Geistlicher Rundbrief Nr.: 1/2003

Ostern feiern

„Als es schon Morgen wurde,
stand Jesus am Ufer“ (Joh 21, 4)

Liebe Mitchristen!

Ostern feiern. Wahrscheinlich wissen viele nicht mehr, was „Ostern feiern“ wirklich bedeutet. Sie denken vielleicht an den Osterhasen, an Ostereier oder andere volkstümliche Gewohnheiten, deren Bezug zum Eigentlichen des Osterfestes nur in einem sehr übertragenen Sinn gegeben ist. In früheren Zeiten wurde während der Fastenzeit, die der Vorbereitung des Osterfestes dient, als Ausdruck der Bereitschaft zu Umkehr auf den Genuss von Fleisch und Eiern verzichtet. Da war das Symbol der Speisensegnung am Karsamstag als Auftakt zum Osterfest leichter verständlich. Der Osterhase, die Ostereier, das sind Symbole der Fruchtbarkeit, die im Gleichklang mit dem Frühling ein Abbild dessen sind, was durch eine innerlich mitvollzogene Osterfeier in den Herzen der Gläubigen bewirkt wird: ein neuer Aufbruch, ein innerer Frühling.

Ostern ist das Fest der Auferstehung Jesu, das sein Leiden und Sterben am Kreuz voraussetzt; es erinnert an die geschichtliche Tatsache des leeren Grabes und an die Begegnungen mit dem Auferstandenen. Aber: Ostern ist mehr als eine Gedächtnisfeier. Ein aus dem Glauben heraus und sakramental mitvollzogenes Osterfest ist mit jener Erfahrung verknüpft, die zuteil wird, wenn die Erlösung in einem menschlichen Herzen wirksam wird. Es ist die Erfahrung: ER hat – auch in mir – die Finsternis besiegt, ER ist auch für mich am Kreuz gestorben. Durch seinen Gehorsam dem Vater gegenüber bis zum Tod, ja bis zum Tod am Kreuz hat er Frieden gestiftet; und ER lebt auch heute. ER ist derselbe gestern, heute und in Ewigkeit (Hebr 13, 9). Wir dürfen Mut fassen, denn „Jesus steht am Ufer“ auch in unserem Leben und im Leben jedes Menschen, der nach ihm Ausschau hält.

Wahrhaft Ostern feiern setzt einen inneren Vorgang voraus, der auf der Grundlage der großen Geheimnisse der Menschwerdung des Gottessohnes, der durch ihn vollzogenen Erlösung - und durch das Geheimnis der von ihm gestifteten Kirche - dem Glaubenden zugänglich ist.

Es handelt sich also nicht bloß um ein Fest mit historischem Bezug oder symbolischem Charakter. Freilich wird dies nur mit dem Blick auf mehrere wesentliche Glaubenswahrheiten verständlich, und nur die persönliche Erfahrung lässt im eigenen Herzen das Licht aufleuchten, das die Kirche in der feierlichen Liturgie der Osternacht entzündet. Die zentrale Frage aber betrifft das Geheimnis der Erlösung.

Was ist Erlösung?

Um bewusst zu machen, was die von Christus bewirkte Erlösung bedeutet, ist es notwendig, vom biblischen Verständnis der Schöpfung und ihrem Ziel auszugehen: Gott, dessen Wesen die Liebe ist, hat den Menschen als sein Abbild erschaffen und zur Liebe bestimmt. Das Hauptgebot für den Menschen lautet von Anfang an: „Höre Israel! Jahwe, unser Gott, ist einzig. Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit deinem ganzen Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft“ (Dtn 6, 4). Auch die Nächstenliebe – den Nächsten lieben wie sich selbst – gehört von Anfang an zu diesem Hauptgebot (vgl. Lev 19, 18). Der Mensch hat jedoch gesündigt; er hat sich selbst gesucht, er wollte „wie Gott werden“ (Gen 3, 5). Er hat das Paradies verloren; der Tod ist eine Folge der Sünde. Nach der Vertreibung aus dem Paradies muss der Mensch hören „... denn Staub bist du, zu Staub musst du zurück“ (Gen 3, 19).

Gott aber hat den Menschen nicht verlassen. In vielen Weisen hat er zu ihm gesprochen. Er hat dem auserwählten Volk Israel die zehn Gebote am Berg Sinai geoffenbart und einen Bund mit ihm geschlossen. Er hat Propheten gesandt. Er ruft jeden zur freien, persönlichen Entscheidung. Zuletzt sandte er Jesus Christus, seinen Sohn, geboren aus der Jungfrau Maria, empfangen vom Heiligen Geist. Und Jesus sagt von sich selbst: „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben“ (Joh 14, 6). Er kommt, um das Gottesreich zu errichten, und ruft zur Umkehr auf.

Nur wenige haben ihm geglaubt. Er wurde, weil er nach Überzeugung der Pharisäer und Schriftgelehrten das Gesetz nicht beachtete, ausgeliefert und letztlich wegen der Behauptung, Sohn Gottes zu sein, zum Tode verurteilt. Er hat unter Pontius Pilatus gelitten und wurde gekreuzigt.

Es war ein freiwilliger Tod. Bei seiner Gefangennahme sagte er zu Petrus: „Steck dein Schwert in die Scheide; denn alle, die zum Schwert greifen, werden durch das Schwert umkommen. Oder glaubst du nicht, mein Vater würde mir sogleich mehr als zwölf Legionen Engel schicken, wenn ich ihn darum bitte? Wie würde dann aber die Schrift erfüllt, nach der es so geschehen muss?“ (Mt 26, 52 – 54). Sein Tod zeigt, wie Gott liebt: Christus, der Mensch gewordene Gott, liebt die Seinen bis zur Vollendung (vgl. Joh 13, 1). Er ist das lebendige Brot, das vom Himmel herab gekommen ist ... und das Brot, das er gibt, ist sein Fleisch, das er hingibt für das Leben der Welt (vgl. Joh 6, 51). Sein Blut vergießt er für viele zur Vergebung der Sünden (vgl. Mt 26, 28).

Es ist ein stellvertretender Tod. Nach dem Glaubensverständnis der Kirche sind wir alle – auch persönlich – durch unsere Sünden am Tod Christi mitschuldig. Schon der Prophet hatte es angekündigt: „Sie werden auf den schauen, den sie durchbohrt haben“ (Joh 19, 37). Und alle dürfen wir denken: Er ist auch für mich gestorben. Er hat Himmel und Erde versöhnt und Frieden gestiftet am Kreuz durch sein Blut (Kol 1, 20).

Aus der Seitenwunde des Gekreuzigten fließen Blut und Wasser, geht die Kirche hervor (ähnlich wie aus der Seite Adams Eva hervorging) und mit der Kirche die Sakramente.

Die Auferstehung gehört wesentlich zur Erlösung. Sie ist das Zeichen, dass Jesus Sohn Gottes ist und Sünde und Tod besiegt hat. Er bringt als Auferstandener den Menschen das (göttliche, ewige) Leben. Der Auferstandene haucht bei seiner Begegnung die Apostel an und sagt zu ihnen: „Empfangt den Heiligen Geist. Wem ihr Sünden vergebt, dem sind sie vergeben ....“ (Joh 20, 22 – 23). Später, nach seiner Himmelfahrt und nach der Aussendung des Heiligen Geistes erfahren die Jünger – und auch wir – in neuer Weise die Nähe und die Wirksamkeit des Herrn durch das Wort, das sie verkünden, und durch die Sakramente, die sie spenden. Seine Gegenwart und die von ihm bewirkte Erlösung wird jenen zugewendet, die an IHN, an seine Erlösung und an seine Kirche glauben.

Die Taufe bedeutet ein Eintauchen in seinen Tod, um an seinem Leben teilzuhaben (vgl. Röm 6, 3-4). Die Taufe vermittelt die Vergebung der Erbsünde und aller persönlichen Sünden, die vor der Taufe begangen wurden und bereut werden; sie schenkt die Verbundenheit mit Christus und seiner Kirche.

Die Firmung festigt diese Verbundenheit durch das Geschenk des Heiligen Geistes. Seine Aussendung in die Welt ist die besondere Frucht der Erlösung. Der Heilige Geist erleuchtet den Verstand und entzündet die Liebe, um Christus zu erkennen und seinem Ruf herzhaft zu folgen.

Am Vorabend des Leidens hat Jesus das Priesteramt eingesetzt, indem er den Aposteln den Auftrag gab, das zu tun, was er an diesem Paschafest mit ihnen getan hat - bis er wieder kommt. Sie und ihre Nachfolger werden befähigt, an seine Stelle tretend die Worte zu sprechen: „Das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird“ und „das ist der Kelch des Neuen und ewigen Bundes, mein Blut, das für euch vergossen wird zur Vergebung der Sünden“. Ebenso als Frucht der Erlösung empfangen sie von ihm die Gewalt, in seinem Namen zu binden und zu lösen, die Sünden zu vergeben. Gerade so bleibt er gegenwärtig unter den Seinen bis ans Ende der Welt (vgl. Mt 28, 20).

Durch die Eucharistie wird eine direkte, persönliche Begegnung mit dem durch das Leiden hindurchgegangenen und auferstandenen Herrn möglich. Er, der lebendige Christus, Heiland und Erlöser, ist in der Eucharistie nach vollzogener Wandlung mit seinem Leib und seinem Blut unter den Gestalten von Brot und Wein „wahrhaft, wirklich und wesenhaft“ gegenwärtig, wie die Kirche von Anfang an geglaubt und gelehrt hat.

Auch das Ehesakrament steht mit seiner Hingabe am Kreuz in Verbindung, denn er hat in seinem Leiden und Sterben am Kreuz am tiefsten geoffenbart, was Liebe ist. Er hat seinen Jüngern anvertraut: „Es gibt keine größere Liebe als wenn einer sein Leben für die Freunde hingibt“ (Joh 15, 13). Eheleute sind berufen, ihm nachzufolgen, gemeinsam mit ihren Kindern sollen sie, geführt vom Heiligen Geist, geprägt und gestärkt durch Christus, den Weg zur großen Liebe erlernen und lehren. Das entspricht seiner Weisung: „Liebt einander so, wie ich euch geliebt habe“ (Joh 15, 12).

Schließlich ist die Krankensalbung zu erwähnen: sie bedeutet eine besondere Vereinigung mit Christus, der das Kreuz annimmt und treu ist bis zu dem Punkt, da er sagen kann: „Es ist vollbracht“. Die Krankensalbung macht in besonderer Weise mit dem leidenden und sterbenden Christus ähnlich und vermittelt die Hilfe, die er uns gebracht hat.

Der auferstandene Herr ist auch auf andere Weisen nach seiner Himmelfahrt und nach dem Pfingstereignis in der Kirche zugegen: vor allem durch die Verkündigung seines Wortes, aber auch durch das Leben, insbesondere durch die Liebe jener, die an ihn glauben.

Wenn wir über diese Zusammenhänge nachdenken, wird uns bewusst, was es bedeutet „Ostern wahrhaftig zu feiern“. Gemeint ist eine echte Anteilnahme am Geheimnis des Leidens und Sterbens Jesu am Kreuz sowie an seiner Auferstehung. Dabei müssen wir uns allerdings noch etwas Wichtiges vor Augen führen: Wir sind bereits getauft und gefirmt, haben sehr oft die hl. Kommunion empfangen. Wir haben also bereits oft am Geheimnis der Erlösung Anteil erlangt. Dennoch bleiben wir – bis an unser Lebensende – der Erlösung weiterhin bedürftig. Denn auch wer getauft ist, bleibt gebrechlich. Durch die Sünde kann die Verbundenheit mit Christus beeinträchtigt werden, ja sogar verloren gehen. Und der hl. Johannes lehrt: „Wenn wir sagen, dass wir keine Sünde haben, führen wir uns selbst in die Irre, und die Wahrheit ist nicht in uns“ (1 Joh 1, 8). Daher die Bedeutung der Fastenzeit.

Die Fastenzeit war nach dem Verständnis der Kirche seit ihren Anfängen die letzte intensive Vorbereitung aller jener, die in der Osternacht die Taufe empfingen und danach zur Eucharistie zugelassen waren. Die Fastenzeit war auch Bußzeit für jene, die nach entsprechenden Zeichen der Bekehrung und Werken der Buße mit der Kirche, mit Gott versöhnt wurden und dann am Osterfest neuerlich die heilige Kommunion empfangen durften. Später haben sich aus dieser Praxis die auch heute noch gültigen Kirchengebote entwickelt.

Alle Katholiken sind dazu angehalten, wenigstens am Osterfest die hl. Kommunion zu empfangen, damit sie so mit dem auferstandenen Herrn vereint sind. Das ist ein wichtiger Bestandteil des Osterfestes.

Wer sich aber einer schweren Sünde, eines Verstoßes gegen Gott, gegen andere oder sich selbst in wichtiger Materie bewusst ist, darf dankbar sein, das Bußsakrament, die Osterbeichte empfangen zu können.

Eine gute Osterbeichte eröffnet den Weg zu wahrhafter Communio,
das heißt zur vollen Gemeinschaft mit dem Herrn.

Osterbeichte will uns von innen her aufrichten, den „neuen Menschen“ in uns voranbringen (vgl. Röm 6, 4). Eine Osterbeichte ist auch dann wertvoll, wenn kein schwerer Fehler vorliegt. Alle bedürfen wir regelmäßig der Reinigung und Läuterung des Herzens, brauchen den Impuls, die Hilfe des Erlösers. Sie beflügelt unsere Schritte.

Bewusst im Glauben gefeierte Ostern erneuern die Seele, schenken Mut, auch den Frieden des Herzens, selbst wenn – wie es ja zum Leben wohl jedes Menschen gehört – manche Wolken am Himmel stehen, Probleme uns zusetzen, Schwierigkeiten nicht zu übersehen sind. Ostern schenkt auch Zuversicht für die auf den Auferstandenen gegründete Kirche, denn ER hat die Welt besiegt, wo ER öffnet, kann niemand schließen, wo ER schließt, kann niemand öffnen (vgl. Offb 3, 7).

So wünscht ein wirklich frohes Osterfest

+ Klaus Küng