Liebe Mitchristen!
Vieles weist darauf hin, dass eine Zeit angebrochen ist, in der wir Christen
wirklich aufwachen müssen: Es geht um das Wohl der Menschen, der Familie,
der Gesellschaft, der Kirche, auch um unser aller Wohl. Als wären sie für
die derzeitige Situation verfasst, klingen die Worte des hl. Paulus an die
Römer:
„Bedenkt die gegenwärtige Zeit: die Stunde ist gekommen, aufzustehen vom Schlaf.
Denn jetzt ist das Heil uns näher als zu der Zeit, da wir gläubig wurden ...
Die Nacht ist vorgerückt, der Tag ist nahe“ (Röm 13, 11-12).
Es ist eine aufrüttelnde und doch zugleich mit Hoffnung erfüllende Botschaft.
Unsere Zeit ist voller Kontraste:
Trotz phantastischer Entwicklungen in
Technik, Medizin und anderen Wissensgebieten ist die Armut in den
Entwicklungsländern größer denn je und die Bedrohungen des Lebens sind –
auch bei uns – schlimmer geworden. Noch nie hat es so viele Abtreibungen
gegeben wie jetzt, und der Ruf nach Euthanasie, der in einigen Ländern
bereits „erfolgreich“ Ernte hält, ertönt lautstark in ganz Europa. Werden
wir standhalten?
Auch mitten im Wohlstand sind Lebenskrisen häufig. Sie brauchen hier nicht
aufgelistet und näher beschrieben zu werden. Eines der besonders
alarmierenden Zeichen ist der Anstieg der vielen Lebensgemeinschaften ohne
Trauschein, die Ausbreitung einer überzogenen Erotisierung und
pornographischer Präsentationen, die fast allgemein zu beobachtende
Nivellierung ethischen Empfindens. In vielen Ländern beschäftigt viele
Menschen ein überwiegend egozentrisches Verlangen nach
„Selbstverwirklichung“. Das führt unter anderem offenbar zur Scheu vor
Bindung. Der Beruf wird von Männern und Frauen, von Jung und Alt, als
wichtiger Bestandteil dieser Selbstverwirklichung betrachtet. Er bildet die
Grundlage von Erfolg und Wohlstand; er ermöglicht Wellness und Fun. Selbst
das „Ja“ zu Kindern ist häufig dem Grundverlangen nach dieser Form der
Selbstverwirklichung untergeordnet. Die Folgen dieser Einstellungen zeigen
sich zunehmend deutlicher in Gesellschaft und Kirche.
Die über viele Jahre hinweg von praktisch allen politischen Parteien
vermarkteten Werte – Wohlstand, Sicherheit und Gesundheit – beginnen zu
wanken: Die seit langem zu geringe Kinderzahl führt unausweichlich zu nicht
mehr lösbaren Problemen der Alterspyramide. Die „Auswege“ aus dieser
misslichen Lage der Gesellschaft ziehen unangenehme, zum Teil sogar
bedrohliche Konsequenzen nach sich: Abstriche im Pensions-, Versicherungs-
und Gesundheitswesen bzw. im Wohlstand, Erhöhung des Ausländeranteils (mit
schwer abschätzbaren sozialen und politischen Langzeitfolgen); auch
Euthanasie wird als Lösungsansatz propagiert. Wie sicher dürfen sich in
Zukunft alte, kranke und behinderte Menschen fühlen? Schon jetzt haben – wie
man hört – Kinder, deren Behinderung während der Schwangerschaft entdeckt
oder vermutet wird, geringe Überlebenschancen (angeblich nur etwa 10 %!),
und das, obwohl in den vergangenen Jahrzehnten in vielen Ländern
hervorragende Einrichtungen für Behinderte entstanden sind und ein gewisses
Umdenken in dem Sinn erfolgt ist, dass Behinderte viel besser in der
Gesellschaft integriert wurden.
Vielleicht erfolgt bald eine kräftige Trendumkehr bezüglich
Geburtenfreudigkeit? – Das wäre wünschenswert und die einzige nachhaltig
wirksame und zugleich wahrhaft humane Lösung der beschriebenen Probleme.
Voraussetzung dafür wäre allerdings ein entschlossenes sozialpolitisches
Maßnahmenpaket und vor allem ein baldiges Umdenken vieler. Eine solche
Trendumkehr würde sich freilich frühestens in 25 bis 30 Jahren auswirken ...
. Auf dieses Faktum wurde seitens der Kirche, auch von manchen
Bevölkerungswissenschaftern und Soziologen schon vor Jahren hingewiesen.
Niemand hat darauf reagiert.
Auch die Kirche spürt die Ausbreitung der vorwiegend auf Erfolg, Ansehen,
Wellness und Fun orientierten Lebenseinstellungen. Die Entwicklungen
verlaufen bezüglich christlicher Familien (es genügt ein Blick auf die Zahl
der kirchlichen Trauungen), geistlicher Berufe und regelmäßiger
Kirchenbesuche auch zahlenmäßig weitgehend parallel. Eine gewisse Ausnahme
bilden derzeit noch Taufen, Erstkommunionen und Firmungen, da die meisten
Paare - auch solche, die sich mit der Kirche nicht besonders verbunden
fühlen, - für ihre Kinder doch eine gewisse Einführung in das kirchliche
Leben wünschen. Dies ist für die Kinder eine Chance, da sie so, trotz der
Entfremdung ihrer Eltern von der Kirche, mit Religion in Berührung kommen.
Es stellt dies aber gleichzeitig ein großes Problem dar, da den Kindern das
Vorbild ihrer Eltern fehlt und dadurch ihre dauerhafte Verwurzelung im
Glauben nur in wenigen Fällen gelingt.
Inzwischen zeigt sich auch, dass eine Verkündigung und eine
Sakramentenpastoral, die sich den Verhältnissen einer verflachenden
Gesellschaft zu sehr bzw. in falscher Weise „anpassen“, das heißt, von
manchen Forderungen des Evangeliums absehen, weil sie angeblich nicht mehr
verstanden werden, und über gewisse, für den fruchtbaren Empfang der
Sakramente erforderliche Voraussetzungen hinweggehen - ein Beispiel ist der
Ersatz der persönlichen, individuellen Beichte durch eine gemeinsame
Bußfeier ohne Beichte -, keine guten Früchte bringen, im Gegenteil, eher zur
Verflachung beitragen und diese beschleunigen. Es finden sich daher auch im
Zusammenhang mit der kirchlichen, seelsorglichen Arbeit alarmierende
Zeichen, die uns aus dem Schlaf rütteln müssen.
einfach nur mit der Mehrheit mitzuschwimmen ist zu wenig,
Andererseits hätte – hat! – die Kirche die geeigneten Heilmittel für die Folgen falscher Lebensweisen. Ganz dem hl. Paulus entsprechend, der ausruft: „Weh’ mir, wenn ich das Evangelium nicht verkünde“ (1 Kor 9, 16) „muss“ die Kirche auch den Menschen, die in einer weitgehend säkularisierten Welt, in den Verhältnissen unserer Zeit leben, den Weg zeigen, der sie zu einer gesunden Persönlichkeitsentfaltung, zu einem Leben in Freude und mit Frieden, zu dauerhaften Beziehungen, zur Bewältigung von Krisen, auch zu Wirksamkeit in Beruf, in Gesellschaft und Kirche befähigt. Freilich wird gerade in unserer Zeit deutlich: einfach nur mit der Mehrheit mitzuschwimmen ist zu wenig, wenn man Christ sein will und die Früchte der Erlösung, die Christus durch seinen Tod am Kreuz und seine Auferstehung bewirkt hat, empfangen möchte. Nur die Wahrheit macht frei (vgl. Joh 8, 32) und nur in Übereinstimmung mit ihr kommt die Barmherzigkeit Gottes, die unermesslich ist und keine Grenzen kennt, zum Tragen.
Nach der entflammenden Pfingstrede des hl. Petrus fragen seine Zuhörer, die seine Worte mitten ins Herz getroffen haben: „Was sollen wir tun, Brüder?“ Sie erhalten die Antwort: „Kehrt um, und jeder von euch lasse sich auf den Namen Jesu Christi taufen zur Vergebung seiner Sünden; dann werdet ihr die Gabe des Heiligen Geistes empfangen“ (Apg 2, 37-38).
Durch die rasche Ausbreitung aller möglichen Geisteshaltungen,
insbesondere jener, die das Leben in hohem Maße auf Konsum ausrichten, die
Gebote Gottes (und der Kirche) relativieren, oft ins Esoterische oder/und in
eine Gefühlsreligion ausweichen, wird in unserer Gesellschaft fast überall
ein Trend vorherrschend, der ein konsequentes Verhalten im Sinne eines
Christseins ohne Abstriche schwer macht. Heute wird man bald einmal als
„übertrieben“, „zu eng“, „ewig gestrig“ abgestempelt, manchmal auch
verspottet und verlacht. Wer aber dem Druck der Umgebung nicht widersteht,
wenn dies geboten ist, wer sich nicht – vielfach im Gegensatz zur Auffassung
der anderen - zu klaren Haltungen durchringt, wird von den gängigen Trends,
die oft alles andere als christlich sind, unweigerlich erfasst. So aber wird
man orientierungslos, unsicher: man läuft Gefahr, vom rechten Weg
abzukommen, nicht selten fast ohne es zu merken.
Heute ist es in besonderer Weise notwendig, sich in allen wesentlichen
Fragen ein eigenes Urteil zu bilden und sich in manchen Belangen bewusst für
eine Verhaltensweise zu entscheiden, die zur Umgebung in Kontrast steht. So
muss sich z.B. ein Christ Zeit für Gebet nehmen, für den Gottesdienst (auf
jeden Fall am Sonntag), die Gebote Gottes so halten, wie sie die Kirche
lehrt, eine christliche Familie auf der Grundlage einer sakramental
geschlossenen Ehe mit Offenheit für mehrere Kinder anstreben - um nur einige
markante Punkte zu erwähnen. Das setzt auch voraus, geistliche Nahrung und
Unterstützung im Glauben an Christus und seine Kirche dort zu suchen, wo man
sie finden kann, wählerisch in Fortbildungsveranstaltungen zu sein, auch in
Lektüren, die man für sich oder einen anvertrauten Menschen auswählt. Ein
Abschnitt aus der Bibel, ein gutes Buch können Großartiges bewirken. Es
bedeutet auch, immer dann wenn es nötig bzw. angebracht ist, für Christus,
für christliche Werte und eine entsprechende Lebensweise persönlich und
gemeinsam im privaten Kreis oder auch öffentlich einzutreten.
Ein Christ braucht heute, um bestehen zu können, in besonderer Weise
Persönlichkeit und Charakter. Er kann aber auch, wenn er seine Verantwortung
als Christ mit Mut wahrnimmt, viele andere bewegen.
Auf Grund der erschwerten Verhältnisse in der Schule, auch in den
Pfarren, die alle mit dem Pluralismus der Weltanschauungen und der
unterschiedlichen Glaubens- und Unglaubenspraxis konfrontiert sind und mit
vielseitigen Problemen zu kämpfen haben, ist heute in verstärktem Maße die
Initiative der Familie gefordert. Die Eltern sind die Erstverantwortlichen
für die Erziehung ihrer Kinder. Das bedeutet gerade in den heutigen
Umständen mit den vielfältigen und massiven Einflüssen von vielen Seiten
eine schwierig zu erfüllende Pflicht. Die Eltern müssen auf ihre
Verantwortung angesprochen werden, brauchen aber auch Unterstützung in jeder
Hinsicht. Dies ist eine der Hauptaufgaben jeder Pfarre. In der Zukunft wird
sich die Seelsorge wahrscheinlich speziell darauf konzentrieren müssen:
christlichen Familien eine Heimat zu geben, sie zu begleiten und zu
unterstützen. Vielleicht müssen auch neue Einrichtungen dafür geschaffen
werden, in denen Väter und Mütter für ihre Aufgabe in der Familie, in der
Erziehung sowie zur Befähigung einer unseren Verhältnissen entsprechenden
Gestaltung des Familienlebens angeleitet werden. Auch die Schaffung
geeigneter Behelfe (Bücher, Videos) ist erforderlich. Ebenso kann die
Vernetzung mit anderen christlichen Familien wie sie durch Pfarren,
Familienrunden, aber auch neuere Bewegungen erreicht wird, eine große Stütze
sein.
Die Pfarren, die geistlichen Bewegungen, die Zentren der geistigen
Erneuerung, ebenso die Klöster müssen sich auf die Gegebenheiten unserer
Zeit einstellen, Orte des Gebetes und der Besinnung sein, eine Katechese
entwickeln, die tatsächlich den Glauben der Kirche vermittelt, aber immer
auch die Lebensbezüge aufweist. Dem Aspekt der persönlichen Umkehr und der
Versöhnung mit Gott, der Kirche und auch mit sich selbst kommt dabei eine
zentrale Bedeutung zu. Dadurch, dass heute die persönlichen Umstände,
Lebens- und Arbeitsverhältnisse sehr unterschiedlich sein können, ist
persönliche geistliche Begleitung von großer Bedeutung.
Ich wiederhole: Wir stehen vor großen Herausforderungen. Es soll dabei nicht
verschwiegen werden, dass viele Bemühungen im Gange sind. Durch das Jahr der
Bibel beispielsweise sind viele wertvolle Initiativen entstanden; die
Exerzitien im Alltag bedeuten für viele Menschen einen wahrhaften Segen.
Trotzdem halte ich es für unerlässlich, dass in Hinblick auf die
Entwicklungen in Gesellschaft und Kirche, vor allem aber aus „Mitleid mit
den Menschen“ (vgl. Mt 9, 36) unsere Sorge um sie in Christus belebt und
erneuert werden muss. Sie laufen Gefahr, sich selbst zu verlieren.
Das Erste wird sein, dass wir in Bezug auf jene, die am kirchlichen Leben
teilnehmen oder ins kirchliche Leben eingeführt werden, nichts unversucht
lassen, um sie zur persönlichen Beziehung mit Jesus zu führen: damit sie ihm
begegnen, ihn erfahren und lieben lernen. Aber auch missionarische Vorgänge
– bezogen auf am Rande- oder Fernstehende – sind meines Erachtens
unerlässlich und dringend: Wir müssen in die Häuser gehen, die Orte des
beruflichen und gesellschaftlichen Lebens aufsuchen, auf Straßen und Plätzen
die Menschen anreden, sie einladen, ihnen den Glauben vorleben, ihnen Hilfe
anbieten, wenn dies nötig ist.
Die große Versuchung angesichts der in vielen Ländern, Städten und
Dörfern gleichzeitig auftretenden Entwicklungen ist die Beschränkung auf ein
gelegentliches Bedauern, dass es in der heutigen Zeit offenbar „so“ ist,
verbunden mit dem Eindruck, dass da eigentlich niemand etwas dagegen
unternehmen kann, wir selbst sicher am allerwenigsten.
In Wirklichkeit könnten wir sogar mit Sicherheit sehr viel erreichen, wenn
wir und alle anderen, denen die wesentlichen Werte des Menschen ebenfalls
wichtige Anliegen sind, nicht passiv bleiben und uns in Eintracht bemühen,
Zeugen für Christi Botschaft zu sein.
Ganz vorne stehen muss meines Erachtens gerade in Hinblick auf den
„demografischen Winter“ Europas die Förderung der Familie – vor allem der
kinderreichen – auf der Grundlage der Ehe zwischen Mann und Frau. Dass wir
homosexuell geneigten Personen – wie jedem Menschen – mit Achtung und Liebe
begegnen sollen, dass der Staat für diese Menschen bestimmte Fragen
gesetzlich regelt, um berechtigten Wünschen zu entsprechen (z.B.
Besuchsrecht im Falle der Krankheit oder Weitergabe des Vermögens nach dem
Tod) sind durchaus positiv zu bewertende Anliegen. Aber die Beziehung
homosexuell geneigter Menschen kann nicht der Ehe gleichgesetzt werden, weil
es sich nicht um das Gleiche handelt. Eine Gleichsetzung wäre in der Tat
ungerecht. Auch das Recht auf Adoption bei homosexuellen Menschen oder
künstliche Befruchtung bei lesbischen Personen kann unter anderem deshalb
nicht gestattet werden, weil dadurch das Grundrecht des Kindes auf Vater und
Mutter verletzt wird. Es ist dies ein weiteres Motiv, warum die Förderung
der kinderreichen Familie klare Priorität verdient, denn für die gesunde
Entwicklung der Persönlichkeit ist das Zusammenwirken von Vater und Mutter
und Geschwister von großer Bedeutung. Letztlich hängt auch die gesunde
Entwicklung der Gesellschaft in einem hohen Maße davon ab, ob die
kinderreiche Familie auf der Grundlage der Ehe gefördert wird oder nicht.
Andere wichtige Werte stehen mit der Achtung des Lebens von seiner
Empfängnis an in Zusammenhang. Die hohe Zahl von Abtreibungen hinterlässt
tiefe Wunden in der Gesellschaft. Momentan, so scheint es, können wir an der
gesetzlichen Lage nicht viel ändern; wir können hingegen betroffenen
Menschen helfen. Ein riesiges Problem bleibt es in jedem Fall. Eines Tages
jedoch können sich die Stimmung, auch die Mehrheitsverhältnisse in den
Parlamenten ändern, wenn wir mit Beharrlichkeit auf das Geheimnis des
menschlichen Lebens hinweisen, ebenso auf die tiefen Wunden, die bei jenen
zurückbleiben, die Abtreibungen vornehmen lassen (Post-Abortion-Syndrom).
Besondere Wachsamkeit ist bezüglich der Entwicklungen im Zusammenhang mit
pränataler Diagnostik und künstlicher Befruchtung erforderlich. Es muss
alles versucht werden, um zu vermeiden, dass der Druck auf Frauen, die nicht
abtreiben lassen wollen, oder der Druck auf Ärzte, die dazu nicht bereit
sind, immer noch größer wird. Andere wichtige Themen sind die Verwendung von
EU-Geldern (es handelt sich um riesige Summen) für problematische
Forschungsprojekte (z.B. Verwendung von Embryonen für die Forschung) oder
für Antikonzeptionsprogramme in Entwicklungsländern (einschließlich
Förderung von Abtreibungen und Sterilisierungen). Und wichtig bleibt
weiterhin die Euthanasiedebatte, in der in Österreich bis jetzt erfolgreich
eine klare Front gegen Euthanasie und für Hospizbewegung, sowie
Palliativmedizin erreicht wurde. Die Diskussion kann – wie die jüngsten
Vorgänge im Europaparlament in Strassburg zeigen, jederzeit plötzlich in
Richtung Befürwortung von Euthanasie kippen, weil unter anderem der
wirtschaftliche Faktor in all diesen Belangen Einfluss hat.
Noch ein Thema möchte ich unbedingt erwähnen: Wir klagen mit Recht, wenn in
den letzten Jahren immer wieder Fälle sexuellen Missbrauchs und
Vergewaltigungen vorkommen. Vielfach werden die Täter gefasst und vor
Gericht gestellt. Das hat seine Berechtigung. Trotzdem stört mich, dass
gleichzeitig die Erotisierung auf allen Straßen, in allen Schulen, in
praktisch allen Zeitungen, auf Plakatwänden, im Fernsehen, im Internet
ungebremst fortschreitet. Und dagegen wagt fast niemand etwas zu sagen.
Warum wundert es uns, dass so viele Missbrauchsfälle und Verfehlungen aller
Art zu beklagen sind? Dekadente Entwicklungen hat es im Laufe der Geschichte
immer wieder gegeben. Wir Christen müssen uns fragen: Wollen wir weiterhin
passiv zuschauen? Oder klagen, ohne die Zusammenhänge wahrhaben zu wollen?
Braucht unser Land tatsächlich ein Bordell? Worin liegt da
zukunftsträchtiger Fortschritt?
Zunächst können / müssen wir jene Politiker stützen, die für Werte
eintreten; vor allem aber ist Überzeugungsarbeit notwendig. Wir müssen Jung
und Alt die Augen öffnen, müssen die Entwicklungen bewusst machen, auch die
Folgeerscheinungen. Jeder Christ sollte im eigenen Umfeld wirksam sein,
indem er für Werte in geeigneter Weise, mutig, selbstbewusst und mit
Argumenten eintritt. Manchmal sind dabei entschlossene Haltungen
erforderlich. Es gibt Veranstaltungen, an denen ein Christ nicht teilnimmt,
sowie Publikationen, Filme, von denen er Abstand nimmt. In manchen Belangen
müssen gut überlegte Strategien entwickelt werden, um eine Verbesserung zu
erreichen; Initiativen sind notwendig, die ein Umdenken herbeiführen.
In diesem Rundbrief habe ich manchen meiner Sorgen Ausdruck verliehen. Es
sind Sorgen, die viele bewegen. Ich bitte Sie um Ihr Gebet, um Ihr
Mitdenken, auch um Ihr Mittun. Verbunden mit Christus und verbunden
untereinander sind wir stark, auch wenn wir schwach sind.
So grüßt Sie herzlich
+ Klaus Küng