Auszug aus einem Interview mit Bischof Küng

Die NFP-Methode wird im Institut für Ehe und Familie auch als verlässliche Methode zur Empfängnisverhütung – mit einem Pearl-Index von 1 bis 3 - beworben. Normalerweise haben kirchliche Institutionen spätestens seit der päpstlichen Enzyklika „Humanae vitae“ ein Problem damit, Verhütungsmittel zu empfehlen. Warum ist das in diesem Fall anders?

Das II. Vatikanische Konzil lehrte, dass bezüglich Zahl der Kinder jedes Ehepaar selbst seine Verantwortung wahrzunehmen hat. In der Enzyklika Humanae Vitae präzisierte Papst Paul VI., dass bei dieser Frage nicht nur die persönlichen Aspekte – wie z.B. Gesundheit, Wohnsituation -, sondern auch die Verantwortung gegenüber Gesellschaft und Kirche, zu beachten sei. Letztlich geht es um die Frage „Was erwartet Gott von uns?“. Wenn aber von einem Ehepaar aus berechtigten Gründen zwischen zwei Kindern eine längere Pause eingeschoben oder vielleicht überhaupt auf weitere Kinder verzichtet werden müsse, dann sei natürliche Empfängnisregelung erlaubt, nicht aber die Verwendung von mechanischen oder chemischen Verhütungsmitteln.

Während in der Enzyklika sowie der sog. Maria-Troster-Erklärung der ö. Bischöfe die Verwendung chemischer Mittel wie der Pille zur Empfängnisverhütung abgelehnt wird, steht Gläubigen die Verwendung anderer Methoden wie der „Zeitwahl“ – unter die auch die NFP fallen dürfte - weiter offen. Als Laie erscheint mir diese Unterscheidung reichlich beliebig. Können Sie kurz die Argumente darlegen, mit der sie begründet wird?

Der Unterschied ist in Wirklichkeit größer als manche es wahrhaben wollen. Bei den mechanischen und chemischen Verhütungsmitteln kommt es zu einem manipulativen Eingriff in den Organismus der Frau bzw. des Mannes oder beim Geschlechtsverkehr selbst. Dadurch wird der Geschlechtsverkehr – unabhängig vom biologischen Rhythmus der Frau – unfruchtbar. Bei der natürlichen Empfängnisregelung dagegen verzichtet das Paar aus bestimmten Gründen an den fruchtbaren Tagen der Frau auf Geschlechtsverkehr. Nun kann man fragen: Kommt es nicht auf dasselbe heraus, da doch beide Paare darin übereinstimmen, dass sie momentan oder längerfristig kein Kind bzw. keine weiteren Kinder haben wollen? Letzteres mag wahr sein und doch ist es nicht dasselbe. Geschlechtsverkehr hat seiner inneren Natur nach einen zweifachen Sinngehalt: er ist auf Fortpflanzung ausgerichtet und zugleich Ausdruck einer uneingeschränkten, ganzheitlichen Liebe zueinander. Bei mechanischer oder chemischer Verhütung wird die Möglichkeit der Fortpflanzung komplett ausgeschaltet. Dadurch ist der Geschlechtsakt nicht mehr eine volle Hingabe. Und auch keine vollständige Annahme des jeweils anderen Partners. Bei natürlichr Empfängnisregelung erfolgt kein Eingriff, bleibt der Geschlechtsakt das, was er ist, nämlich eine völlige Hingabe an den Anderen. Es wird nur an manchen Tagen bewusst darauf verzichtet, das Motiv soll durchaus Liebe sein. Im Falle mechanischer oder chemischer Verhütung besteht die Gefahr, dass durch die gezielte Ausschaltung der Möglichkeit einer Empfängnis im Geschlechtsakt letztlich doch nur die Befriedigung gesucht wird. Auch die Praxis der natürlichen Empfängnisregelung ist vor dieser Gefahr nicht ganz gefeit, insbesondere, wenn die Gründe für die Beschränkung auf die unfruchtbaren Tage unzureichend sind. Immerhin erfordert natürliche Empfängnisregelung Rücksicht, Selbstbeherrschung, Verzicht, Einhaltung bestimmter Grenzen und das regelmäßige Gespräch miteinander. Sie ist daher eine wirklich partnerschaftliche Methode und schiebt die Last der Verhütung nicht auf einen Partner ab. Nicht selten erwacht bei der Praxis der natürlichen Empfängnisregelung, wohl auch gefördert durch das bewusste Hinschauen auf das Geheimnis des Lebens und das Geheimnis der Liebe, nach einiger Zeit der Wunsch nach einem weiteren Kind. Bei Verhütung kann dagegen allmählich das, was Ausdruck der gegenseitigen Ganzhingabe und Liebe sein sollte, zum Ausdruck von Egoismus werden, der wahre Liebe untergräbt. Eheleute, die die natürliche Empfängnisregelung praktizieren, bezeugen dagegen, dass gerade deshalb, weil sie immer wieder aufeinander „gewartet“ und es gelernt haben, sich auf verschiedene Weise, nicht nur durch Geschlechtsverkehr, Zärtlichkeit zu schenken, ihre Liebe und die gegenseitige Anziehung – auch nach Jahren – frisch geblieben ist. Verhütung untergräbt den Hingabecharakter der geschlechtlichen Liebe.

Wo steht die Verwendung von Kondomen zwischen den beiden genannten Extremen „chemische Mittel“ und „Zeitwahl“: Ist die Verhütung mittels Kondomen mit einem katholisch-gläubigen Leben vereinbar?

Bei Kondomen handelt es sich um ein mechanisches Verhütungsmittel, das der Mann verwendet. Auch das ist kein guter Weg. Jedoch ist bei der moralischen Beurteilung der verschiedenen Verhütungsmittel auch zu bedenken, dass manche schlimmer sind als andere, weil sie auf die Integrität des Lebens keine Rücksicht nehmen. Manche Pillen oder z.B. die Spirale wirken in bestimmten Konstellationen nidationshemmend. Das heißt, sie verhindern vielleicht die Einnistung der bereits befruchteten Eizelle in der Gebärmutter und wirken also im Grunde genommen abtreibend.

Steht die Kirche mit dieser Argumentation nicht einem gesellschaftlichen Verständnis von Partnerschaft gegenüber, das Sexualität – auch ohne Kinderwunsch - unbedingt als Teil einer glücklichen Partnerschaft begreift?

Die Kirche hat keine negative Beziehung zu Sexualität, wie manche meinen. In Wirklichkeit betrachtet sie die geschlechtliche Vereinigung im Rahmen der Ehe als etwas sehr Wichtiges und Würdiges. Dies gilt auch dann, wenn ein Ehepaar keine Kinder bekommen kann, etwa wegen Unfruchtbarkeit oder Alter, weil es der ganzheitliche Ausdruck gegenseitiger Hingabe und Liebe ist. Die Weisungen der Kirche schützen die Würde der Person, insbesondere der Frau, und auch der Kinder, die als Frucht einer großen Liebe und in der Geborgenheit eines echten Zuhause zur Welt kommen sollen. Die Beachtung dieser Weisungen erspart viele Verwundungen und Enttäuschungen, die entstehen, wenn man sich – salopp gesagt – jedwedem, möglicherweise ohne ihn zu kennen und ohne wirkliche Liebe, hingibt.

Im Gegensatz zu anderen Regeln, die die Kirche seit Jahrhunderten hochhält, sind die Vorgaben zum Thema Verhütung gerade einmal vier Jahrzehnte alt. Besteht die Möglichkeit, dass diese Regeln angesichts ihrer Konsequenzen – beispielsweise großer Verwirrung unter den Gläubigen, was denn nun „erlaubt“ ist und was nicht sowie daraus folgender hygienischer und demografischer Probleme in der Dritten Welt – noch einmal überdacht und revidiert werden? Oder stehen die in Humanae vitae dargelegten Grundsätze für die kommenden Jahrhunderte?

Verhütung ist ein uraltes Thema. Schon die Ägypter praktizierten Verhütung. Die Kirche hat Verhütung immer abgelehnt. Bis in die 30iger Jahre des vergangenen Jahrhunderts war diese Haltung auch für die evangelische Kirche und alle christlichen Bekenntnisse selbstverständlich. Allerdings brachte insbesondere die „Pille“ eine neue Situation. Die Pille fand weltweit Verbreitung und wurde für die ganze Bevölkerung zu einem leicht zugänglichen und leicht anwendbaren Verhütungsmittel. Papst Paul VI. erkannte die Gefahren, die dadurch entstanden, und seine Prophezeiungen haben sich bestätigt: es kam zu einer sexuellen Revolution mit Zunahme der Promiskuität bei Jung und Alt. Auch die Zahl der Abtreibungen ist nicht geringer geworden, sondern größer. Die Krise der Familie hat viele Gründe, auch die demographische Frage ist multifaktoriell bedingt. Aber es besteht kein Zweifel, dass Verhütung eine wichtige Rolle spielt und dass sich durch die Ausbreitung und fast allgemeine Verwendung von Verhütungsmitteln die Verhaltungsweise vieler Menschen stark verändert hat. Ich glaube nicht, dass die Kirche die Aussagen bezüglich Sexualität – wenn sie sich bzw. Gott treu bleiben will – verändern kann. Ich hoffe aber, dass nach und nach die Bedeutung dieser Haltung von mehr Menschen entdeckt wird. Sexualität ist nicht bloß Konsumgut. Es geht vielmehr um die Würde des Menschen und um das Gelingen einer wahrhaft menschlichen Gemeinschaft der Liebe.
 

+ Klaus Küng