sein oder keine Schwächen zu haben. Es bedeutet vielmehr, sich beharrlich zu bemühen, oft nach neuerlicher Begegnung mit Christus im Gebet und in den Sakramenten, wieder anzufangen. Das Bemühen, das Vorbild ist das Wichtigste für die apostolische Wirksamkeit.

Zerstört wird die Verbundenheit mit Christus durch die schwere Sünde. Wenn im Zustand schwerer Sünde keine Umkehr erfolgt - mit Einsicht, Reue, Verlangen nach Vergebung und Neuanfang –, verlieren jene Sakramente, die die Sakramente „der Lebendigen“ sind und die Verbundenheit mit Gott voraussetzen, ihre Fruchtbarkeit. Das Licht erlischt.

Daher sind das regelmäßige Gebet, die tägliche Gewissenserforschung, der Empfang der Eucharistie und auch der regelmäßige Empfang des Bußsakramentes für die Fruchtbarkeit jedes Apostolates wichtig. Das Licht muss entzündet sein. Wenn es durch die Sünde ausgeht, muss es wieder angezündet werden. Wir brauchen dann Vergebung, aber auch helfende Gnade.

Schließlich ist es auch erforderlich, „aktiv“ zu werden, wann immer dies angebracht erscheint. Das heißt: den anderen anreden, ihm zuhören, auf seine Fragen und Probleme eingehen, ihn einladen, ermutigen, trösten, ihm manchmal ins Gewissen reden. Für die anderen zu beten, um den Heiligen Geist für sie und für sich selbst zu bitten, muss zu einer ständigen Gewohnheit werden.

Mit anderen Worten: es ist notwendig, die Mitmenschen mit den Augen Christi zu betrachten und die eigene Verantwortung wahrzunehmen. Dies wird dann auch bei den anderen zu Umkehr und Heilung, zu einem Neuanfang oder zumindest zu einer Bestärkung, ja sogar zur Entdeckung der Berufung führen.

6. Abschließende Erwägungen

Wir brauchen heiligmäßige Priester. Priester sind in der Kirche unersetzbar. Wir brauchen aber genauso heiligmäßige Männer und Frauen, als Laien tätig. Zu vielen Menschen dringt nicht die Stimme des Priesters. Oft sind eine „Wegbereitung“ und vielfacher Einsatz notwendig. Auch die Apostel unserer Zeit – Priester und Laien - müssen „lebendige Christen“ sein, Menschen des Gebetes, ausgerichtet am Evangelium, bemüht um ein christliches Leben.

Für eine erlösende Wirksamkeit der Kirche in der Gesellschaft heute ist eine organische Zusammenarbeit von Priestern und Laien von großer Bedeutung. Laien sind nicht eine Art „Priesterersatz“. Auf Grund von Taufe und Firmung, bei Verheirateten auf Grund des Ehesakramentes, haben sie eine eigenständige Berufung zu Heiligkeit und Apostolat.

Laien brauchen Priester, brauchen die gute Lehre und die Sakramente, damit sie innerlich lebendig sind und andere zu Christus zu führen vermögen. Priester brauchen Laien: diese sind „Salz“ und „Licht“ in der eigenen Umgebung, sie sind außerdem sehr wertvolle Mitarbeiter, wenn sie die entsprechenden Voraussetzungen mitbringen.

Heilige verändern die Welt. Sie wecken christliche Berufungen. Vielleicht werden Sie sagen: Aber es ist so schwierig! Sowohl für Priester, welche die Wahrheit verkünden und ein Umdenken bzw. Umkehr einfordern, als auch für Laien, die Christus konsequent nachfolgen und andere auf ihr Christsein hin ansprechen. Das ist wahr: Eine christliche Verkündigung, auch ein konsequentes christliches Leben führen in einer säkularisierten Umgebung fast unvermeidbar zu gewissen Spannungen. Wir dürfen nicht vergessen, dass das II. Vatikanische Konzil im Dekret über die Mission erklärt hat: „Deshalb muss die Kirche unter der Führung des Geistes Christi denselben Weg gehen, den Christus gegangen ist“ (5).

Wir dürfen angesichts mancher Schwierigkeiten nicht den Mut verlieren, sondern müssen Vertrauen haben. Christus hat die Welt besiegt und er wird immer siegen. Manchmal werden wir „leiden“ müssen, doch dann sollten wir daran denken, dass die Jünger sich freuten, als sie gewürdigt wurden, für den Herrn Schmach zu leiden (vgl. Apg 5, 41).

Und zuallerletzt: die Verehrung der Mutter Gottes sichert den Weg ab. Sie wird sich, wenn wir beharrlich zu ihr beten und uns bemühen, christlich zu leben, auch heute als Gottesgebärerin erweisen!

Liebe Mitchristen, ich wünsche Ihnen allen ein gnadenreiches, frohes Weihnachtsfest. Mögen Sie vom Segen des Gotteskindes durch das kommende Jahr begleitet Mut und Freude finden, Ihren spezifischen Dienst in der Kirche treu zu erfüllen!

Mit herzlichen Grüßen

+ Klaus Küng