Familienbischof DDr. Klaus Küng
Liebe
Brüder und Schwestern!
Dietrich Bonhoeffer schreibt in einer seiner Predigtnotizen: „Von der Geburt
eines Kindes ist die Rede, nicht von der umwälzenden Tat eines starken Mannes,
nicht von der kühnen Entdeckung eines Weisen, nicht vom frommen Werk eines
Heiligen… die Geburt eines Kindes soll die große Wendung aller Dinge bringen.“
Man könnte – seinen Gedanken folgend – Weihnachten so definieren: Gottes
Botschaft nimmt Hand und Fuß an. Wahr ist: Wenn ein kleines Kind zur Welt
kommt, dann verändert seine Ankunft das Leben der Menschen von Grund auf. Junge
Eltern können ein Lied davon singen. Nun: Genau das will die Ankunft Jesu in
der Welt bewirken. Das Kind in der Krippe will unser Leben von Grund auf
verändern.
Ein Jugendlicher hat mir vor einiger Zeit bei einem Schulbesuch gesagt: „Ja,
aber wer glaubt denn das noch? Ich habe ihm geantwortet, dass es schon
Situationen gibt, in denen einem eine solche Frage kommen kann. Dennoch sind
die Kirchen zu Weihnachten voll und boomen z. B. Wallfahrten. Ich sagte ihm
auch, dass schon oft manche gemeint haben, es sei „aus“ mit dem Christentum.
Einer der Ersten war Nero, danach versuchten es
mehrere andere römische Kaiser, mit großen Bedrängnissen und Verlusten der
Christen; beim Vier-Kaiser-Treffen in Carnuntum im
November 308 – nicht lange nach der schrecklichen Christenverfolgung unter Diokletian, bei der auch der hl. Florian das Martyrium
erlitt – kamen sie zum Schluss, dass das Christentum nicht ausrottbar sei. Und
wenige Jahre später, 313, verkündete Konstantin das Edikt von Mailand, das den
Frieden für die Christen herbeiführte.
Zuvor und danach hat es auch unter den Christen viele kritische Situationen
gegeben; ja, es gab Zeiten, in denen man den Eindruck gewinnen konnte, dass das
Christentum sich selbst zerstört. In unserer Zeit haben wir zwar derzeit eine
Aufbruchsstimmung, die manche den „Franziskuseffekt“ nennen, aber es fehlt auch
jetzt nicht an Unheilspropheten, und es gibt in der Tat nicht wenige Probleme,
die bedenklich sind.
Und doch ist da die Anziehungskraft dieses Kindes, die Siluan
vom Berg Athos, er war ein Meister des Herzensgebetes im 19. Jahrhundert, so
beschreibt: „Der Herr selbst sucht den Menschen, ehe der Mensch ihn sucht.“
Genau darin liegt der Grund zum Optimismus. Die Menschwerdung des Gottessohnes
zündet ein Licht an, und zwar für alle Zeiten.
Mir unvergesslich ist das Gespräch mit einem Bankdirektor, der – wie er mir
erzählte – nicht getauft war, aus einem Haus stammte, in dem das Wort „Gott“ nie
vorkam. Wir lernten uns anlässlich der Segnung einer Bank kennen, die kurz vor
Weihnachten stattfand. Mit dem Blick auf eine Krippe, die in dem Gasthaus, in
dem wir das Essen einnahmen, bereits aufgestellt war, sagte er zu mir: „Ich
kann verstehen, dass dieses Kind Hoffnung vermittelt.“ Er deutete an, dass er
sich in den letzten Jahren manchmal mit Fragen des Glaubens befasste.
Aber erklärt nicht inzwischen die Wissenschaft fast alles? Braucht es überhaupt
noch den Glauben an Christus? Wir wissen nicht alles, aber vieles von der
Entstehung der Welt; wir kennen das Genom, auch da sind viele Fragen offen; der
Mensch kann am Beginn des Lebens eingreifen schon in den ersten Wochen einer
Schwangerschaft können Behinderungen eines Kindes wahrgenommen werden, man kann
relativ bald das Geschlecht des Kindes erkennen, Babys können in der Retorte
erzeugt werden. Im Prozess des Sterbens kann der Mensch eingreifen durch
Verlängerung oder Abkürzung. Und doch bleiben die wesentlichen Fragen. Karl Rahner hat Weihnachten so definiert: „Weihnacht heißt: Er
ist angekommen. Er hat die Nacht hell gemacht. Er hat die Nacht unserer
Finsternisse, die Nacht unserer Unbegreiflichkeiten, die grausame Nacht unserer
Ängste und Hoffnungslosigkeiten zur Weihnacht, zur Heiligen Nacht gemacht. Das
sagt Weihnachten.“
P. Cantalamessa, der Hausprediger des Papstes, hat es
bei einer seiner Predigten so ausgedrückt: „Wer heute wirklich Weihnachten
feiern will, muss in der Lage sein, heute, Jahrhunderte später, das zu tun, was
er getan hätte, wenn er an jenem Tag dabei gewesen wäre. Wer das tut, tut was
Maria uns gelehrt hat: Niederknien, anbeten und schweigen!“
Es ist und bleibt der wesentliche Ratschlag.
Dieses Kind ist Jesus Christus. Er heilt unsere Blindheit, sodass wir nicht
kurzsichtig beim Irdischen hängen bleiben, die Dinge nicht verzerrt sehen; Er
überwindet unsere Taubheit, sodass wir Gottes Rufen wahrnehmen; das Jesuskind
in unser Herz hereinlassen und ihm nachfolgen; er hilft, Lähmungen ausgelöst
durch Faulheit, Bequemlichkeit, Stolz oder andere Lasten zu besiegen und nach
und nach zu überwinden, sodass wir uns nicht einfach treiben lassen; er heilt
sogar von Aussatz und kann Tote erwecken, vermittelt ewiges Leben.
Im Übrigen besteht da ein Auftrag. Papst Franziskus wird da sehr deutlich. Alle
Getauften müssen sich dessen bewusst sein: Es genügt nicht, die eigene Haut zu
retten. Es ist notwendig, dass wir auch den Anderen sagen, dass dieser Sohn
Gottes ist, um alle zu erlösen. Als die Hirten heimkehrten, erzählten sie, was
sie gesehen und erlebt haben.
Möge uns der Heilige Geist beistehen, damit wir diesem Kind, seine Mutter und
dem hl. Josef begegnen und damit uns sein Licht geschenkt wird.
Mit herzlichem Gruß
+ Klaus Küng